Kommentar:Kindergeld einfach kürzen ist unfair

Die Kindergeld-Zahlungen ins Ausland haben sich fast verzehnfacht. Ein Beleg für Missbrauch ist das aber nicht.

Von Thomas Öchsner

Es sieht dramatisch aus. Seit 2010 hat sich die Summe der Kindergeldzahlungen ins Ausland fast verzehnfacht. Für die AfD ist damit klar: Deutschen Steuerzahlern sei es nicht länger zuzumuten zum Beispiel für bulgarische Kinder, die in Bulgarien leben, so viel Geld zu bezahlen. Doch hinter den Zahlen steckt weit mehr als der massenhafte Missbrauch durch osteuropäische Familien, den die Rechtspopulisten suggerieren.

Mit dieser Statistik ist es wie mit allen anderen: Je nach gewählter Zeitspanne kommt etwas anderes heraus. So könnte man genauso gut auch sagen: Weil 2017 die Auszahlungen deutlich zurückgegangen sind, zahlt Deutschland weniger Kindergeld ins EU-Ausland. Das hat damit zu tun, dass die Zahlungen im Jahr zuvor besonders hoch waren. Es liegt aber auch daran, dass die polnische Regierung ihr Kindergeld deutlich erhöht hat. Und das wird vom Geld aus Deutschland abgezogen. Hinzu kommt: Das deutsche Kindergeld beziehen nicht nur Familien aus Ländern mit deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten wie Polen oder Bulgarien. Es geht zum Beispiel auch nach Frankreich oder in die Niederlande. Außerdem haben deutsche Kinder, die im EU-Ausland etwa studieren, ebenso Anspruch auf die Zahlung. Nicht überall wird also der Sozialstaat missbraucht.

Trotzdem darf man nicht so tun, als gäbe es keinen Missbrauch. In manchen deutschen Großstädten gibt es Straßenzüge, in denen osteuropäische Migranten wohnen - auch oder vor allem deshalb, weil sie für ihre Kinder das für sie vergleichsweise üppige deutsche Kindergeld beziehen. Es gibt organisierten Leistungsmissbrauch. Dazu gehört aber auch eine ganz andere Form von Missbrauch: Arbeitnehmer, oft aus Rumänien und Bulgarien, die ihre Rechte nicht kennen, werden auf dem deutschen Arbeitsstrich gnadenlos ausgebeutet. Sie verdienen wenig, zahlen für ein Bett in maroden Wohnungen Wuchermieten und können sich vielleicht noch über Kindergeld freuen, das für ihre Familien zu Hause übrig bleibt.

Kindergeld-Zahlungen ins Ausland gerecht und fair zu kürzen, ist deshalb gar nicht so einfach. Zudem wäre ein solches Vorgehen mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Solange das so ist, muss man jeden Missbrauch wenigstens an Ort und Stelle härter bekämpfen.

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