Pipers Welt:Der erste Streich

Nikolaus Piper

Nikolaus Piper schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Freitag. Zeichnung: Bernd Schifferdecker

Alle reden über den Untergang von Lehman Brothers vor zehn Jahren. Die Rettung von Bear Stearns davor war aber wohl noch wichtiger für den Verlauf der Finanzkrise. Der Fall lehrt auch einiges darüber, was gerade schiefläuft.

Von Nikolaus Piper

Wenn in diesem Jahr der Herbst kommt, werden alle an Lehman Brothers denken. Die auf den globalen Handel mit Anleihen spezialisierte Investmentbank in New York musste am 15. September 2008 Insolvenz anmelden und löste damit fast den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems aus. Mit Lehman begann die heiße Phase der Finanzkrise.

Doch so wichtig Lehman auch war, mehr für die Gegenwart kann man aus einem Vorläufer zu der berühmten Pleite lernen, der Rettung der Investmentbank Bear Stearns im März 2008 durch die Großbank JP Morgan unter tätiger Mithilfe der amerikanischen Notenbank Federal Reserve. Bis dahin war die besonders risikofreudige Bank Bear Stearns jenseits der amerikanischen Grenzen kaum bekannt. Dass die Fed und die amerikanische Regierung nun zu ihrer Hilfe eilten, war der eigentliche Systembruch im Zuge der beginnenden Finanzkrise. Alle wussten: Wenn Fed und US-Finanzministerium so weit gehen, dann muss es schlecht um die Welt bestellt sein.

Bear Stearns machte in Reinkultur genau die Geschäfte, die die Finanzkrise ausgelöst hatten: Die Bank investierte großzügig in Hypotheken für überteuerte Immobilien, deren Käufer sich diese oft gar nicht leisten konnten. Das Geld für die Hypotheken beschafften sich die Finanzjongleure über kurzfristige Kredite.

Dass Bear Stearns im März gerettet wurde, hat durchaus etwas zur Krise selbst beigetragen. Die Aktion wiegte die Märkte in Sicherheit - offenbar galt der Grundsatz "too big to fail" immer noch. Selbst ein mittleres Institut war zu groß, als dass es die Behörden fallen lassen würden. Umso größer war danach der Schock an den Finanzmärkten, als Lehman tatsächlich in die Insolvenz ging. Für libertäre Ökonomen war daher nicht der Untergang Lehmans, sondern die Rettung von Bear Stearns der eigentliche Sündenfall.

Ob die Finanzkrise ohne diese Rettungsaktion tatsächlich milder verlaufen wäre, kann niemand sagen. Glücklicherweise ist das auch nicht nötig, denn der Fall Bear Stearns wird sich so nicht wiederholen, vorausgesetzt US-Präsident Donald Trump reißt nicht die ganze Bankenregulierung wieder ein, die unter Barack Obama aufgebaut worden war. Amerikanische Banken sind heute wesentlich besser mit Kapital ausgestattet als vor der Krise, können also Schocks besser aushalten. Und auch das spielt eine Rolle: Für JP Morgan und ihren Chef Jamie Dimon war die Rettung ein teures Vergnügen. Dimon bekam die Investmentbank für einen Bruchteil ihres Buchwertes, aber er musste viel Geld dafür zahlen, dass Bear Stearns faule Hypothekenpapiere an ahnungslose Anleger verkauft hatte. 2013 einigte sich Dimon mit den Staatsanwälten auf eine Strafe von 13 Milliarden Dollar, der größere Teil davon wurde durch Bear Stearns verursacht. Kein Banker möchte dies noch einmal erleben.

Dass eine neue Finanzkrise nicht im amerikanischen Bankensektor ausbrechen wird, bedeutet leider nicht, dass sie nicht irgendwo anders ausbrechen kann. Am Anfang steht immer ein großer Irrtum: die Überzeugung, dass ein theoretisch denkbares Risiko praktisch nicht eintreten wird. Vor 2008 glaubten alle, die Immobilienpreise könnten nicht in den ganzen USA gleichzeitig einbrechen; vor 1929 hielt man die Zeit der Rezessionen für überwunden. Der Irrtum vor der nächsten Krise könnte darin liegen, dass sich alle sicher sind: Es wird keine höhere Inflation, und es wird keine höheren Zinsen geben. Das jedenfalls glaubt James Bianco, ein Finanzanalyst aus Chicago, den das Wall Street Journal  zitiert.

Die Schulden in der Welt wachsen ungebremst weiter. Wo liegt die Grenze?

So gesehen gibt es einige Gründe, besorgt zu sein, vor allem wegen des ungebremsten Wachstums der Schulden in der Welt - was dem ebenso ungebremsten Wachstum des anlagesuchenden Kapitals entspricht. Das Institute of International Finance (IIF) hat zum Beispiel ausgerechnet, dass die Gesamtverschuldung Chinas auf über 300 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen ist, womit die Volksrepublik die Vereinigten Staaten überholt hat, wo Staat und Privatleute mit 250 Prozent verschuldet sind, eine Zahl, die sich dank Donald Trumps Steuerreform noch erhöhen wird. "Zu viel Geld jagt zu wenig Ertrag bringende Anlagen", klagt der Internationale Währungsfonds. Vor der Krise brachten vier Fünftel aller erstklassigen Firmenanleihen auf der Welt eine Rendite von über vier Prozent; heute schafft diese Rendite nur noch ein Zwanzigstel aller Unternehmen. Was passiert mit den Firmen, die sich auf eine günstige Finanzierung verlassen, wenn die Zinsen nur um zwei Prozentpunkte steigen? Das ist alles Spekulation. Derzeit will die Fed keinerlei Risiko für den Aufschwung eingehen, wie sie am Mittwoch klargemacht hat. Aber der Fall von Bear Stearns legt Vorsicht nahe.

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass just in der Woche, in der sich die Rettung von Bear Stearns zum zehnten Mal jährt, einige Ehemalige der Bank einen Karrieresprung machten. Lawrence Kudlow, konservativer Fernsehkommentator und in den Neunzigerjahren Chefvolkswirt bei Bear Stearns, wurde von Donald Trump zum Wirtschaftsberater berufen. David Solomon, der einst im Handel mit Hochrisiko-Anleihen bei Bear arbeitete, wird neuer Chef der größten Investmentbank an der Wall Street, Goldman Sachs.

James Cayne hingegen, der die Bank bis 2008 insgesamt 25 Jahre lang geleitet hatte, nahm in der Woche an einem Bridge-Turnier in Philadelphia teil, wie das Wall Street Journal berichtete. Das war nur konsequent. Vor seiner Zeit bei Bear Stearns war Cayne professioneller Bridge-Spieler, und als er im Amt war, warfen ihm Kritiker immer wieder vor, zu viel Zeit am Bridge-Tisch und zu wenig in der Firma verbracht zu haben und so die Krise mitverursacht zu haben. So schließt sich der Kreis.

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