Mitten in Karlsfeld:Ehre der Neuen Mitte

Karlsfeld verschont seine Bürger mit großstädtischen Zumutungen wie Restaurants und Toiletten. Sein Klein-Manhattan ist nun trotzdem ausgezeichnet worden

Kolumne von Gregor Schiegl

Als vor neun Jahren der Funkturm am Karlsfelder Bahnhof demontiert wurde, war das Bedauern groß. Die Gemeinde verlor einen Blickfang, der lustigerweise ein bisschen so aussah wie das Wahrzeichen von Paris und daher liebevoll "Karlsfelder Eiffelturm" genannt wurde. Der echte Eiffelturm war in seinen jungen, rostfreien Jahren übrigens keineswegs bei allen beliebt. Kultivierte Männer wie Guy de Maupassant, Alexandre Dumas oder Charles Garnier, Architekt der Pariser Oper, wüteten gegen das Stahlungetüm an den Champs de Mars: "Schwindelerregend lächerlich" sei dieser Turm, der wie ein "gigantischer, schwarzer Fabrikschornstein" die Stadt dominiere und ihre würdevolle Architektur mit seiner "barbarischen Masse" erdrücke.

Eine ähnlich massive Kritik, wenn auch in der Wortwahl wenig kunstvoll, erfuhr jahrelang das Projekt Neue Mitte, bei dem es darum ging, aus einer Schafwiese in Karlsfeld ein Ortszentrum zu machen, das lebendig und nach dem allgemeinen Empfinden der Leute schön ist. Die Begeisterung über die modernen Bauten hielt sich in Grenzen. Viele Bürger schmähten den modernen Stil als "Klötzchenarchitektur", Mitglieder einer Bürgerinitiative zogen gegen das entstehende "Klein-Manhattan" zu Felde, obwohl Manhattan doch ganz schön ist und sogar noch ein gutes Stück urbaner als das neue Karlsfeld: In Manhattan gibt es zum Beispiel Restaurants, wo man essen kann, mit Messer und Gabel und richtigen Servietten, und wer sich mal die Nase pudern möchte, findet dort ebenfalls die entsprechende Infrastruktur: eine Toilette. In Karlsfelds Neuer Mitte hat man die Bürger mit solchen großstädtischen Zumutungen verschont. Aber darüber wird auch wieder gemäkelt, man kann es den Leuten eben nie recht machen.

Doch ganz unerwartet fällt nun ein erster Glanz auf das Karlsfelder Bauprojekt, und zwar aus der Landeshauptstadt München, die bekanntlich leuchtet. Dort hat Bayerns Baustaatssekretär Josef Zellmeier den "Preis für Baukultur der Metropolregion München 2018" verliehen. "Gute Architektur und gute Stadtplanung, das sind gebaute Werte, die wir pflegen und fördern müssen", sagte der Staatssekretär. In der Kategorie "Gemischt genutzte Quartiere, Stadt- und Ortsteilzentren" gab es insgesamt sechs Anerkennungen. Eine davon ging tatsächlich an Karlsfelds gackerlgelb gestrichene Mitte. Vielleicht wird daraus ja noch Kult. Mal sehen, wann die ersten Touristen kommen.

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