Bundestagswahlkampf:Welche Daten die Post an Parteien verkaufte

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Ding, dong. "Hier ist Ihr Abgeordneter". Parteien suchen sehr gezielt nach potenziellen Wählern. Im Bild: ein klassisches Klingelbrett (Foto: imago stock&people)
  • "Die Zusammenarbeit von Deutscher Post und politischen Parteien ist kein Daten- und Manipulationsskandal", sagt ein Wissenschaftler über den Bundestagswahlkampf.
  • Nach jetzigem Erkenntnisstand handle es sich bei diesem Datenhandel um klassisches und legales Direktmarketing.
  • Die Daten, die die Post erhebt, stammen aus öffentlichen Quellen und lassen keinen Rückschluss auf individuelle Personen zu.

Von Hakan Tanriverdi und Mirjam Hauck, München

Das Erste, was Simon Kruschinski aufgefallen ist, als er an zahllosen Haustüren klingelte: Es gibt überhaupt keine Überschneidungen zwischen SPD und CDU. Während die SPD im Sommer 2017 bei Menschen Häuserwahlkampf machte, die er als "klassische Arbeiterschaft" empfindet, waren es im Fall der CDU eher konservative bis religiöse Gemeinden. "Die für unsere Befragung ausgewählten Stimmbezirke, wo CDU und SPD Haustürbesuche planten, haben sich niemals überschnitten", sagt Kruschinski. Das war kein Zufall.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Universität Mainz will für seine Doktorarbeit herausfinden, welche Rolle der Haustürwahlkampf spielt. Nachdem die Bild am Sonntag berichtet hatte, CDU und FDP hätten jeweils einen fünfstelligen Betrag für straßengenaue Analysen der Post-Tochterfirma Deutsche Post Direkt GmbH für den Bundestagswahlkampf gezahlt, ist das Interesse am Geschäftszweig des Adress- und Datenhandel stark gestiegen.

Für sein Projekt hat Kruschinski mit CDU und SPD zusammengearbeitet. So wusste er, welche Wähler angesprochen werden sollten. An diesen Türen klingelten dann zuerst die Uni-Forscher und brachten knapp 1000 Leute dazu, Fragebögen auszufüllen. Um deren Verhalten nicht zu beeinflussen, wurde ihnen der eigentliche Grund der Umfrage verschleiert. Das ist in solchen Fällen üblich. Erste Ergebnisse wird es wohl Ende des Jahres geben.

Die erhobenen Daten lassen keinen Rückschluss auf individuelle Personen zu

"Die datengestützte Wähleransprache fällt in Deutschland grundsätzlich deutlich gröber aus als in den USA", sagt Kruschinski. Das beginne schon damit, dass es in Deutschland aus Datenschutzgründen verboten sei, das Wahlverhalten individuell abzufragen, während es in den USA Datensätze gebe, aus denen hervorgehe, wer als Mitglied der Demokraten oder Republikaner registriert sei. "Deshalb würde ich nicht von Microtargeting, sondern von Zielgruppen-Targeting sprechen", sagt er. Schließlich lassen die erhobenen Daten keinen Rückschluss auf individuelle Personen zu. "Die Zusammenarbeit von Deutscher Post und politischen Parteien ist kein Daten- und Manipulationsskandal", sagt Kruschinski. Es handle sich nach jetzigem Erkenntnisstand um klassisches und legales Direktmarketing.

Alle Parteien finden demnach in drei Schritten heraus, welche Wähler sie ansprechen wollen. Sie identifizieren zuerst Wahlkreise, in denen das Ergebnis bei den vergangenen Wahlen knapp ausgefallen ist. Anhand von öffentlichen Daten - dazu zählen offizielle Wahlergebnisse, wie viele Kirchengänger es in einem Gebiet gibt, Alter, Geschlecht und Arbeitslosenquote - wird anschließend eine sogenannte Geopotenzial-Analyse erstellt. Das Gebiet wird weiter eingeschränkt.

In einem dritten Schritt wird geprüft, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, tatsächlich potenzielle Wähler zu erreichen. "Wenn in ausgewählten Wahlgebieten ein Schwellenwert überschritten wurde, hat die CDU externe Daten verwendet, weil sie ein feinmaschigeres Ergebnis für den Abgleich wollte", erklärt Kruschinski. Konkret: Die CDU hat selbst herausgefunden, welche Gebiete für sie wichtig sind; die Daten der Post dienten dann dazu, das Ergebnis exakter zu bestimmen.

Die Daten, die die Post erhebt, stammen auch aus öffentlichen Quellen: zum Beispiel vom Statistischen Bundesamt, von Einwohnermeldeämtern oder vom Kraftfahrt-Bundesamt. Jeder hinterlässt Spuren. Etwa wenn man ein Zeitungs-Abo abschließt, bei einem Versandhändler Waren bestellt, mit Kreditkarte oder Paypal zahlt. Und häufig geben die Menschen auch freiwillig ihre Daten heraus: Weil sie bei einem Preisausschreiben gewinnen oder Rabatte oder Gratisproben haben wollen. Deshalb sind auch Kundenkartendienste wie Payback oder die Deutschlandcard eifrige Datensammelwerkzeuge. Daneben gibt es auch noch Bonitätsdienste und Wirtschaftsauskunfteien wie die Schufa.

Datensammeldienste gibt es also nicht erst, seit Facebook oder Google Schlagzeilen machen. Hierzulande gibt es Adresshändler seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Etwa die Firma Schober aus Ditzingen bei Stuttgart. Sie wirbt damit, dass sie mehr als 58 Millionen Privatadressen besitzt, dazu Merkmale aus Wohnumfeld, Hobbys und Konsumgewohnheiten. Per "Adressen-Shop" auf der Website lassen sich die Daten bequem kaufen und herunterladen.

Außer Adresshändlern wie Schober und der Post-Tochter Post Direkt sind es vor allem weitere Konzern-Töchter, die hierzulande auf dem Datenhandelsmarkt mitmischen wie AZ Direct (Bertelsmann) und EOS (Otto) oder auch die in Deutschland vertretende US-Marketingfirma Acxiom.

Auch Parteien wollen ihre Wähler immer zielgenauer ansprechen

Und die Daten werden auch genutzt. Laut einer Studie der Deutschen Post aus dem Jahr 2017 verschickt jedes siebte Unternehmen adressierte Werbesendungen. Für diese Briefe gaben allein Handelsunternehmen 3,8 Milliarden Euro aus. Das ist mehr als für Anzeigenwerbung, die sich diese Firmen laut Studie insgesamt 2,4 Milliarden Euro kosten ließen. Aber auch Parteien wollen ihre Wähler immer zielgenauer ansprechen. Dafür nutzen sie Profile, die etwa auch Auskunft über Alter, Familienstand, Kinderzahl und Kaufkraft geben.

"Die Parteien erhalten nie das sensible Rohmaterial über Wahlberechtigte", sagt dazu Kruschinski, "sondern arbeiten mit der ausgewerteten Form von Wahrscheinlichkeitsberechnungen ohne Personenbezug". Diese beziehen sich auf sogenannte Mikrozellen, wie sie die Post für sich definiert, das sind im Schnitt 6,6 Haushalte.

Der Unterschied zu den allgemein öffentlichen Daten bestehe bei der Post in der individuellen Gewichtung. "Man benötigt sehr gutes Know-how und Leute, die statistische Kenntnisse haben und die all diese Datenquellen zielführend verarbeiten können", sagt Kruschinski. Am Ende stehe ein Wert zwischen 1 (extrem geringe Wahlwahrscheinlichkeit) und 100 (extrem hohe Wahlwahrscheinlichkeit). Parteien müssten also Leute im mittleren Bereich suchen, die parteiaffin sind, zuletzt aber vielleicht eine andere Partei gewählt haben und nicht zur Wahl gegangen sind. Menschen mit einem Wert höher als 85 aufzusuchen, macht wenig Sinn, denn die wählen ohnehin die "richtige" Partei. Wie diese Auswertung funktioniert, weiß nur die Tochterfirma der Deutschen Post.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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