Meinungsfreiheit:Linksradikale Plattform Indymedia klagt gegen Vereinsverbot

  • Mit einer Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verweisen zwei der mutmaßlichen Betreiber von linksunten.indymedia.org auf den offenen Charakter der Plattform, die seither offline ist.
  • Sie verlangen, dass das Vereinsverbot des Bundesinnenministeriums (BMI) für den linken Szenetreff "KTS" in Freiburg wieder aufgehoben wird.
  • Reporter ohne Grenzen hatte die Verbotsentscheidung des BMI im vergangenen Jahr kritisiert.

Von Reiko Pinkert und Ronen Steinke, Berlin

Als in Hamburg noch Wunden versorgt und Scherben zusammengekehrt wurden, kurz nach dem G-20-Gipfel im vergangenen Juli, tauchte im Internet eine anonyme Selbstbezichtigung auf. "Wir haben am frühen Morgen des Gipfel-Samstags ein im Dohrnweg geparktes Diplomaten-Fahrzeug (Kennzeichen O-) in Hamburg-Sternschanze angezündet." Veröffentlicht wurde dies auf der linksradikalen Plattform linksunten.indymedia.org. Applaus gab es dort aber wenig. "Chapeau ihr Helden", schrieb eine Nutzerin. "Lasst aber bitte nicht unerwähnt, dass Ihr das 'feindliche' Diplomatenfahrzeug genau 2 Meter neben dem Malteserstift St. Theresien erfolgreich zerstört habt. Genauso erfolgreich habt ihr auch 80 alte, demente und kranke Bewohner in Todesangst versetzt."

In den Tagen nach dem G-20-Gipfel forderten einige Politiker, den linken Szenetreff "Rote Flora" in Hamburg zu schließen. Entschlossenheit zeigten die Behörden stattdessen aber bei einer Reihe von Razzien in Privatwohnungen von mutmaßlichen Autonomen sowie am 25. August im süddeutschen Pendant der Flora, der Freiburger "KTS": dem Treffpunkt der Betreiber von linksunten.indymedia.org. Die Aktivisten, die sich dort trafen, würden mit ihrer Online-Plattform Straftaten "ermöglichen und erleichtern", hieß es im gleichzeitig ausgesprochenen Vereinsverbot des Bundesinnenministeriums.

Mit einer Klage, deren 156-seitige Begründung nun am Mittwoch beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingegangen ist, verweisen zwei der mutmaßlichen Betreiber dagegen auf den offenen Charakter der Plattform, die seither offline ist. Sie verlangen, dass das Verbot wieder aufgehoben wird - und interessanter Weise bestreiten sie gar nicht, dass die Nutzer der Seite ungehindert "Angriffe auf Bulleninfrastruktur" oder "Sabotage aller Formen von militärischer Ausrüstung" fordern durften; Äußerungen, welche das Innenministerium als Billigung und öffentliches Auffordern zu Straftaten gewertet hatte.

Auf der Plattform gab es auch viel Kritik an Gewalt, betonen die Kläger

Fast immer sei es auf Indymedia kontrovers zugegangen, betonen die Kläger, Vertreten durch ihre Anwälte Sven Adam und Kristin Pietrzyk. Als nach den Anschlägen auf Oberleitungen der Bahn das Bekennerschreiben dort auftauchte, äußerte sich die Mehrheit der Diskutanten kritisch. So bringe man die Öffentlichkeit nur unnötig gegen sich auf, lautete ein strategisches Argument. Kein Flüchtling werde gerettet, weil der Bahnverkehr kurz lahmliege. Eher würden auch Flüchtlinge nicht verstehen, "was so ein Bullshit soll". Andere sprachen sich grundsätzlich gegen Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung aus.

Ob das schon reicht, damit die Indymedia-Betreiber solchen Äußerungen weitgehend freien Lauf lassen und sich auf den Standpunkt der Meinungsfreiheit zurückziehen durften - ob also eine Debatte für und wider Straftaten überhaupt Raum verdient -, sollen nun die Leipziger Richter entscheiden. Reporter ohne Grenzen hatte die Verbotsentscheidung des Bundesinnenministeriums im vergangenen Jahr kritisiert. Die Organisation, die sich für Pressefreiheit einsetzt, bemängelte, dass ein generelles Verbot der Seite nicht notwendig gewesen sei, um gegen gewaltverherrlichende Beiträge vorzugehen.

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