Datenmissbrauch:Warum Facebook bei der Aufklärung versagt

Datenmissbrauch: Facebook-Zentrale in Menlo Park, Kalifornien: Das soziale Netzwerk hat sich in die größte Krise seiner Unternehmensgeschichte manövriert.

Facebook-Zentrale in Menlo Park, Kalifornien: Das soziale Netzwerk hat sich in die größte Krise seiner Unternehmensgeschichte manövriert.

(Foto: Josh Edelson/AFP)

Wenn es um eigene Probleme und Skandale geht, informiert der Internetgigant höchstens scheibchenweise. Aber warum bekommt Facebook seine Kommunikation nicht in den Griff?

Von Helmut Martin-Jung

Es sind Sätze wie Dynamit, geeignet dazu, alles zu atomisieren, was Facebook jemals an Vertrauen genossen haben mag: Bei so gut wie allen zwei Milliarden Nutzern seien womöglich Informationen ihres öffentlichen Profils abgeschöpft worden, von "bösartigen Akteuren". Das gibt der Konzern jetzt zu, Wochen nachdem der Datenskandal um die britische Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica Mitte März bekannt wurde. Und er muss eingestehen: Auch dieser Skandal ist größer als zunächst eingeräumt. Nicht 50 Millionen Nutzer seien betroffen, sondern 87 Millionen. Alle paar Tage eine neue Hiobsbotschaft: Kommuniziert sich das größte soziale Netzwerk der Welt mit dieser Salami-Taktik womöglich selbst ins Abseits?

Nun, zunächst lässt sich nüchtern feststellen: Wenn der Aktienkurs binnen zweieinhalb Wochen von rund 185 auf 155 Dollar fällt, ist das kein Pappenstiel, aber auch nicht der Untergang. Doch das Unternehmen hätte es auch klüger anstellen können. Die Kritik an Facebook reicht ja schon lange zurück, spätestens seit der jüngsten US-Präsidentschaftswahl wurde sie ziemlich laut. Der Fall Cambridge Analytica war bloß noch das Streichholz, das es brauchte, um sie zu einem Großfeuer zu entzünden. Und das gerät leicht außer Kontrolle.

In der vernetzten Welt bleibt wenig geheim

Bricht ein solches Feuer aus, haben Unternehmen grob gesprochen zwei Möglichkeiten. Sie können Mitarbeiter der zweiten Reihe vorschicken und hoffen, dass sich die Aufregung wieder legt. Die Chefs sind dann fein heraus. Oder die Chefs können blankziehen und alles zugeben. Alles heißt dann aber auch wirklich alles, denn - wo wüsste man das besser als bei der Kommunikations-Plattform Facebook - in der vernetzten Welt bleibt wenig geheim.

So auch nicht das interne Memo aus dem Jahr 2016, in dem sich der Hardware-Chef des Unternehmens, Andrew "Boz" Bosworth, folgendermaßen äußerte: "Wir verbinden Menschen. Punkt. Deshalb ist die ganze Arbeit, die wir in Wachstum stecken, gerechtfertigt. All die fragwürdigen Praktiken zum Import von Kontaktdaten. All die raffinierte Sprache, die dabei hilft, dass die Menschen weiter von ihren Freunden gefunden werden können." Und es kommt noch schlimmer: "Vielleicht kostet es jemanden das Leben, wenn er bloßgestellt und gemobbt wird, vielleicht stirbt jemand bei einer Terrorattacke, die über unsere Werkzeuge koordiniert wurde."

Wäre dieses Memo zu irgendeinem anderen Zeitpunkt veröffentlicht worden, hätte es wohl einen kleinen Aufschrei gegeben; nun aber löste es ein riesiges Medienecho aus. Und Facebook hat Mühe, das Feuer auszutreten. Das Memo sei dazu gedacht gewesen, eine interne Diskussion zu entfachen, rechtfertigt sich Andrew Bosworth, es gebe nicht seine Meinung wieder. Und auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg distanziert sich. Er sei da absolut anderer Meinung. Doch in der jetzigen aufgeheizten Atmosphäre werden viele nicht so besonders differenziert hinsehen.

"Facebook hat dieses Vertrauen verspielt"

Die Spirale schlechter Nachrichten, die da in Gang geraten ist, hätte Facebook wohl anfangs verhindern können, wenn sich Zuckerberg oder seine Vize Sheryl Sandberg früher geäußert hätten. Sie aber schwiegen, ließen die Sache hochkochen bis zu einem Punkt, an dem sich eine Dynamik entwickelte, die über die übliche Aufregung hinausging. Facebook kann jetzt nicht mehr hoffen, dass schon bald eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Das Unternehmen steht unter Beobachtung. Nächste Woche muss Zuckerberg vor dem US-Kongress - zunächst vor dem Justizausschuss des Senats und dann vor dem Handelsausschuss des Repräsentantenhauses - Rede und Antwort stehen. Wobei ihn die Abgeordneten vor allem mit einer Frage grillen dürften: Wie viele Cambridge Analyticas gibt es noch?

Auch die EU-Kommission hat für die kommenden Tage Gespräche "auf höchster Ebene" mit dem US-Konzern angekündigt. In Großbritannien wird ermittelt, in Australien ebenso. Bundesjustizministerin Katarina Barley erwägt eine Verschärfung der Regeln für soziale Netzwerke. "Wir werden überprüfen, ob die Möglichkeiten der neuen europäischen Datenschutzverordnung ausreichen." Facebook, so die Ministerin, lebe vom Vertrauen seiner Nutzer, aber: "Facebook hat dieses Vertrauen verspielt."

Dem Unternehmen scheint inzwischen klar geworden zu sein, dass die derzeitige Krise die größte seiner Geschichte ist. Technik-Chef Mike Schroepfer gab am Mittwoch ein ganzes Bündel von Maßnahmen bekannt, mit denen die Daten der Facebook-Nutzer künftig besser geschützt werden sollen. Die Frage ist allerdings: Wie weit kann Facebook gehen, ohne sein eigenes Geschäftsmodell in Gefahr zu bringen?

Das Unternehmen bietet seinen Werbekunden ja an, diese sehr gezielt anzusprechen. Angler werden mit Ruten geködert, Rennradler fahren mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Bike-Accessoires ab. Und das alles funktioniert dann am besten, wenn auch die Freunde und die Freunde der Freunde erfasst werden - je größer die Datenmenge, desto wertvoller die Analyse.

Kein Wunder also, dass Mark Zuckerberg kein Interesse daran hegt, die scharfen Bestimmungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung auch außerhalb der Europäischen Union anzuwenden. Es würde ja seinem Geschäft schaden. Immerhin sollen diejenigen Nutzer informiert werden, die vom Cambridge-Analytica-Datenskandal betroffen sind. Allerdings könnten Nutzer, die sich schon von Facebook abgemeldet haben, im Ungewissen bleiben. Die Informationen will Facebook nur in den Facebook-Feed einblenden.

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