Die Einflüsterer:Auf den Kanzler kommt es nicht an

Ob Adenauer, Schröder oder Merkel: Die Mächtigen in Politik und Wirtschaft pflegten in Deutschland schon immer ein enges Verhältnis.

Marc Beise und Ulrich Schäfer

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, so heißt es in diesen Tagen immer wieder, sei das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen den mächtigsten Politikern des Landes und den Bossen derart eng gewesen wie heute. Noch nie seien die Grenzen zwischen Regierung und Unternehmen derart verwischt worden wie in der Finanzkrise. Da lädt die Kanzlerin den mächtigsten Banker des Landes zu einem Geburtstagsessen mit 30 Freunden ins Kanzleramt ein, und nur ein paar Monate später drängt eben dieser Josef Ackermann die Bundesregierung, die Hypo Real Estate zu retten. Banker wie Ackermann oder Commerzbank-Vorstandschef Martin Blessing arbeiten - teils auf Bitten der Regierung, teils aus eigenem Antrieb - an jenem Rettungsschirm mit, mit dem die Regierung alle Banken dieses Landes retten will.

Merkel, Ackermann, AP

Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann schätzt es, dass man sich bei Angela Merkel auf Vertraulichkeit "absolut verlassen kann".

(Foto: Foto: AP)

Und ein paar Wochen später sitzen der Gerettete Blessing, dessen Commerzbank mal eben 18 Milliarden Euro aus dem 500-Milliarden-Bankentopf abschöpft, und der Retter Peer Steinbrück gemeinsam in der ARD-Talkshow von Reinhold Beckmann und machen in Freundlichkeiten. Wie es denn so sei, der liebste Banker der Politik sein, will Beckmann von Blessing wissen. Und während der noch über die Antwort grübelt, fährt der Finanzminister, dem seit Herbst vorigen Jahres ein Teil der Commerzbank gehört, genervt dazwischen: "Ach, das ist doch auch so eine journalistische Kopfgeburt."

Eine Kopfgeburt. Wohl wahr. Denn in der Tat ist es so, dass sich das Verhältnis von Wirtschaft und Politik in der Finanzkrise nicht wirklich verändert hat. Es ist ein wenig enger geworden, gewiss. Aber die Vertreter von Staat und Unternehmen waren sich in der Bundesrepublik Deutschland schon immer nahe. Sie haben miteinander gegessen, getrunken und gekungelt. Der Kanzler und die Bosse: Sie haben stets danach getrachtet, die jeweils andere Seite für sich einzuspannen. Und noch jeder Regierungschef von 1949 bis heute hat sich eingesetzt für die Interessen von Industrie und Banken,

Konrad Adenauer und sein Duz-Freund

So konnten die Deutschen schon in den Anfangsjahren der Republik erleben, dass wichtige Banker des Landes im Kanzleramt beinahe nach Belieben ein- und ausgingen: Konrad Adenauer ließ sich von seinem Duz-Freund, dem Privatbankier Robert Pferdmenges (Sal. Oppenheim), die Gesetze der Marktwirtschaft erklären. Und er vertraute Hermann Josef Abs, der von 1948 bis 1952 zunächst die Kreditanstalt für Wiederaufbau leitete und danach die Deutsche Bank.

Abs war der wichtigste Finanzberater des Kanzlers und verhandelte in dessen Auftrag mit anderen Regierungen - so etwa, als es 1952 in London um Deutschlands Kriegsschulden ging. 1955 erreichte der "Welt-Bankier" in den USA, dass die eingefrorenen deutschen Vermögen freigegeben werden. Und natürlich war es damals auch selbstverständlich, dass der Staat an einigen der mächtigsten Unternehmen des Landes beteiligt war: Ihm gehörten Volkswagen oder die Lufthansa zu hundert Prozent, aber auch Energiekonzerne wie Veba oder Viag, die heute gemeinsam unter Eon firmieren.

Der Umgang von Kohl und Schröder mit den Bossen

Daran änderte sich auch unter der sozialliberalen Regierung von Willy Brandt wenig. Der Kanzler selbst war eher der Kultur zugetan als der Wirtschaft, aber er hatte seinen Wirtschafts- und Superminister Karl Schiller. Der Ökonomie-Professor bestellte die Bosse, ebenso wie die Gewerkschaftsführer, regelmäßig zu stundenlangen Treffen der "Konzertierten Aktion" ein, um gemeinsam zu bereden, wie sich ein Aufschwung und mehr Jobs herbeischaffen lassen. Auch Brandt-Nachfolger Helmut Schmidt suchte und fand den Rat wichtiger Wirtschaftsvertreter. Als "Weltökonom" entfernte er sich allerdings immer mehr von seiner Partei, der SPD.

Langzeitkanzler Helmut Kohl (CDU) hielt sich mit langen Treffen gar nicht erst auf. Aber er zählte mittelständische Unternehmer zu seinem Freundeskreis, darunter der Medien-Mogul Leo Kirch. Kohl sorgte dafür, dass in den Verbänden CDU-Leute an den Schaltstellen saßen, die entsprechend handzahm waren. Die wachsende Unzufriedenheit über den Einheitskanzler, der den wirtschaftlichen Reformbedarf einfach aussaß, erreichte den Regierungschef gar nicht erst. Umso mehr freuten sich die Bosse über den überraschend unkomplizierten Amtsnachfolger von der SPD.

Der Genosse der Bosse

Gerhard Schröder gefiel sich als "Genosse der Bosse". In Niedersachsen hatte er als Ministerpräsident viel über die Wirtschaft gelernt, vor allem auch durch Volkswagen, wo er im Aufsichtsrat saß. Dem Konzern aus Wolfsburg widmete er auch nach dem Einzug ins Kanzleramt viel Aufmerksamkeit, die Bosse aus VW - von Ferdinand Piëch bis Bernd Pischetsrieder - hatten stets sein Ohr, aber auch andere Autochefs wie Jürgen Schrempp (Daimler-Chrysler). Aus seiner Zeit in Niedersachsen kannte er auch Jürgen Großmann, den Chef des Stahlunternehmens Georgsmarienhütte, der heute den Energiekonzern RWE leitet. Schröder lud gern zu langen, bisweilen rotweinseligen Abenden ins Kanzleramt ein.

Und wenn es etwas zu regeln galt im Interesse der Wirtschaft, schritt er bereitwillig zu Tat: Er stemmte sich dagegen, dass Brüssel den Autoherstellern zu hohe Umweltstandards auferlegte oder dagegen, dass deutsche Konzerne sich nach dem Willen der EU-Kommission nicht gegen feindliche Übernahmen hätten wehren dürfen. Und als es den deutschen Banken im Jahr 2003 das erste Mal schlecht ging, berief er die Finanzwirtschaft zu einem Krisengipfel ein, um über die Gründung einer "Bad Bank" zu beraten. Der Sozialdemokrat Schröder selbst kommentierte seine Wirtschaftsnähe vor Managern gern schon mal ironisch: "Wieso mache ich das eigentlich alles für Euch? Ihr wählt mich ja sowieso nicht".

Von vielen Wirtschaftsvertretern gewählt und teils auch herbeigesehnt war dagegen Angela Merkel. Bis zu ihrer Wahl galt sie als kühle, neoliberale Reformerin, die die Steuern und Abgaben senken und hart "durchregieren" wollte, also so zu agieren versprach, wie es viele Manager und Unternehmer auch gerne machen. In der großen Koalition allerdings hat sich Merkel mehr und mehr zu einer Sozialdemokratin gewandelt. Das Verhältnis der Wirtschaftsführer zu ihr war daher anfangs eher distanziert. Zumal die CDU-Kanzlerin nicht zu fröhlichen Runden lud wie Schröder, der in einer Unternehmerrunde nach seiner Abwahl frotzelte: "Ihr werdet Euch schon bald nach mir zurücksehnen."

Merkel - Wunsch und Enttäuschung der Bosse

Termine mit Merkel waren sachlicher, aber aus Sicht der Bosse oft noch produktiver als mit Schröder. Schon bald beeindruckte sie mit ihrer Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge aus der Wirtschaftswelt schnell zu begreifen und zu analysieren. Nicht nur Josef Ackermann schätzte es, dass man sich auf Vertraulichkeit bei Merkel "absolut verlassen kann".

Wenn Vertrauliches öffentlich wird

Unter Schröder, aber auch Kohl hatten manche die Erfahrung gemacht, dass Vertrauliches auf verschlungenen Pfaden doch irgendwie an die Öffentlichkeit gelangte. Und so hat Merkel mittlerweile ein dichtes, wenn auch kaum sichtbares Netzwerk in der Wirtschaft geknüpft, zu dem wichtige Banker ebenso zählen wie BASF-Chef Jürgen Hambrecht oder Allianz-Chef Michael Diekmann.

Nur einer unter Deutschlands Kanzlern hielt die Wirtschaftsführer ganz bewusst auf Distanz: Ludwig Erhard. Der Mann, der als Bundeswirtschaftsminister das "Wirtschaftswunder" mitbegründet hatte, beerbte im Jahr 1963 Konrad Adenauer, dessen Kungeleien ihm schon immer zuwider gewesen waren. Erhard plädierte dafür, die Interessen von Wirtschaft und Staat klar zu trennen. Fürchterlich konnte er sich schon als Minister über Bedrängungen durch Industrievertreter aufregen, etwa über den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dessen Briefe und Auftreten den Anschein erweckten, "als ob die Geschäftsführung des BDI berufen sei, das Wirtschaftsministerium zu führen".

Als Kanzler nützte ihm diese ordnungspolitisch saubere, machtpolitisch aber nicht sehr hilfreiche Linie wenig: Im Jahr 1966 wurde Erhard aus dem Amt gefegt, als Deutschland die erste echte Wirtschaftskrise erlebte, die in Wahrheit nur ein milder Abschwung war.

Angela Merkel dagegen hat - auch weil sie im entscheidenden Moment, als die HRE zu kollabieren drohte, morgens um ein Uhr den wichtigsten Banker des Landes anrief - die schwerste Wirtschaftskrise seit acht Jahrzehnten relativ unbeschadet überstanden. Eine bessere Voraussetzung kann es nicht geben für den Wahlkampf, in dem die Kanzlerin nur noch wenig Zeit mit den Bossen verbringt - aber sehr viel in Festzelten und auf Marktplätzen.

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Das Programm des SZ-Führungstreffens

Auf dem Podium sitzen Konzernlenker wie Peter Bauer (Infineon), Eckhard Cordes (Metro), Franz Fehrenbach (Bosch), Herbert Hainer (Adidas), Klaus Kleinfeld (Alcoa) und Hartmut Ostrowski (Bertelsmann) sowie Banker wie Josef Ackermann (Deutsche Bank), Alexander Dibelius (Goldman Sachs) und Theodor Weimer (Hypo-Vereinsbank). Der Diskussion mit den Kongressteilnehmern stellen sich ferner einige der namhaftesten Familienunternehmer des Landes, darunter Arend Oetker, Alfred Ritter, Dirk Roßmann, Erich Sixt und Berthold Leibinger (Trumpf). Die Ökonomen Gustav Horn, Michael Hüther und Hans-Werner Sinn diskutieren über "Rezession, Depression, Inflation: Was kommt?"

In den Podiumsrunden geht es um die künftige Wirtschaftspolitik der Regierung, neue Regeln für die Marktwirtschaft, die Verantwortung von Managern und Bankern, die Folgen der Globalisierung und die Zukunft der Familienunternehmen. An dem Treffen nehmen 200 Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsräte und Unternehmer teil. Mehr Infos und Anmeldungen unter: www.sz-fuehrungstreffen.de

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