Literaturnobelpreis:Nichts übrig als ein jämmerlicher Haufen

Die Schwedische Akademie in Stockholm

Die Schwedische Akademie - hier bei ihrer jährlichen öffentlichen Festsitzung im Jahr 2011 - besteht seit 1786.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Schwedische Akademie in Stockholm ist jämmerlich auseinandergebrochen. Sogar der Literaturnobelpreis ist jetzt in Gefahr.

Von Thomas Steinfeld

Die Schwedische Akademie war bis vor Kurzem eine der mächtigsten Institutionen der Literatur überhaupt. Jetzt ist davon nur noch ein jämmerlicher Haufen übrig, und ob dieser noch bestehen kann, ist nicht gewiss. Am Donnerstagabend wurde die Literaturwissenschaftlerin Sara Danius, bis dahin "Ständige Sekretärin" und also Sprecherin der Akademie, von ihren verbliebenen Kollegen zum Rücktritt von diesem Amt genötigt. Sie beantwortete das Begehren, indem sie auch ihren Sitz in der Akademie aufgab und erhobenen Hauptes, die für sie typische Knotenbluse fest geschlossen, das Akademiegebäude verließ.

Kurz darauf ließ die Lyrikerin Katarina Frostenson, die den Anlass für das Auseinanderbrechen der Akademie geliefert hatte, bekanntgeben, auch sie werde sich aus dem Gremium zurückziehen. Von den achtzehn "Stühlen" der Akademie sind damit nur noch elf besetzt. Die Statuten sehen bislang vor, dass es einer Mehrheit von zwei Dritteln bedarf, um Entscheidungen zu treffen, die das Fortbestehen der Akademie berühren. Im gegenwärtigen Zustand kann sie zum Beispiel keine neuen Mitglieder mehr berufen.

Die Schwedische Akademie hat viele Aufgaben: Sie gibt das Wörterbuch der schwedischen Sprache heraus. Sie verteilt Preise, Stipendien und Forschungsgelder. Vor allem aber vergibt sie seit mehr als hundert Jahren den Nobelpreis für Literatur, die höchste Auszeichnung, die ein Schriftsteller erhalten kann. Bislang war dieser Preis weitaus bedeutender als das Gremium, das ihn vergibt, und die Akademie respektierte die Differenz, indem sie sich diskret, unauffällig und vor allem schweigsam verhielt. In den vergangenen vier Monaten aber, in der Folge eines Skandals, der begann, als achtzehn Frauen mit dem Ehemann Katarina Frostensons abrechneten, also mit einem Ereignis, das die Akademie nur vermittelt betraf, wurde das Unterste nach oben gekehrt.

Die Auszeichnung ist nun vorerst so klein, wie die Akademie schäbig ist

Es verschwanden die höfischen Rituale, der Frack, das Abendkleid, der Gesellschaftstanz, der Festvortrag, und die Erbsensuppe, zu deren Verzehr sich die Akademie einmal in der Woche, donnerstags, im Stockholmer Gasthaus "Zum Goldenen Frieden" trifft, wurde ungenießbar. Stattdessen entfalteten mehrere Mitglieder der Akademie wenig aristokratische Eigenschaften, vor allem eine Neigung zur üblen Nachrede. Erkennbar wurden außerdem ein erhebliches Maß an Klüngelei sowie die Umrisse einer Erwerbsgemeinschaft zum gegenseitigen Vorteil. Die Differenz, die zwischen der Bedeutung des Nobelpreises und der Bedeutung der Akademie klaffte, wurde auf diese Weise geschlossen: Die Auszeichnung ist nun vorerst so klein, wie die Akademie schäbig ist.

Die öffentliche Abrechnung der achtzehn Frauen hatte einem Mann gegolten, der offenbar seine Nähe zur Akademie ausnutzte, um sich sexuelle Vorteile zu verschaffen. Das fiel ihm umso leichter, als er einen Kulturklub betrieb, den die Akademie als "erweitertes Wohnzimmer" benutzte, als Ort für Vorträge, Lesungen und legere Zusammenkünfte. Doch während seine Übergriffe, die wohl vor allem Praktikantinnen und aufstrebenden Schriftstellerinnen galten, vermutlich nicht justitiabel sind, scheint der Klub selber eine problematische Angelegenheit zu sein. Nicht nur, dass er kommerziell betrieben wurde, nicht nur, dass es zu etlichen Vergehen etwa gegen das Steuerrecht gekommen sein muss: Katarina Frostenson war Teilhaberin des Unternehmens, weshalb sie, weil der Klub von der Akademie finanziell unterstützt wurde, über die Subventionierung ihrer selbst entschied. Hinzu kam, dass die Lyrikerin ihrem Mann offenbar die Namen zukünftiger Nobelpreisträger verriet, wobei zumindest wahrscheinlich ist, dass er dieses Wissen wiederum zu persönlichen Zwecken nutzte.

Sara Danius wertete dieses Verhalten als "private Vorteilsnahme" und als Bruch der Schweigepflicht, der die Mitglieder des Gremiums unterliegen, kappte nach Bekanntwerden der Vorwürfe alle Verbindungen der Akademie zu diesem Mann und beauftragte eine Anwaltskanzlei mit der juristischen Klärung des Falles.

Diese Eigenmächtigkeit wurde ihr offenbar von etlichen Mitgliedern der Akademie übel genommen. Vor zehn Tagen kam es zum offenen Bruch zwischen einer Fraktion, die Sara Danius unterstützte - und einer Fraktion, die zunächst erfolgreich darauf bestand, alle Konflikte intern zu regeln. Daraufhin verließen drei Mitglieder das Gremium. Seit Gründung der Akademie im Jahr 1786 habe es keinen Ständigen Sekretär gegeben, erklärte kurz danach Horace Engdahl, das Haupt der Revolte gegen Sara Danius, der sein Amt so schlecht verwaltet habe. Bei den Abtrünnigen handle es sich bloß um eine "Clique schlechter Verlierer". Und so ging es auf der Seite der verbliebenen Akademiemitglieder weiter, unter fortwährender Unterbietung aller Standards von Anstand und Diskretion. Und es half schließlich auch nichts, dass der König, der "oberste Beschützer" der Akademie, sich einmischte. Er sei es gewesen, behauptete der Literaturwissenschaftler Anders Olsson, der die Verbliebenen dazu inspiriert habe, Sara Danius zum Amtsverzicht zu drängen. Am Freitag widersprach der Hof: Der König will sich offenbar nicht von der Engdahl-Fraktion für deren Palastrevolte beanspruchen lassen.

Was nun geschehen wird, ist völlig unklar: Die Verbliebenen reden davon, die Abtrünnigen zurückholen zu wollen, ohne Sara Danius. Diese denken offenbar nicht einmal im Traum an eine Rückkehr, sodass das Quorum unerreichbar bleibt. Der König erklärt, die Statuten ändern zu wollen. Dabei ist nicht einmal gewiss, ob er es vermag, denn auch die Statuten stammen aus dem Jahr 1786 und sind so vage gehalten, dass jeder Versuch einer Änderung einen endlosen Deutungsstreit nach sich ziehen muss. Vermutlich wird auch die Schriftstellerin Sara Stridsberg ihren Ausstieg aus der Akademie verkünden, woraufhin das Gremium nur noch zehn aktive Mitglieder haben wird.

Die Sympathien der schwedischen Öffentlichkeit liegen unterdessen auf der Seite von Sara Danius: Am Freitag traten große Teile der weiblichen Prominenz Schwedens in ihren Twitter- oder Facebook-Accounts in Knotenblusen auf. Der Fortbestand der Akademie steht nun ernsthaft in Frage, und es ist alles andere als gewiss, ob es in diesem Herbst noch einen Nobelpreis für Literatur geben wird - die Auswahlverfahren hätten längst beginnen müssen, die Lektüren sowieso. Und wer wird einen Nobelpreis ernst nehmen wollen, der offenbar von einer Bande aus Intriganten und Opportunisten vergeben wird?

Eine Akademie ist eine aristokratische Einrichtung. Dass sie niemandem etwas schuldet, am wenigsten eine Rechtfertigung, ist die Voraussetzung für die Vergabe einer Auszeichnung von der Bedeutung des Nobelpreises für Literatur. Skandal und Zusammenbruch zeigen, dass eine solche Einrichtung einem entfesselten Kleinbürgertum schwer gewachsen ist.

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