Dokumentarfilm:Von der Therapie zur RAF

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Der Mediziner Dr. Wolfgang Huber gründete das SPK. (Foto: oh)

Die Ursache von Krankheiten in der Gesellschaft: Der Dokumentarfilm "SPK Komplex" erzählt die Geschichte "Sozialistischen Patientenkollektivs".

Von Doris Kuhn

Revolutionsstimmung. Dia-Aufnahmen von Demos werden gezeigt, Ansammlungen junger Menschen in Schwarz-Weiß, deutsche Autos, eine deutsche Stadt. Auf der Tonspur erklingen Sprechchöre, eine E-Gitarre, die Zeit der Handlung ist gesetzt. Studentenbewegung, irgendwann um 1968 herum.

Danach ein Sprung in die Gegenwart, in den Keller der Universität Heidelberg. Ein freundlicher Archivar im hellen Anzug legt Immatrikulationsunterlagen vor, das Medizin- und Philosophiestudium von Wolfgang Huber komprimiert in einem dicken Packen Papier. Der Mann steht im Zentrum des Dokumentarfilms "SPK Komplex", und dies ist der einzige Moment, der auf seine Vorgeschichte hinweist: Studium begonnen 1955, abgeschlossen zehn Jahre später. Als müsse geklärt werden, dass es ihn schon gab, bevor sein Name 1970 richtig bekannt wurde.

Dr. Wolfgang Huber arbeitete nach dem Studium fünf Jahre an der Heidelberger Universitätsklinik, einen Teil seiner Patienten überwies er von dort in das damalige Psychiatrische Landeskrankenhaus Wiesloch. Im Frühjahr 1970 hörte er damit auf. Was er von Aufenthalt und Behandlung der Kranken in einer psychiatrischen Anstalt sah, bot für ihn kein Heilungsversprechen. Huber wollte einen völlig anderen Umgang mit psychisch Kranken. Dazu gründete er zusammen mit 52 Psychiatriepatienten das "Sozialistische Patientenkollektiv", kurz SPK. Im Film erfährt man von Hubers Umgang mit den Kranken, durch Erzählungen der Betroffenen. Der Regisseur Gerd Kroske sucht ehemalige Patienten auf und lässt sie erzählen. Dabei geht es um ihre persönliche Geschichten, durchaus über die Zeit des SPK hinaus. Aber sobald die Therapien im SPK zur Sprache kommen, fällt immer wieder das Wort "endlich". Endlich hat ihnen jemand zugehört. Endlich gab es die Gemeinsamkeit einer Gruppe. Endlich wurde ihnen keine Schuld für ihre Krankheit zugewiesen. Man sieht die damaligen Patienten in ihrem gegenwärtigen Alltag, gesund und beredt, dankbar.

Wolfgang Huber sieht man nicht. "In Deutschland nicht mehr auffindbar", heißt es im Abspann. Kroske nähert sich ihm über alte Tonaufnahmen aus einem Kassettenrecorder, über Fotos, aufgenommen im Kontext des SPK oder bei solidarischen Studentenversammlungen. Und im Gefängnis. Denn die Geschichte des SPK ist keine Erfolgsgeschichte. Huber wurde wegen seines Experiments entlassen, was aber nicht bedeutete, dass es zu Ende war. Er verlagerte es in Räume der Universität, die Patienten gingen in großer Zahl mit ihm, die Auseinandersetzung über sein Projekt wurde öffentlich.

Hubers innovativer Ansatz, die Ursache von Krankheiten in den restriktiven gesellschaftlichen Verhältnissen zu suchen, stieß auf wenig Gegenliebe in der Medizin wie bei den Behörden. Schnell sah man die Grundordnung der BRD bedroht - dass Hubers Arbeit den Patienten half, änderte daran wenig.

Im Film werden zu dieser Geschichte Zeitzeugen befragt, und der kluge Dokumentarist Gerd Kroske öffnet den Blick auf die Zeit aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Polizisten und ehemalige RAF-Mitglieder, Richter und Strafverteidiger tragen zusammen, wie das SPK sich durch den Druck von außen und durch zunehmenden Widerstand von innen veränderte. "Aus der Krankheit eine Waffe machen", der bekannteste Spruch jener Zeit, wird erklärt: Wenn die Verhältnisse krank machen, sollten sie bekämpft werden. Dieser Gedanke führte etliche Mitglieder des SPK in den bewaffneten Untergrund, und damit verlässt auch Kroskes Film die Psychiatrie. Er untersucht den Übergang zur ersten Generation RAF, er erzählt von Hubers Verhaftung 1971, von den drastischen Reaktionen der Presse, der Polizei, der Justiz. Der Film wird zum Porträt über deutsche Geschichte, in der sich die Hysterie der kommenden Jahre bereits anzukündigen beginnt.

Man hat zu diesem Aspekt der jüngeren deutschen Vergangenheit lange nichts gesehen, das macht Kroskes Film nicht nur spannend, sondern wichtig, auch für die Gegenwart. Gerade die vielen Nebenthemen, die er jenseits der Psychiatrie anreißt, von Postnazismus und Isolationshaft über die Kriminalisierung von Homosexualität bis zur Verantwortung der Gesellschaft gegenüber ihren Kritikern, rufen ins Gedächtnis, wie notwendig in vielen Bereichen eine Veränderung war. Dass nicht nur ein paar Radikale diese Veränderung vorantrieben, ist auch ein Verständnis, das Kroskes Film herstellt, obwohl er sich mit dem radikalen SPK befasst.

Was die Leerstellen angeht: Kein Mediziner äußert sich zu Wolfgang Hubers therapeutischen Erfolgen. Sorgfältig wie Gerd Kroske seine Dokumentationen macht, hat er vermutlich danach gefragt. Aber wie es scheint, ist Huber bis heute nicht salonfähig.

SPK KOMPLEX , D 2018 - Buch & Regie: Gerd Kroske. 111 Minuten. Edition Salzgeber.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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