EU:Freiwillige vor

Was das neue Aufnahmeverfahren für Flüchtlinge von früheren Verteilungsversuchen unterscheidet.

Von Thomas Kirchner

Schock und Scham rüttelten Europa wach. Das war im Frühjahr 2015. Tausende Migranten waren schon bei der Fahrt übers Mittelmeer ertrunken, da legte die EU-Kommission nach Jahren des Durchwurstelns endlich ein "umfassendes" Konzept vor, wie dem Irrsinn zu begegnen sei. Erstmals gerieten alle Aspekte in den Blick, die das Thema so komplex machen: Kampf gegen die Schlepper, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten, Rückführung abgelehnter Asylbewerber, Sicherung der Außengrenzen, gemeinsame Asylpolitik, Eröffnung legaler Zugangswege nach Europa.

Letzteres mündete in den Plan, Flüchtlinge direkt aus den Krisengebieten nach Europa zu fliegen, nach einem bewährten Rezept, bei dem das Flüchtlingshilfswerk UNHCR oder die Internationale Organisation für Migration (IOM) Hilfe leisten. Im Juli 2015 beschlossen die EU-Staaten ohne große Probleme, 20 000 Asylsuchende auf diese Weise "umzusiedeln". Das gelang.

Schon 2015 machte eine Reihe osteuropäischer Länder nicht mit. Heute tun sie es auch nicht

Politisch prioritär war es aber zunächst, das Chaos zu ordnen, das sonst herrschte. Italiener und Griechen winkten die Bootsflüchtlinge durch, weil sie sich überfordert fühlten und wütend waren, dass sie im Stich gelassen wurden. Hunderttausende reisten unregistriert quer durch die EU, meist nach Deutschland oder Schweden. Helfen sollte die "Umverteilung" von Migranten. Die Idee: In einem guten Dutzend neuer Zentren in den Außengrenzstaaten sollten die Migranten aufgenommen, registriert und notfalls eine Weile festgehalten werden. Die Kommission verliebte sich in den Plan, der auch der Bundesregierung gefiel, aber gewaltige Nachteile hatte.

Zum einen funktionierte er nicht. Bis das erste Hotspot-Zentrum fertig war, dauerte es Monate. Vor allem die Griechen sperrten sich, weil sie ahnten, dass sie auf den Migranten sitzen bleiben würden. Die Verteilung von 160 000 Asylsuchenden, wie im September 2015 beschlossen, wurde illusorisch. Zum anderen spaltete die geplante Umverteilung Europa. Mittel- und Osteuropäer wollten sich von Brüssel partout keine fixe Migrantenquote aufzwingen lassen. Allen Ermahnungen zum Trotz wurden nur 34 553 Personen umverteilt. Das seien fast alle, die infrage kamen, jubelt die Kommission, verbrämt so aber nur ihr Scheitern. Dass eine Zwangsquote Teil der laufenden Asylreform wird, ist unwahrscheinlich.

Experten wie Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative hielten die Umverteilung früh für abwegig. Nicht zuletzt weil sie das Sterben auf dem Mittelmeer nicht beendet. Das von Knaus miterdachte EU-Türkei-Abkommen sollte daher nicht nur Migranten davon abhalten, überhaupt in die EU zu reisen. Es sieht mittelfristig eine Umsiedlung aus türkischen Lagern vor. Die läuft aber nur schleppend.

In Brüssel hat man umgedacht, daher die Initiative mit den 50 000. Weitere werden folgen. Umsiedlung passt besser zum Wunsch nach sicheren Grenzen. Sie ist das konstruktivere Argument, mit dem sich gegenüber den Herkunftsländern wuchern lässt. Die EU kann sagen: Wenn wir euch legale Reisewege öffnen, müsst ihr nicht-schutzberechtigte Migranten zurücknehmen. Und die Initiative basiert auf freiwilliger Aufnahme statt auf Zwang. Der Witz ist nur: Viele Osteuropäer machen so oder so nicht mit.

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