Sprachwissenschaften:"Fast die Hose geplatzt!"

Metaphern sind ein essentielles Instrument der Sprache. Linguisten wie Hans-Jörg Schmid ergründen gemeinsam mit Hirnforschern ihre Dynamik.

Johan Schloemann

Metaphern sind überall. Doch wie kommt es zur bildlichen Sprache, wie funktioniert sie, wie entwickelt sie sich weiter? Um dies zu beantworten, müssen Sprachwissenschaftler und Hirnforscher zusammenarbeiten, beispielsweise im "Interdisziplinären Zentrum für kognitive Sprachforschung" der Universität München. In dessen Vorstand sitzt Hans-Jörg Schmid, Professor für Moderne Englische Sprachwissenschaft.

Sprachwissenschaften: Kinder können erst von der zweiten Klasse an sinnvoll Metaphern einsetzen, um die eigene Befindlichkeit anschaulich zu machen. Später ist bildhafte Sprache ein reichhaltiges Instrument menschlicher Ausdrucksform.

Kinder können erst von der zweiten Klasse an sinnvoll Metaphern einsetzen, um die eigene Befindlichkeit anschaulich zu machen. Später ist bildhafte Sprache ein reichhaltiges Instrument menschlicher Ausdrucksform.

(Foto: Foto: Getty Images)

SZ: Herr Professor Schmid, bei Friedrich Nietzsche heißt es, das Bilden von Metaphern sei ein menschlicher "Fundamentaltrieb". Stimmt das?

Hans-Jörg Schmid: Das stimmt wohl, die Frage ist aber, wann dieser Trieb einsetzt. Im Kindergartenalter bereiten Metaphern und figuratives Sprechen noch Probleme. Etwa Metaphern zur Wut - Kindergartenkinder haben einzelne Formulierungen vielleicht schon gelernt, aber das Prinzip der Metapher bleibt ihnen verschlossen.

In einer Studie hat ein Kind, um den Ausdruck des Vorredners "Da wär' mir der Kragen geplatzt" zu steigern, geantwortet: "Und mir wär' die Hose geplatzt! Die Unterhose zuerst!" Das passt natürlich nicht zu dem eigentlichen Bild des Ärgers, der von unten aufsteigt und sich nach oben entlädt. Grundschulkinder etwa von der zweiten Klasse an verstehen dann solche Bilder. Ähnlich verhält es sich mit ironischen Aussagen.

SZ: Wenn der Trieb sich ausbildet und die Sprache sich mit fortschreitendem Alter differenziert - wie gehen Menschen im Alltag mit Metaphern um?

Schmid: Das hängt davon ab, wie stark die Metaphorik in sprachlichen Ausdrücken konventionalisiert ist und wie hoch der Grad der Kreativität ist. Die Forscher, die sprachbeobachtend arbeiten, stellen fest, dass in der Alltagskommunikation die Häufigkeit von wirklich neuen oder originellen Metaphern sehr gering ist.

Die Forschung interessiert derzeit aber die Frage, ob sich hinter den konventionellen Metaphern kognitive, sogenannte konzeptuelle Metaphern verbergen, etwa jene Vorstellung, dass die Hitze in einem aufsteigt - die ist in so vielen Sprachen in so vielen Ausdrücken versprachlicht, dass es nahe liegt, physiologische Ursachen zu vermuten - also anthropologische Gemeinsamkeiten, die die Metaphernbildung steuern.

SZ: Sprachwissenschaftler, Verhaltensforscher und Hirnforscher erkunden solche Fragen - wie gut funktioniert die Zusammenarbeit?

Schmid: Nach vielen Jahren eher separater Forschung laufen die Stränge gerade zusammen unter der Überschrift "Cognitive Science". Da treffen sich Linguisten, Neurologen, Psychologen, Psycholinguisten. Dabei lösen sich auch Mythen auf, die sich lange selbst repliziert haben.

In den siebziger und achtziger Jahren zum Beispiel gab es die These, wonach die rechte Hirnhälfte aktiver sei bei der Verarbeitung von Metaphern als bei sonstiger Sprache. Bei genauem Hinsehen zeigte sich, dass das nicht stimmt.

Es wurde aber überall zitiert, bis es alle geglaubt haben. In Wahrheit ist wohl eine funktionierende Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften - über das sogenannte Corpus callosum - entscheidend.

Eine große Bandbreite von Metaphern-Arten

SZ: Was können Linguisten in solchen Fragen beitragen?

Schmid: Die Sprachwissenschaftler weisen die Neurologen und Neuropsychologen auf Dinge hin, die diese lange nicht richtig berücksichtigt haben, nämlich dass es eine große Bandbreite von Metaphern-Arten gibt: von den hochgradig konventionalisierten, erstarrten Metaphern bis hin zu neu gebildeten. Wenn man in Hirn-Experimenten einfach nur "Metaphern" testet, kann einiges durcheinandergehen.

Am einen Ende gibt es alltägliche Metaphern, die versuchen, Abstraktes in konkreten Begriffen zu fassen, wie: "Wir haben die Idee fallen gelassen." Am anderen Ende sind Formulierungen wie "Diese Idee ist ein Juwel" - da ist die Figurativität viel höher. Es konnte jetzt gezeigt werden - mit bildgebenden Verfahren und mit Verhaltensdaten -, dass Standard-Metaphern kaum anders verarbeitet werden als wörtliche Sprache ...

SZ: ... es sind also normale Vokabeln geworden...

Schmid: ... genau. Das sind Wörter, die zu 60 oder 80 Prozent metaphorisch verwendet werden. Da greift das Gehirn direkt auf die metaphorische Bedeutung zu, gewissermaßen ohne Umwege, ohne Umdenken. Bei weniger konventionellen Ausdrücken werden weitere Hirn-Areale eingesetzt, die bei der Verarbeitung von einfacher, "wörtlicher" Sprache nicht aktiviert würden. Das ist für Linguisten natürlich ein schöner neurologischer Beleg für die psychologische Bedeutung unterschiedlich starker Konventionalisierung von Sprache.

Das Ich, das durch die Zeit wandert

SZ: Welche Rolle spielen die Verhaltensforscher?

Sprachwissenschaften: Hans-Jörg Schmid ist Professor für Moderne Englische Sprachwissenschaft.

Hans-Jörg Schmid ist Professor für Moderne Englische Sprachwissenschaft.

(Foto: Foto: oh)

Schmid: Sie schauen beispielsweise auf die Gestik: Eine Frau spricht über eine Beziehung zu einem Mann. Sie sagt, es sei immer so ein Auf und Ab gewesen, es sei von ganz steil oben an und dann nach einer Abflachung immer etwas hoch und runter gegangen.

Und dazu macht die Sprecherin eine kreative Kurvenbewegung mit der Hand, während die Metapher - eine Beziehung als Weg, der Höhen und Tiefen hat - ja sehr konventionell ist.

Die Gestik zeigt also, dass eine Standard-Metapher trotzdem im Bewusstsein sehr konkret wird, wenn man intensiv über ein Thema spricht - sonst wäre die Handbewegung nicht so bedacht und individuell, also eine metaphorische Gestik, die weit über das Standardrepertoire hinausgeht.

SZ: Eine solche Metapher beschreibt einen zeitlichen Ablauf mit räumlichen Begriffen. Das ist wohl eine der ältesten "übertragenen" Bedeutungen?

Schmid: Ja, das scheint in der Entwicklung des Menschen eine lange Geschichte zu haben. Auch in der kindlichen Entwicklung kommen solche Konzepte früh zur Anwendung. In neurologischen Tests kann man zeigen, dass Hirnareale, die mit räumlicher Wahrnehmung zu tun haben, aktiv sind, wenn konventionelle Zeit-Metaphern verwendet werden, wie "Wir nähern uns Ostern".

Interessant ist, dass räumliche Zeit-Metaphern auf zwei verschiedene Arten konzeptualisiert werden: Die eine Vorstellung ist das Ich, das durch die Zeit wandert; die andere ist die, dass es die Zeit ist, die sich bewegt, während das Ich stehenbleibt.

Nicht bloß ein Etikett

SZ: Nach der klassischen Lehre von der "Übertragung", also von der Metapher als Ersatz des "eigentlichen" durch ein "uneigentliches" Wort, hat es ja in der Moderne Kritik an solchen Definitionen gegeben - auch um zu betonen, dass die Metapher nicht bloß ein anderes Etikett einer klar definierten Sache ist, sondern einen eigenen Erkenntnisgewinn darstellt. Wird das durch die Sprachwissenschaft heute bestätigt?

Schmid: Durchaus. Die Vertreter einer solchen Position untersuchen natürlich in ihren Studien eher besondere, starke Metaphern, und nicht die erstarrten, die "toten".

Aber man kann auch zeigen, dass die "toten" Metaphern in einem intensiven Gespräch wiederbelebt werden können und dann wirklich einen über eine reine Vokabel hinausgehenden, zusätzlichen inhaltlichen Wert haben. Das gilt erst recht für Metaphern mit einem gewissen Grad von "Neuigkeit".

SZ: Eine Metapher ist also mehr als der Ersatz eines Wortes durch ein anderes?

Schmid: Nehmen Sie den Satz "Dieser Chirurg ist ein Metzger." Die Aussagekraft des Bildes ist nur damit zu erklären, dass man zusätzliche Wissensbestände in die Wörter hineinprojiziert. Der Metzger arbeitet ja durchaus auch akkurat und versteht sein Handwerk; die Unterstellung, dass der Metzger unfähig sei, ergibt sich nur aus der Kombination der beiden Bereiche "Chirurg" und "Metzger".

Dies ist jedenfalls keine einfache "Übertragung" dessen, was der Metzger tut, auf das, was der Chirurg tut. Man betrachte die Umkehrung: "Dieser Metzger ist ein Chirurg." Da ist dann der Metzger gar nicht mehr negativ konnotiert, obwohl der Chirurg ja auch ein durchaus blutiges Handwerk hat.

Metaphern im Wirtschaftsteil

SZ: Metaphern als Erkenntnis- und Ausdruckshilfe?

Schmid: Ja. Sie werden gerne verwendet, um Abstraktes zu konkretisieren: Zeit, Emotionen, das Leben, komplexe Institutionen werden mit Metaphern gefasst, weil sie sonst so schlecht greifbar sind.

Nehmen Sie das jüngste "Unwort des Jahres", die "notleidenden Banken": Wir konzeptualisieren Institutionen gerne als Personen, in diesem Fall als Patienten. Schlagen Sie eine Seite im Wirtschaftsteil auf - sie wimmelt nur so vor metaphorischen Ausdrücken. Dasselbe gilt für die Sprache der Religion.

SZ: Metaphern haben ja eine Geschichte, Konventionsbestände wie die Bibel liefern bis heute viel Material; zugleich sind neue Metaphern Ausdruck ihrer Zeit, etwa wenn Phänomene aus der Sphäre von Computern und Elektronik auf die analoge Sphäre übertragen werden.

Schmid: Das läuft sogar in zwei Richtungen ab: Der "Speicher" des Computers ist im Englischen einst mit einer antropomorphen Metapher benannt worden, nämlich "memory" - heute geht die Übertragung in die umgekehrte Richtung, indem wir das Gehirn mit der Metaphorik des Computers zu verstehen suchen: wenn wir also am Morgen "langsam hochfahren", wenn "der Akku leer ist" und so weiter. Vielen ist die Elektronik schon sehr ans Herz gewachsen - um es metaphorisch auszudrücken.

SZ: Ist der Kontakt zwischen Natur- und Sprachwissenschaften ohne Vorbehalte? In manchen Bereichen der Geisteswissenschaften hat man ja eher Angst vor Messbarkeit, etwa davor, dass die Hirnforscher den freien Willen abschaffen.

Schmid: Natürlich gibt es diese Vorbehalte. Die Sprachwissenschaft nimmt da eher eine Mittelstellung ein. Zwar gibt es immer noch Linguisten, die Sprache nur aus sich heraus erklären wollen, nach altem strukturalistischen Muster. Aber sie sind zunehmend in der Minderheit.

Derzeit wächst das Interesse immens, die Brücke zu den Neurowissenschaften auszubauen. Manche wollen dann gar versuchen, sprachliche Strukturen mit Erkenntnissen über das Gehirn exakt in Einklang zu bringen. Ich wäre da etwas vorsichtiger, weil ich glaube, dass noch ein kognitives System dazwischen steht, das ein eigenes Recht hat und nicht rein physiologisch erklärt werden kann. Hinzu kommen kulturelle Besonderheiten.

SZ: Aristoteles sagt, zur Bildung von Metaphern brauche man eine besondere Begabung. Metaphern sind "poetischer" als nichtmetaphorische Ausdrücke. Müssen wir befürchten, dass die modernen Gehirnmessmaschinen jetzt auch an die Köpfe unserer Dichter angelegt werden?

Schmid: Ein Dichter, der viel auf sich hält, wird das wohl nicht machen wollen - aber ich gestehe, eine solche Untersuchung wäre durchaus interessant. Für mich wäre das keine Horrorvision - für viele aber wäre es heikel, weil damit die poetische Person und ihre Kreativität im Kern berührt würden.

Aber "poetische" Metaphern werden keineswegs nur von Dichtern in ihrer stillen Kammer produziert - sondern in großem Maße auch im Journalismus, in der Werbung oder in der Subkultur.

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