Debütroman:Die Bestie in Menschengestalt

Debütroman: Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2018. 476 Seiten. 24 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2018. 476 Seiten. 24 Euro. E-Book 15,99 Euro.

(Foto: Frankfurter Verlagsanstalt)

Die ambitionierte Jungautorin Mareike Fallwickl schreibt in ihrem Debütroman aus verschiedenen Perspektiven über eine vergiftete Freundschaft. Das Ende ist geschickt inszeniert.

Von Christoph Schröder

Der naturwissenschaftliche Begriff der Toxizität hat sich mittlerweile auch im zwischenmenschlichen Bereich zur Beschreibung ungesunder Beziehungen etabliert. Toxisch sind in Mareike Fallwickls Roman gleich mehrere Konstellationen. Doch im Zentrum steht die Freundschaft zwischen Moritz, genannt Motz, und Raffael, genannt Raf. Die beiden sind gleichaltrig, geboren zu Beginn der Achtzigerjahre, lernen sich im Kindergarten kennen, verlieren sich aber zu Beginn des neuen Jahrtausends, aus Gründen, die sich im Verlauf der Handlung nach und nach herausschälen - und treffen sich an einem regnerischen Abend im Jahr 2017 wieder. Da nämlich steht, und so eröffnet Fallwickl ihr Buch, Raffael unangemeldet vor Moritz' Tür und lächelt; ein "Lächeln, das Männer versöhnlich macht und Frauen ruhelos."

Sein ersehntes Gegenüber will er gewissermaßen aus dem Nichts zu sich herbeisaugen

Mareike Fallwickl, Jahrgang 1983 wie ihre beiden Protagonisten auch, erzählt ihre Geschichte chronologisch ungeordnet und wechselweise aus verschiedenen Perspektiven: Moritz und Johanna, die als jugendliche Waise in das österreichische Dorf kommt, in dem die beiden Jungen aufwachsen, und die zum Spielball der Interessen wird, werden in der dritten Person geschildert; Marie, Moritz' Mutter, spricht aus der Ich-Perspektive, wobei der Tonfall der einzelnen Erzählstränge sich kaum voneinander unterscheidet. Raffael selbst bleibt die große Leerstelle.

Mareike Fallwickl betreibt seit 2009 den Literaturblog "Bücherwurmloch", und es ist ihrem Roman, erschienen als Spitzentitel in der Frankfurter Verlagsanstalt, von Beginn an deutlich anzumerken, dass er nicht nur dick, sondern auch groß sein will: Große Gefühle (das Wort "Emotionen" gleich zweimal auf der zweiten Seite), große Katastrophen, große Bilder.

Es stellt sich allerdings schnell der Verdacht ein, dass die Ambitionen und die sprachlichen Möglichkeiten der Autorin in einem, ja: toxischen Verhältnis zueinander stehen. Denn der viel zu lange Text braucht als Rechtfertigung dafür, eine recht banale Konstellation weitschweifig zu erzählen, gleich mehrere Antriebsfedern, die die Mechanik am Laufen halten: Raffael, der blonde, blauäugige Bub, wird zu einem dämonischen Charakter aufgeblasen, der von früher Kindheit an seine Familie und deren Umfeld nach Belieben zu manipulieren imstande ist.

Raffaels Familie lebt in einem Dorf in der Nähe von Salzburg. Die Mutter, die ein ehemaliges Model ist, schwankt zwischen Apathie und Depression hin und her; der Vater verdient das Geld und ist, versteht sich, ebenfalls ein teuflischer Manipulator. Dass seine Dämonie sich bruchlos auf den Sohn übertragen haben soll, ist eines von zahlreichen Stereotypen, unter denen "Dunkelgrün fast schwarz" leidet. Moritz wiederum ist das ungewollte Produkt eines One-Night-Stands. Alexander, der Vater, bringt in Wien sein Medizinstudium zu Ende, während Marie mit den zwei gemeinsamen Kindern in Alexanders Elternhaus zieht, um zu warten, bis Alexander nachkommt und die Praxis seines Vaters übernimmt.

Jene Passagen, in denen Marie über ihre Fremdheit und Einsamkeit im sozialen Gefüge des Dorfs erzählt, gehören zu den stärksten Passagen des Romans. Hier dreht Fallwickl sprachlich nicht auf, sondern findet einen ruhigen Beobachtungston, der ansonsten von einem Übermaß von allem überdröhnt wird: Die zahlreichen Metaphern wirken gesucht und nicht selten schief ("grausig riecht es und gruftig, nach saurem Käse und schwarzgeriebenen Fingern").

Sein ersehntes Gegenüber will er gewissermaßen aus dem Nichts zu sich herbeisaugen

Moritz' synästhetische Wahrnehmung, der der Roman seinen Titel verdankt, kommt allenfalls als dekoratives Accessoire daher, das den Text schön bunt macht, aber keinerlei Verweischarakter hat. Die Gedanken- und Lebenswelten vor allem der Männer sind reich an Klischees, wie man sie sonst in Frauenzeitschriften findet: Gemeinsam saufen gehen und in Jogginghosen vor dem Fernseher abhängen und Bier trinken. Der klassische Männerabend.

Weitaus gravierender allerdings ist der Umstand, dass Mareike Fallwickl das klassische "Show, don't tell"-Prinzip geradezu zwangsläufig vernachlässigen muss. Weil sie die psychologische Tiefe und charakterliche Abgründigkeit der Raffael-Figur, die der Motor der Handlung ist, nicht erzählerisch ausführen kann, muss sie immer wieder und wieder behauptet werden.

Erst gegen Ende entwickelt "Dunkelgrün fast schwarz" noch einmal einen kleinen Anflug von Spannung, weil die Auflösung der unheilvollen Dreiecksgeschichte zwischen Ralf, Motz und Johanna dann doch ganz geschickt inszeniert wird. Bis es so weit kommt, hat Mareike Fallwickl allerdings eine anstrengende Überdosis an Drama, Sex, Gewalt, gewalttätigem Sex und Verruchtheit in ihren Debütroman gepackt.

Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2018. 476 Seiten, 24 Euro. E-Book 15,99 Euro.

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