Neue Technik:Wenn der Anhänger das Fahrrad schiebt

Dießen Anhängerantrieb ELECTRAIL Erfinder Peter Ostermeier und Andreas Schell

Der Elektroantrieb der beiden Erfinder Peter Ostermeier (li.) und Andreas Schell passt in viele Hänger.

(Foto: Nila Thiel)
  • Mit einem Bausatz lassen sich nun Elektromotoren samt Akku und Steuereinheit für Fahrrad-Anhänger nachrüsten.
  • Erdacht haben das System Peter Ostermeier und Andreas Schell, zwei Techniker vom Ammersee.
  • Die beiden Tüftler sehen sich nun sich an der Schwelle für den Einstieg in eine Kleinserie mit ihrer Firma "Electrail".

Von Otto Fritscher

Bei Automobilen ist die Frage, ob Vorder- oder Hinterradantrieb besser ist, leicht zu beantworten. Beide haben ihre Vor- und Nachteile, beide haben ihre Fans. Bei Fahrrädern ist es fast ausschließlich das Hinterrad, auf das die Kette die Kraft überträgt. Nur für die immer beliebteren E-Bikes werden Umrüstsätze für das Vorderrad angeboten, diese spielen aber kaum eine Rolle auf dem Markt.

Es gibt aber noch eine andere, bislang wenig verbreitete Art, ein Fahrrad anzuschieben - und zwar immer nur dann, wenn mehr Kraft nötig ist, etwa um einen Anhänger mit Kindern zu ziehen. Für solche Einsatzzwecke haben zwei Techniker vom Ammersees einen speziellen Anhänger entwickelt, der selbst elektrisch angetrieben wird. Als Zugmaschine dient jedes beliebige normale Rad, sofern es über eine Anhängerkupplung verfügt.

Peter Ostermeier und Andreas Schell, der eine Maschinenbauer, der andere promovierter Chemiker und Elektronikspezialist, beschäftigen sich seit bald sieben Jahren mit der Idee, Fahrrad-Anhänger zu elektrifizieren. Der Vorteil: Nicht immer will man mit einem gewichtigen und kostspieligen E-Bike unterwegs sein. Für manche Einsatzzwecke entlastet Power aus der Batterie den Radler aber gewaltig - beim Bergauffahren oder beim Radeln mit viel Gepäck. So entstand die Idee, den E-Motor direkt in den Anhänger einzupflanzen.

Was recht einfach klingt, erwies sich in der Praxis als komplex. Schnell war klar, dass nur ein Radnabenmotor in Frage kommt; das Rad mit dem angeflanschten E-Motor wird gegen das Originalrad des Hängers getauscht. Die Leistung ist auf 250 Watt begrenzt, der Vortrieb hilft bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern - wer schneller sein will, ist auf die Kraft seiner Wadln angewiesen. Der Strom stammt aus einem Lithium-Ionen-Akku, der vier Kilogramm wiegt und im Anhänger selbst platziert wird.

Zusatz-Power per Knopfdruck

Gesteuert wird der E-Motor per Funk von einer Platine in einem kleinen Plastikgehäuse. Das Kästchen wird auf der Innenseite des linken Pedals befestigt. Per Knopfdruck wird der "Pedalfunk", wie Schell die Steuereinheit nennt, aktiviert. Sie misst unter anderem, wie schnell sich das Pedal dreht, errechnet daraus Tempo und andere Parameter. Gesendet wird auf einer Industriefrequenz, wie sie auch in der Medizintechnik verwendet wird.

Den Software-Code hat Schell selbst geschrieben, und bei der momentanen Kleinserie lötet er auch noch die diversen Sensoren, Schalter und Transistoren selbst auf die Platine. Das Gehäuse fertigt Ostermeier im Keller seines Wohnhauses mit einem 3D-Drucker, bei Bedarf stehen auch eine CAD-Fräsmaschine und eine Schreinerwerkstatt bereit, um etwa einen neuen Unterbau für einen Anhänger zu fertigen.

Verzögert wird nur mit den Fahrradbremsen

Ihre Komponenten beziehen die beiden von Großhändlern. "Seitdem Smartphones so verbreitet sind, ist es kein Problem, die modernsten Sensoren und andere Elektronikkomponenten zu bekommen", sagt Schell. Großen Wert haben Schell und Ostermeier auf möglichst simple Bedienung gelegt. So darf der Motor keinesfalls das Gespann anschieben, wenn es der Radler nicht wünscht; Kurvenfahrten müssen genauso sicher sein wie das Pedalieren geradeaus.

Und wie fährt man nun? Nach dem Einschalten des Pedalfunks muss der Radler zwei Mal im Freilauf rückwärts treten, so als ob er eine Rücktrittbremse betätigen würde. Nun ist der E-Motor bereit, und wenn der Radler - wie bei einem E-Bike - in die Pedale tritt, schaltet sich der E-Motor zu. Hört man auf zu treten, meldet sich der Antrieb im Anhänger wieder ab. Drei Leistungsstufen sind wählbar. Geregelt wird die Höchstgeschwindigkeit, die dann mit Elektro-Unterstützung erreicht werden kann: elf, 16 oder 25 km/h - was für eine Fuhre mit einem bis zu 50 Kilogramm schweren Anhänger ganz schön schnell ist. Beim Bremsen ist man allein auf die Wirkung der Fahrradbremsen angewiesen.

Schell und Ostermeier tüfteln weiter

Mehrere Jahre haben die Tüftler entwickelt, verbessert, wieder verworfen und optimiert, doch nun sehen sie sich an der Schwelle für eine größere Stückzahl, für den Einstieg in eine Kleinserie mit ihrer Firma "Electrail". Ihr Firmenslogan: "Ich schieb Dich". Schell und Ostermeier haben "Basic Kits" entwickelt, mit denen sich Anhänger schnell in E-Anhänger verwandeln lassen. Sie enthalten das zu tauschende Rad mit dem Nabenmotor, den Akku und die Steuereinheit. Die Preise liegen zwischen 1100 und 1500 Euro.

Schell und Ostermeier sehen die Einsatzmöglichkeiten für E-Anhänger und die Technik noch lange nicht ausgereizt. So tüftelt Schell bereits an einer Auflaufbremse, die den Anhänger abbremsen und die Energie im Akku speichern könnte. So wie bei einem Elektroauto - egal, ob mit Front- oder Heckantrieb.

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