Künstlerin Cindy Sherman:"Ich will dicke, pickelige Menschen sehen"

Cindy Sherman spricht über den Schönheitswahn, ihre Rollenspiele und verstörende Sex-Bilder.

Holger Liebs

Riesengroße, blütenweiße, sozusagen klinisch reine Räume hat sie, die Galerie Sprüth/Magers in Berlin, nur einen Steinwurf von der Museumsinsel entfernt. Cindy Sherman ist überraschend zierlich - und sehr hübsch. Kein Kaffee, danke. Sie nippt kurz an ihrem Wasser. Dann ein freundlich amüsierter, bisschen ironischer Blick: So schaut eine Frau, über die schon einige Regalmeter Bücher geschrieben wurden. Eine, die denkt: Schauen wir mal, was jetzt noch kommt. Am Ende dauert das Gespräch doch fast zwei Stunden. Und: Die Frau mit den tausend ernsten Foto-Gesichtern, sie kann lachen. Und wie.

Künstlerin Cindy Sherman: Ein seltener Anblick: Cindy Sherman als sie selbst.

Ein seltener Anblick: Cindy Sherman als sie selbst.

(Foto: Foto: o.H.)

SZ: So sehen Sie also aus.

Cindy Sherman: Wieso? Ist das jetzt so neu für Sie?

SZ: In Ihren Fotografien sind Sie immer verkleidet. Sie tragen Masken.

Sherman: Ja, aber man kann mich schon häufig erkennen. Wissen Sie was? Ich bin sogar mal ziemlich angegriffen worden - weil ich in manchen meiner Arbeiten nur spärlich bekleidet posiert habe. In der "Centerfold"-Serie zum Beispiel war ich gar nicht maskiert. Die entstand vor 17 Jahren. Ich war mal zu einem Vortrag an die New Yorker "School of Visual Arts" geladen. Die Studenten dort sind ziemlich aggressiv, sie wollen allen beweisen, wie smart sie sind. Sie suchen immer nach deinem schwachen Punkt. Und sie meinten, die Foto-Serie sehe aus wie aus einem Trash-Pornomagazin entnommen.

SZ:  Inwiefern?

Sherman: Naja, die Frauen, die ich darstellte, sahen angeblich so aus, als seien sie gerade vergewaltigt oder als sei ihnen die Seele aus dem Leib geprügelt worden. Und gleichzeitig sexy, als ob es ihnen auch noch gefallen hätte. Das müssen Sie sich mal vorstellen.

SZ: Hm. Verstörend sind Ihre Bilder ja schon.

Sherman: Ja, aber doch nicht so! Das war nie meine Absicht.

SZ: Eigentlich sind Sie ja eine Lieblingskünstlerin der sogenannten "gender studies", die sich mit weiblichen Rollenklischees beschäftigen. Sie stellen festgefügte Identitätsmodelle in Frage.

Sherman: Ja, aber man kann nicht steuern, wie andere deine Bilder sehen. Ich habe das aufgegeben. Manchmal besuche ich einen meiner Sammler zu Hause und sehe eine Arbeit von mir über dem Bett hängen ...

SZ: ... etwa die "Sex Pictures"? Wo man Sie gar nicht sieht, nur bestimmte künstliche Körperteile, zum Beispiel die von Sexpuppen?

Sherman: Genau. Und dann denke ich: Oha, da hat jemand aber wirklich etwas falsch verstanden. Die "Sex Pictures" sind wirklich grauenhaft, eklig. Und der findet das auch noch sexy! Ich denke dann so bei mir: Das erzählt mir mehr über dich, als ich wissen will.

SZ: Aber wo kommt dieser Hang zum Rollenspiel denn her? Sie haben ja das Spiel mit der eigenen Identität schon in ganz jungem Alter thematisiert. In ein Fotoalbum schrieben Sie in den Sechzigern unter jedes Kinderbild von ihnen mit Krakelschrift: "That's me", das bin ich.

Sherman: Ja. Das Verkleiden ist ein universeller Habitus, denke ich. Ich habe von vielen Frauen gehört, die sich als Kinder verkleidet haben. Das ist ein zutiefst menschliches Verlangen. Es ist vielleicht nicht gerade üblich, so ein Buch zu machen, so etwas unter die Fotos zu schreiben - aber schon Kinder wollen sich doch immerfort selbst erkennen. Sie schauen sich Gruppenporträts an, etwa aus der Schule, und dann zeigen sie mit dem Finger drauf und sagen: Da bin ich. Für mich war die Frage aber immer eher: Wer bin ich? Mag ich mich so oder lieber anders?

SZ: Und deshalb verhüllen Sie sich. Sie stellen sich zwar immer selbst dar, aber stets in neuen Verkleidungen und Masken.

Sherman: Oder ich nehme einfach nur verschiedene Posen ein. Manchmal, wenn ich frühere Bilder von mir anschaue, denke ich: So wie diese Schauspielerin mit den langen blonden Haaren bin ich inzwischen wirklich geworden.

SZ: Ist Ihnen das unheimlich?

Sherman: Es ist verstörend. Wobei es ja einfacher ist, jemanden darzustellen, der älter ist, als wenn ich heute noch einmal diese junge Frau darstellen wollte. Ich werde schließlich auch älter.

SZ: Gerade wollte ich das Gegenteil behaupten ...

Sherman: Naja ... danke.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Frauen in Shermans neuer Foto-Serie nur noch bröckelnde Fassaden sind.

Nicht bizarr genug

SZ: Selbst in Ihrer neuen Foto-Serie sehen die Frauen, die Sie darstellen, erheblich älter aus als Sie selbst. Erschreckend zum Teil. Wie bröckelnde Fassaden.

Sherman: Ja, manche sehen kalt aus, manche scheinen Angst zu haben, manche verstecken sich hinter einer Fassade des Glücks. Hinter einer Konvention.

SZ: Was sind das für Frauen?

Sherman: Sie haben viel erreicht. Aber sie haben auch viel dafür geopfert. Es sind intensive Persönlichkeiten, in gewisser Weise Borderline-Figuren. Und jetzt sind sie reich genug, um jemanden zu beauftragen, ein offizielles Porträt von ihnen anzufertigen. Das Resultat erinnert an Cartoons oder Karikaturen.

SZ: Kommt mir irgendwie bekannt vor. Bestimmte Porträts aus Luxus-Wohnzeitschriften zum Beispiel sehen so aus.

Sherman: Und auch im Internet habe ich viele dieser Gesellschafts-Porträts gefunden. Vor allem in Großbritannien werden diese Art Bilder gemacht. Diese Damen wissen, wie man sich benimmt. Sie schmeißen sich in Pose, als wollten sie sagen: Seht mal, wie toll ich bin. Sie versuchen Haltung zu bewahren, aber irgendwie dringen ihnen die Furcht und der Schmerz aus jeder Pore.

SZ:  Traurig.

Sherman: Ja, und als ich an der Serie arbeitete, fühlte ich mich auch nicht ganz wohl dabei. Weil ich dachte: Die sehen mir zu ähnlich. Die Frauen waren nicht bizarr genug. Darum habe ich die Bilder viel größer gemacht. Sie wurden dramatischer, großartiger.

SZ: Sodass sie fremdartiger wirken?

Sherman: Genau. Aber die Vergrößerung war auch ein Kommentar zum Kunstmarkt.

SZ: Allein die Vergrößerung?

Sherman: Ja, so viel Kunst in der letzten Zeit, die von Männern gemacht wurde, ist so riesig. Selbst New Yorker Künstler, die niemand kannte, schienen direkt aus dem Atelier fürs Museum zu arbeiten - jedenfalls, wenn man die Formate ihrer Arbeiten betrachtete.

SZ: Sie spielen auch auf Jeff Koons & Co. an?

Sherman: Ja. Das alles war wie gemacht für einen reichen Haushalt. Nur Reiche konnten sich diese Formate leisten.

SZ: Und jetzt kommen Sie und porträtieren genau diesen Typ von Sammler. Oder jedenfalls kulturaffine Frauen. Und zwar riesengroß.

Sherman: Und zwar genau aus diesem Grund. Haben Sie bemerkt, dass Künstlerinnen praktisch nie derart großformatig arbeiten?

SZ: Das kann sein. Von Niki de St. Phalle vielleicht abgesehen.

Sherman: Gut, das war eine Ausnahme. Aber sonst?

SZ: Glauben Sie denn, dass diese "Wer-hat-den-Größten"-Kunst vorbei ist? Jetzt, wo der Kunstmarkt heftig durchgeschüttelt wird?

Sherman: Oh ja. Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass das nicht schon viel früher passiert ist. Wirklich. Es ist gut so.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Menschen in Krisenzeiten mehr Energie haben.

Gruseliges Maskenspiel

SZ: Glauben Sie auch, dass nun, in Krisenzeiten, bessere Kunst entsteht?

Sherman: Ja. Ich habe das ja schon einmal erlebt, in den achtziger Jahren. Damals drehte der Markt wirklich durch. Es war gut, dass danach bestimmte Kunstwerke von der Bildfläche verschwanden. Davor, vor dem großen Boom jener Zeit, gab es eigentlich nur ganz wenige Galerien, Leo Castelli und Illeana Sonnabend, oder Marian Goodman vielleicht. Wir machten Kunst und haben uns um Geld nicht gekümmert. Viele arbeiteten nebenher als Taxifahrer oder haben gekellnert. Die Kunstszene war wirklich lebendig - gut, auch deswegen, weil wir alle viel jünger waren.

SZ: Und Sie, als was haben Sie gearbeitet?

Sherman: Ich saß am Eingang einer kleinen, alternativen Galerie. Als "Receptionist". Dort habe ich auch Pauline Hanson kennengelernt, die Direktorin der Galerie. Mit "Metro Pictures" arbeite ich heute noch zusammen. Das waren die wichtigen Orte. Es ging um Experimente, um das Crossover zwischen Musik, Performance, Theater und Kunst. Die Menschen besaßen einfach mehr Energie. Und es ging nicht so sehr darum, wie viel die Dinge kosten.

SZ: Sie sind auf Long Island aufgewachsen, haben in Buffalo studiert. Warum gingen Sie 1977 nach New York?

Sherman: Ich habe von der Regierung ein Stipendium über 3000 Dollar bekommen. Ich hatte ein bisschen Angst vor der Stadt. Sie hat mich eingeschüchtert. Obwohl ich in der Nähe von New York aufgewachsen bin. Aber meine Eltern haben immer gesagt, nimm' dich in acht vor New York. Eines Tages habe ich dann mitten in Manhattan auf der Straße jemanden aus Buffalo getroffen. Da habe ich gemerkt: New York ist ein Dorf! In gewisser Weise war Manhattan, zumindest damals, eine Kleinstadt. Die Szene war sehr überschaubar.

SZ: Es war gar nicht zum Fürchten.

Sherman: Genau. Man ging ins CBGB's oder in den Mudd Club. Das Max's Kansas City zeigte Experimentalfilme. Die Welt war klein.

SZ: Sie sind heute mit David Byrne zusammen. Seine Band, die "Talking Heads", waren damals schon ganz groß. Kannten Sie Byrne von früher?

Sherman: Ich erinnere mich genau an ihn, zum Beispiel daran, wie er sich damals bewegte, er war ja bekannt. "Blondie" waren damals auch groß. Aber wenn ich überlege - ich habe ihn damals nicht kennengelernt. Wahrscheinlich war ich zu schüchtern. Ich wäre total verängstigt gewesen, wäre ich ihm begegnet.

SZ: Marlene Dietrich hat mal gesagt, sie sei zu Tode fotografiert worden. Sie fotografieren eigentlich nur sich selbst. Wie ergeht es ihnen? Fühlen Sie sich der Kamera ausgeliefert?

Sherman: Ich kann das nicht von mir behaupten, nein.

SZ: Hatten Sie nie das Gefühl, Sie entblößen sich zu sehr?

Sherman: Oh nein. Nur dass manchmal einige der Damen mir ein wenig zu ähnlich sehen. Dass sie ein wenig zu viel von mir zeigen. "Too close to home", sozusagen.

SZ: Ihre Kunst hat auch viel mit dem Unterschied von Privatperson und öffentlichem Auftreten zu tun. Öffentlich muss man Haltung bewahren. Das lehren im 20. Jahrhundert viele Theorien gerade über das Verhalten in Krisenzeiten. Gottfried Benn hat es mal so formuliert: Außen ein Earl, innen ein Paria.

Sherman: Wow. Ich weiß aber nicht, ob das so viel mit meiner Kunst zu tun hat. Vielleicht am ehesten mit meinen neuen Arbeiten. Dass die Damen eigentlich verzweifelt sind, aber dennoch Haltung bewahren. Ich mag ja meine "Clowns"-Serie sehr gern. Da funktioniert dieses Maskenspiel nicht, es geht auf ziemlich gruselige Weise schief. In meiner Online-Recherche habe ich die groteskesten Clownsgestalten entdeckt. Diese Leute wollen Kinder zum Lachen bringen - sehen aber aus wie fehlgeleitete Alkoholiker.

SZ: Die Würde geht ihnen ab. Sie verlieren sie.

Sherman: Ja.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Modemagazine beängstigend sind.

Als Alphamännchen posieren

SZ: Wie tritt man denn als Künstler heute in der Öffentlichkeit auf? Manche Ihrer Kollegen sind ja regelrechte Stars.

Sherman: Ja, da verwechseln Künstler etwas. Sie denken, sie sind ein "Hot Property", schwer angesagt. Vielleicht denken sie, dass sie Damien Hirst Konkurrenz machen müssen. Aber das geht natürlich nicht. Sie treffen dann falsche Entscheidungen. Nein, ich glaube nicht, dass Künstler Celebrities sein sollten. In London sieht man das häufiger.

SZ: Was würde von diesen Menschen bleiben, wenn ihr Rollenspiel wegfiele? Wenig, oder?

Sherman: Das mag sein. Wobei: Selbst die angeblich so unschuldigen Tiere spielen Rollen. Gorillas posieren als Alphamännchen. Menschen tricksen sich häufiger aus, aber Tiere tun es auch. Es geht immer um Attraktion und um Erfolg.

SZ: In der großartigen TV-Serie "Mad Men" sagt ein Werbemensch: "Was Sie Liebe nennen, wurde von Leuten wie mir erfunden, um Unterwäsche zu verkaufen." Ist alles nur ein Spiel?

Sherman: Nein, das ist zynisch. Aber Modemagazine zum Beispiel sind schon beängstigend. Ich habe einige abonniert. Das Ausmaß an Photoshop-Korrekturen, die gemacht werden, um einem öffentlichen Image der Frauen zu enstprechen, ist grotesk.

SZ: Auch in der Mode gibt es die Illusion von Echtheit. In den Pseudo-Porno-Bildern von Terry Richardson zum Beispiel.

Sherman: Aber diese Bilder sind total künstlich. Und was sie künstlich macht, ist die Wahl der Frauen. Ich sähe gerne mehr dicke, pickelige Menschen in Modemagazinen. Nicht, dass ich mir Pornos anschaue, aber in den Bildern, die ich kenne, geht es nur um "Bikini-Lines" - man achtet darauf, dass nicht auch nur ein Härchen zu sehen ist. Wer will denn all' diese Fake-Titten, bitteschön? Interessanterweise hat die Industrie ein Problem, seit es High Definition-TV gibt - weil man jetzt jeden noch so kleinen Mangel an Perfektion erkennen kann. Und schon ist's vorbei mit der Aura des Künstlichen.

SZ: Man sieht die Pickel auf dem Hintern.

Sherman: Absolut. Pech gehabt.

SZ: Mögen Sie die Frauen in Ihren Bildern? Gehören sie zur Familie?

Sherman: Hm. Manche hasse ich regelrecht. Ich denke dann, sie waren Fehler.

SZ: Aber Sie haben sie alle selbst erfunden!

Sherman: Es gibt schon eine, aus der Serie "Hollywood/Hampton Types". So eine kleine Mausartige, über und über mit Sommersprossen bedeckt. Die möchte man am liebsten umarmen und ihr sagen: Das wird schon wieder.

Cindy Shermans Lieblingsmodell ist: Cindy Sherman. Indem sie die Kamera auf sich selbst richtete, wurde die Fotografin zu einer der wichtigsten Künstlerinnen unserer Zeit. 1954 in New Jersey geboren, wuchs sie als jüngstes von fünf Kindern auf Long Island auf - im Studium in Buffalo entdeckte sie schnell, dass das Malen nichts für sie war. Seit 1977 porträtiert sie sich selbst beim Rollenspiel, etwa in ihren berühmten "Untitled Film Stills". Sie posiert als gestresste Business-Woman, Tänzerin, Clown, Monster, B-Movie-Schauspielerin, auch stellt sie Figuren berühmter Gemälde nach. Ihre jüngste Serie älterer, verhärteter Frauen ist noch bis zum 18. April in der Berliner Galerie Sprüth/Magers zu sehen. Sherman lebt und arbeitet in New York.

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