Verkehrsentwicklung:Als München überlegte, die Mariensäule abzureißen - für Autos

Betriebschluss bei BMW in München, 1957

Betriebschluss bei BMW in München in den 50er Jahren. Noch beherrschen Fahr- und Motorräder das Straßenbild, dazu ein BMW-Isetta und ein VW Käfer.

(Foto: Heinz Hering/SZ-Foto)
  • Lange Zeit haben die Planer in München die Autofahrer favorisiert.
  • Nicht alle Vorschläge wurden umgesetzt - dadurch konnten zahlreiche Traditions-Gebäude erhalten bleiben.
  • Trotzdem wurden Häuser abgerissen und Schneisen geschlagen, wie ein neues Buch deutlich macht.

Von Günther Knoll

"Wenn's nicht mehr fahren können, dann bleiben die Stinkkarren halt stehen, und dann werden die Leut endlich gescheiter." Das, so erinnert sich Münchens Hans-Jochen Vogel, habe ihm sein Amtsvorgänger Thomas Wimmer beim Blick aus dem Rathausfenster auf die Blechlawine am Marienplatz gesagt.

Das war Mitte der Fünfzigerjahre, in München gab es damals viele, die die autogerechte Stadt forderten. Der Wimmer "Dammerl", wie die Münchner ihren volksnahen OB nannten, war da mit seiner Idee, durch den Verzicht auf Straßenausbau den Verkehr zu beruhigen, die Ausnahme, die meisten sahen zu Beginn dieser Wirtschaftswunderzeit den Marienplatz nur noch als Verkehrsknoten.

Dabei war der Platz ursprünglich Forum und Markt, also das Herz der Stadt. Und das blieb er auch, als 1807 der Marktbetrieb auf den Viktualienmarkt verlegt wurde. Man wertete ihn zur Promenade zum Flanieren auf. Als die Stadt aber nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs von 1945 bis 1948 in kurzer Zeit von 550 000 auf 800 0 00 Einwohner anwuchs, da war vor dem Straßenbauwahn kein noch so historischer Stein, kein Bauwerk mehr sicher.

Die Innenstadt könne nur lebendig bleiben, wenn der Verkehr dort möglichst ungehindert fließen könne, denn der sei die "lebenserhaltende Ader", schrieb das städtische Wiederaufbaureferat damals. Die Stadtwerke teilten diese Auffassung: Der nichtschienengebundene Verkehr sei wichtig für einen "blühende" Innenstadt. Sie schlugen vor, dafür die Trambahn im Herzen der Altstadt unter die Erde zu verlegen.

Der Autor und München-Kenner Axel Winterstein hat das alles in seinem neuen Buch "München und das Auto" ganz genau geschildert. Er greift dabei zeitlich weit zurück, weiter, als es der Untertitel "Verkehrsplanung im Zeichen der Moderne" besagt. Und er beschränkt sich nicht auf das Auto sowie Verkehrsmittel wie Tram und U-Bahn, er beleuchtet auch die Probleme der Stadtplanung allgemein, die von Verkehrsplanung nicht zu trennen ist. Auch nicht von militärischer Strategie.

In München wurde das erste Motorrad in Serie hergestellt

Denn als München 1796 von französischen und österreichischen Truppen umlagert war, sah Reichsgraf Rumford in dem verwinkelten Vorfeld des Walls ein militärisches Risiko. Er brachte den Magistrat dazu, einen befestigten Weg um die Stadt anlegen zu lassen. Man baute eine rund 3,2 Kilometer lange und etwa 14 Meter breite Straße vom Isartor bis zum Schwabing Tor - praktisch die erste Umgehungsstraße, auch wenn der Ring nicht geschlossen war.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts wuchs die Stadt dann auf fast eine halbe Million Einwohner an. Sie wurde "moderner" und damit auch verkehrsgerechter geplant mit breiteren Wegen und Durchlässen, obwohl hauptsächlich noch Pferdefuhrwerke und Kutschen unterwegs waren. So wurde der Färbergraben als Zufahrt zum Viktualienmarkt verbreitert, die Reichenbachstraße bis dorthin durchgezogen. Damals, so schreibt Winterstein, hätte München die Chance gehabt, "einen Ring wie in Wien zu schaffen".

Noch 1900 war München eine Stadt der Fußgänger, nur ein Drittel der Straßen war gepflastert. Dabei hatten die Münchner schon am 15. September 1888 eine folgenreiche Premiere erlebt: Im Zug der "1. Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung für das Kleingewerbe", bei der unter anderem ein Eierprüfer vorgestellt wurde, fuhr ein "patentierter Motorwagen der Firma Benz und Co" durch die Stadt. Die Münchner Neuesten Nachrichten (MNN) sollten Recht behalten mit der Prophezeiung, dieser "dürfte sich bald eines größeren Kreises von Liebhabern erfreuen". Denn die Motorisierung war nicht aufzuhalten. Schon 1894 entstand in der "Motorrad-Fahrrad-Fabrik München" das erste serienmäßig hergestellte Motorrad der Welt, 1899 war die Stadt Schauplatz der weltweit ersten Fahrprüfung und 1905 gab es die ersten Verkehrszeichen, die Fußgänger warnten: "Halt vor dem Automobil".

Das Auto hatte viele Jahre lang Vorfahrt

Dieses Denken sollte lange typisch bleiben: Vorfahrt dem Auto. Und anderen motorisierten Verkehrsmitteln: 1895 begann die Elektrifizierung der Tram, die damals noch von Pferden gezogen wurde. Schon 1905 gab das Verkehrsministerium den Auftrag für die Planung einer "Untergrundbahn" vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof. 1910 erhielt die Polizei eine Verkehrsabteilung mit fünf Polizisten, die den Münchner Verkehr regelten - und das bei 1302 Autos. 1925 wurde der erste Kilometer Straße im Forstenrieder Park mit einer Betondecke versehen, ein Münchner Konsortium hatte sich dafür stark gemacht. Und 1927 wurden am Hauptbahnhof dann "Lichtverkehrszeichen" installiert. Die MNN versuchten das Funktionieren dieser Ampel ihren Lesern so zu erklären: "Erscheint vor dir die Farbe rot, dann wirst du von Gefahr bedroht. . ."

Gefahr drohte von einer anderen Farbe: Als die Nationalsozialisten die Herrschaft übernahmen, war nichts vor ihrem Größenwahn sicher. In München waren 1933 etwa 30 000 Kraftfahrzeuge und 15 000 Motorräder registriert. Doch schon lief ein Reichsautobahn-Bauprogramm an: Bereits 1934 wurde bei Unterhaching mit großem Pomp das erste Teilstück eingeweiht. 1938 folgte die Autobahn nach Stuttgart. Zum Glück wurde die geplante Zufahrtsstraße nicht fertig, sie hätte den Nymphenburger Schlosspark beschädigt.

Marienplatz mit Trauerbeflaggung in München 1956

Ungewohntes Bild: Am Marienplatz war zum Gedenken an die Opfer des ungarischen Freiheitskampfes 1956 Verkehrsstille angesagt.

(Foto: Fritz Neuwirth)

Geplant waren auch ein neuer Bahnhof sowie die Zusammenführung der Autobahnen mitten in der Stadt in einem Kreisel, eine Idee, die sich noch länger hielt. Die "Hauptstadt der Bewegung" sollte ihren Namen auch wörtlich alle Ehre machen: Für die U-Bahn war am 22. Mai 1938 "festlicher Baubeginn"; ein Bahnhof und 590 Meter Gleisstrecke entstanden, die dienten aber als Luftschutzbunker und später der Zucht von Champignons. Denn für den U-Bahn-Bau war Pause bis 1965.

Nach dem Ende des braunen Spuks war Münchens Innenstadt zerstört, das einzige Verkehrsmittel war das Fahrrad. Doch schon sprach man von "Verkehrsnotwendigkeiten", plante "das neue München", wie Stadtbaurat Karl Meitinger sein Konzept nannte. Er wollte einen Park- und Verkehrsring rund um die Altstadt, um diese vom Schwerlastverkehr und parkenden Autos zu entlasten - damit der Verkehr umso besser fließen konnte.

Doch weil es an Geld fehlte, blieben alle Pläne zunächst in der Schublade. Dafür kam der folgende Stadtbaurat Högg auf die nicht neue Idee, "die drei Autobahnen an einem Punkt am Rand der Innenstadt unweit des Hauptbahnhofs zusammenzuführen und mit ihnen den als notwendig erkannten westlichen Teil einer Ringverbindung um die dicht bebaute Innenstadt von fünf Kilometern Durchmesser zu bilden". Nach einigen Jahren des Hin und Her wurde auch das verworfen.

Der Stachus war einmal der verkehrsreichste Platz Deutschlands

Schon 1948 hatte die Stadt einen Ideenwettbewerb für den Marienplatz ausgeschrieben. Vorrangig ging es dabei um eine Ostwestdurchfahrt. 364 Vorschläge gingen ein, sie reichten vom Abbruch des Alten Rathauses bis zur Entfernung der Mariensäule. Das Preisgericht sah "keine brauchbaren Projekte", doch dass München möglichst freie Fahrt für Autos brauchte, darüber herrschte Konsens. Dabei war das Auto damals eine teure Sache, man war schon froh, wenn man sich ein Goggomobil, eine Isetta oder einen Messerschmitt-Kabinenroller leisten konnte.

Trotzdem galt der Stachus 1950 als der verkehrsreichste Platz Deutschlands, ein Superlativ, auf den heute wohl kein Münchner stolz wäre. Und es wurde offenbar gefahren ohne Rücksicht auf Verluste: Die US-Militärregierung fragte sich, warum die Deutschen, die doch so viel auf Disziplin hielten, dies im Straßenverkehr nicht täten. Sie ließ "Verkehrsnottafeln" aufstellen, gelbe Schilder mit Totenkopf und der Aufschrift: Ein Verkehrstoter.

Um den Altstadtring und den Mittleren Ring zu verwirklichen, baute die Stadt später teure Tunnels. Und München heute? Fußgängerzonen, Radwege, Carsharing, öffentlicher Personennahverkehr mit 1,6 Millionen Fahrgästen täglich - trotzdem beherrschen Schadstoffe und Staus die öffentliche Diskussion.

Axel Winterstein: München und das Auto. Verkehrsplanung im Zeichen der Moderne. Verlag Friedrich Pustet, 2017, 168 Seiten, 12,95 Euro.

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