Theater:Männerdämmerung

Theater: Strindbergs Stück "Der Vater" als Spiel mit Geschlechteridentitäten: Julia Riedler und Daniel Lommatzsch (auf Video) und Wiebke Puls (vorne).

Strindbergs Stück "Der Vater" als Spiel mit Geschlechteridentitäten: Julia Riedler und Daniel Lommatzsch (auf Video) und Wiebke Puls (vorne).

(Foto: Thomas Aurin)

Nicolas Stemann inszeniert an den Münchner Kammerspielen August Strindbergs "Der Vater" als Beitrag zur Geschlechter-Debatte. Starker Tobak aus der Feder eines Frauenhassers.

Von Christine Dössel

Als Friedrich Nietzsche dereinst August Strindbergs Ehedrama "Der Vater" las, war er tief bewegt, wie er dem Autor brieflich mitteilte: "Es hat mich über alle Maßen überrascht, ein Werk kennen zu lernen, in dem mein eigener Begriff von Liebe - in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhass der Geschlechter - auf eine so grandiose Weise zum Ausdruck gebracht ist." Da haben sich zwei Frauenfeinde gefunden. Strindberg hatte sein Stück 1887 bewusst gegen die "Blaustrümpfe" geschrieben, gegen die Aktivistinnen der Emanzipationsbewegung, zu denen er natürlich auch Henrik Ibsens Nora zählte.

"Der Vater" ist starker Geschlechterkampf-Tobak - alter Schwede! Eine Frau, Laura, treibt darin mit einer Intrige ihren Mann in den Wahnsinn, ja, in den Tod. Der Konflikt entzündet sich an der Frage, wer über die Ausbildung und Zukunft von Tochter Bertha bestimmen darf. Vater Adolf, Herr auch über das Geld im Haus, pocht auf sein alleiniges Entscheidungsrecht. Woraufhin ihn Laura mit der Andeutung verunsichert, vielleicht sei er ja gar nicht der Vater. Adolf, der geschätzte Rittmeister und Wissenschaftler, wird daraufhin zum Rasenden und erleidet schlussendlich einen Schlaganfall. Auf die Frage, ob er tot sei, heißt es: "Nein, noch kann er wieder aufwachen. Aber was das für ein Erwachen sein wird, das wissen wir nicht." Grausiges Ende eines Familienoberhaupts. Für Nicolas Stemann: eine Männerdämmerung. Das Aus des Patriarchats.

Der scheidende Hausregisseur der Münchner Kammerspiele hat sich Strindbergs dramatischen Aufschrei für seine Abschiedsinszenierung an Matthias Lilienthals Theater vorgenommen. Nicolas Stemann und Chefdramaturg Benjamin von Blomberg - das wird in der Diskussion um die Kammerspiele oft vergessen - gehörten mit zu den Ersten, die das "Experiment Lilienthal" aufkündigten und sich anderweitig bewarben. Die beiden werden in der Saison 2019/20 die Intendanz am Schauspielhaus Zürich übernehmen. Mit dem "Vater" hinterlassen sie einen turbospaßigen, in Zügen albern-hysterischen, aber auch traurig-poetischen (und musikalisch elegischen) Beitrag zur aktuellen Debatte über Geschlechtergerechtigkeit, neuen Feminismus und neomännliche Gegenwehr.

Der Abend wird besser, je mehr er Raum lässt für die Verzweiflung in Strindbergs Text

Es ist ein Themenabend, der mit Stemann-typischem Diskurseifer und genderpolitischer Beflissenheit die Problematik des Stücks herausarbeitet und spielerisch durchdiskutiert, einschlägige Sekundärliteratur in szenischen Fußnoten inklusive. Ein Abend, der sich beim Hineinsteigern in die Thematik aber auch steigert. Der besser wird, je weniger besserwisserisch er sich gibt; je mehr er Raum lässt für Aporien und für die Verzweiflung, die aus Strindbergs Text dringt (eine Verzweiflung auch über die dem Mann zugewiesene Rolle). Am nachdrücklichsten ist das Verlustgefühl, das sich gegen Ende ausbreitet, gipfelnd in der Frage: "Wo ist die Liebe hin, die gesunde, sinnliche Liebe?"

Die Liebe zwischen zwei Menschen. Es ist die großartige Wiebke Puls, mit deren spätem Auftritt die Inszenierung buchstäblich in ein reiferes Stadium tritt. Sie vereint Mann und Frau, den Rittmeister und Laura, in einer Person, wenn sie in einem ausdrucksstarken Solo beider Dialogtext spricht - so eindringlich, todtraurig und bitterernst, dass die ganze Pathologie zum Tragen kommt. Sie sitzt dabei wie eine Psychiatriepatientin auf einem Stuhl, ganz ruhig, die Augen anfangs geschlossen, das eine ist blau geschlagen. Sie ist das Zwitterwesen aller Eheschlachten, trägt eine weite Hose und ein schlichtes Unterhemd. Kein BH darunter, keine Schminke, nur manchmal eine geschlechtsmarkierende Pose: die selbstgefällig verschränkten Arme des Vaters, sein (noch selbstverständliches) Manspreading. Bis er hört, dass er entmündigt werden soll. Ihre kalten Worte: "Deine Aufgabe als ein leider notwendiger Vater und als Versorger hast du nun erfüllt; du wirst nicht mehr gebraucht." Puls, die daraufhin die Bühne zerlegt. Und sich schließlich nach einer großen Männerwutrede selber in die Zwangsjacke steckt.

So endet stark, was ein wenig läppisch begann. Über weite Strecken bestreiten Julia Riedler und Daniel Lommatzsch den Abend im performerischen Alleingang. Anfangs sitzen sie auf dem Sofa und nähern sich dem Stück an, indem sie, wie fast immer in den Inszenierungen Stemanns, erst mal auf maximale Distanz dazu gehen. Also tragen sie im ironischen Ton Strindbergs Szenenanweisung vor, rattern gelangweilt die ersten Dialoge herunter, ohne dass man wüsste, wer da spricht und worum es geht, machen sich lustig drüber und improvisieren dazu, wobei das Handmikrofon als phallisches Hilfsmittel dient. Schon hier geht der Geschlechterkampf los - als Rollen(spiel)-Duell. Die Klage, dass "Mann und Frau dauernd gegeneinander ausgespielt werden", wird wörtlich genommen. Riedler, ohnehin eine Meisterin der Schnoddrigkeit, versucht ständig, den Kollegen Lommatzsch zu übertrumpfen, was ihr auch gelingt - vor allem dann, wenn sie direkt das Publikum adressiert und in einem Akt von "aggressivem Mitmachtheater" einen Arzt sucht, der ihren Mann, also den "Vater", für geisteskrank erklärt. Lommatzsch wirkt dagegen überfordert und konfus, aber bestimmt tut er nur so. Beide tragen hautfarbene Unisex-Funktionswäsche. Sie sind Avatare, Identitäts-Anziehpuppen für jegliches Geschlecht.

Vom Gang des Stückes und seinem (weitgehend gestrichenen) Personal kriegt man nicht so viel mit, aber es schälen sich dann doch die zentralen Themen heraus. Katrin Nottrodts Bühne ist ein Spielplatz mit giftgrünem Boden, aus dem ebenso giftgrüne Stehlampen sprießen, seltsame Dinger, die manchmal auf Straßenlaternenhöhe anwachsen. Es sind hypertrophe Leselampen für eine hybride Textexegese, aber man muss natürlich auch an Ständer denken, und es ist traurig, wie schlaff sie die Köpfe hängen lassen.

Benjamin Radjaipour und Zeynep Bozbay, als Vertreter der jüngeren Generation im antipatriarchalen Aufklärungseinsatz, singen im winterlichen Flockenregen ein schönes Lied über die "strategische Verschiebung dieser binären Beziehung" zwischen Mann und Frau. Auch sonst sind sie sehr gendertheoriefest. Im flinken Hin und Her zwischen Rollenbehauptung und -reflexion werden sie zu Bertha, der Tochter, und lesen dem Vater aus feministischen Büchern vor. Aber das mit der Konstruiertheit der Geschlechter will dem Papa nicht in die Birne. Zur Stärkung seiner Position kommt ein sechsköpfiger Männerchor auf die Bühne: bärtige Kerle im Holzfällerhemd (von der Camerata Vocale München), die Bierflaschen köpfen und Liedgut anstimmen: "Ole, wir fahr'n in'n Puff nach Barcelona". Das letzte Aufgebot der alten Männerherrlichkeit. Aber hinten droht schon Julia Riedler mit der großen Penis-Schere und macht "schnipp, schnapp".

Trotzdem haben die Kerle an diesem Abend das letzte Wort. Nachdem Wiebke Puls traurig-ratlos abgegangen ist, schmettern sie ein mehrfaches "Amen!". Es klingt wie ein Schlachtruf.

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