Bundesliga:Köln wird zur Hauptstadt sentimentaler Fußballer

1. FC Koeln v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Timo Horn (re.) und seine Kollegen vom 1. FC Köln: Große Gefühle beim letzten Bundesligaauftritt vor Heimpublikum

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der 1. FC Köln verliert 1:3 gegen den FC Bayern, wird dabei aber vom Heimpublikum würdig aus der Bundesliga verabschiedet.
  • "Du hast das Gefühl, deutscher Meister geworden zu sein", sagt Stürmer Simon Terodde erstaunt.
  • Auch der FC Bayern hat gefühlige Momente nach dem Champions-League aus am vergangenen Dienstag. "Es schmerzt immer noch", sagt Trainer Jupp Heynckes mit Blick auf das 2:2 in Madrid.

Von Milan Pavlovic, Köln

Die ersten Schritte waren zögerlich, fast schüchtern. Die Menschen auf den Rängen konnten doch nicht etwa jubeln, nicht nach der 21. Saisonniederlage ihres Klubs? Fast ungläubig registrierten die Spieler des 1. FC Köln, wie sie von den Fans in der Südkurve empfangen wurden: ohne Häme oder Zynismus, dafür mit uneingeschränkter Euphorie.

Vor nicht einmal einem Jahr hatten die FC-Profis an gleicher Stelle die Europa League gestürmt und auf dem Rasen ein unvergessliches Bad in und auf den Menschenmassen genießen dürfen. Jetzt galt es, sich nach dem sechsten Abstieg aus der Bundesliga in die Augen zu gucken. Und da erkannten sie: die unzerbrechliche Liebe zum Verein.

"Du hast das Gefühl, deutscher Meister geworden zu sein", sagte Stoßstürmer Simon Terodde erstaunt. Das sei "einmalig in Deutschland, vielleicht sogar in der Welt", und es bestärke die Spieler, nicht bloß für sich oder den Klub, sondern für die ganze Stadt wieder aufzusteigen. Klingt pathetisch, ist aber fast so etwas wie Kölsches Grundgesetz. Die Stimmung sei "einer der Gründe dafür, dass so viele Spieler hier bleiben wollen", sagte Torwart Timo Horn, der zu jenen Aktiven gehört, die nicht mit in die zweite Liga gehen müssten; aber wie Jonas Hector, Marcel Risse und Marco Höger sieht er seine Mission in Köln nicht als beendet an. Und das wird von den Zuschauern honoriert.

München hat lange an den Erinnerungen von Madrid zu knabbern

Der FC gehört zu den wenigen Klubs, die ungekünstelt gute Stimmung auch ohne stimmige Ergebnisse verbreiten können. Das war nicht zum ersten Mal, aber an diesem Nachmittag beim 1:3 (1:0) gegen Bayern München besonders beeindruckend zu beobachten. Köln war an diesem Samstag ja, das darf man nicht vergessen, so etwas wie die Hauptstadt der Trauerarbeit von Fußballern - wenn auch auf ganz unterschiedlichen Levels. Der FC bestritt sein erstes Spiel, nachdem der Abstieg unumstößlich geworden war. Der FC Bayern sein erstes Spiel nach dem Aus in der Champions League.

Und das wirkte ganz offensichtlich noch nach. In der trägen ersten Halbzeit liefen die Gäste so oft ihren Gegnern hinterher wie fast noch nie in dieser Saison. "Wir haben tatsächlich nur sehr schwer in die Partie gefunden", gab Mats Hummels zu. "Nach dem intensiven Spiel am Dienstag war es nicht leicht, wieder in den Bundesligamodus zu wechseln", sagte auch Jupp Heynckes. Bevor die Münchner zu einer Großchance kamen, hatten die Kölner derer vier: Terodde scheiterte an Ulreich (3.) und verpasste einen Kopfball (9.), Zoller schob einen Ball an Ulreich, aber auch am Tor vorbei (11.), und Risse hieb einen Schuss aus zehn Metern knapp über die Latte (22.).

Bezeichnend für die Saison der Kölner, dass sie auf fremde Hilfe angewiesen waren: Niklas Süle fälschte eine Flanke ins eigene Tor ab (30.), bereits das dritte Eigentor des Innenverteidigers in dieser Spielzeit, was seinen Trainer frotzeln ließ: "Wenn die Zeit reichen würde, müsste er eigentlich ein Mannschaftsessen ausgeben. Ich will ihn nicht mit Franz Beckenbauer vergleichen...", fügte Heynckes schmunzelnd hinzu. Jedenfalls hat Süle einen Uralt-Rekord eingestellt: Drei Eigentore in einer Saison unterliefen zuletzt dem langjährigen Hamburger Manfred Kaltz 1977/78.

"Manchmal sind Moral und Charakter wichtiger als neue Spieler", schwärmt Jupp Heynckes

Charakteristisch für diese 45 Münchner Minuten: wie Torjäger Robert Lewandowski nach einem verlorenen Kopfballduell einfach sekundenlang auf dem Rasen liegen blieb. Er war nicht körperlich verletzt, sondern eher enttäuscht von der Welt. Man glaubte zu sehen, wie die Erlebnisse aus Madrid noch einmal in ihm hochkamen. Den Münchnern war nach dem Aus gegen Real ja auch noch mitten in der Nacht ein nerviger Feueralarm zugemutet worden. Den Alarmknopf in Köln betätigte Heynckes dann in der Pause, indem er Thiago Alcántara einwechselte. Der kleine Spanier veränderte die Statik des Spiels schlagartig, selbst wenn er bei den drei Münchner Toren nie den allerletzten Pass spielte. Das taten Thomas Müller, der zunächst für James Rodríguez auflegte (59.) und hundert Sekunden später für Lewandowski (61.), sowie James, der maßgerecht auf den Kopf des gerade für Müller eingewechselten Corentin Tolisso flankte (78.).

Trotzdem wirkten die Münchner nur kurzzeitig befriedet. "Es schmerzt immer noch", sagte Heynckes mit Blick auf das 2:2 in Madrid. Die Kölner hingegen ertrugen ihren Abstieg mit Würde. Das war auf den Tag genau vor sechs Jahren noch ganz anders gewesen, da verabschiedeten sich die Rheinländer unwürdig, mit internen Reibereien, Schulden und tiefen Gräben zu den Fans, die damals wirkten, als wollten sie mindestens das Stadion niederbrennen. Der Gegner damals hieß übrigens Bayern München, der unter Jupp Heynckes 4:1 gewann, aber gar nicht glücklich war, die Saison als Zweiter (hinter Borussia Dortmund) beendet zu haben. Und das größte Desaster (das verlorene Champions-League-Finale "dahoam" gegen den FC Chelsea) sollte erst zwei Wochen später folgen.

Das wirkt wie eine Erinnerung aus Schwarz-Weiß-Filmen. Die Zukunft sieht besser aus, auch für den 1. FC Köln mit seinen treuen, verdienten Profis. "Das ist großartig in der heutigen Zeit", schwärmte Jupp Heynckes. "Manchmal sind Moral und Charakter wichtiger als neue Spieler." Steht der FC vor einer zwölfmonatigen Kur? Eher nicht. Wird er so etwas wie der FC Bayern der zweiten Liga? Von der Prominenz und dem Etat her bestimmt. Aber mit großen Erwartungen kommen auch großen Hürden: Wehe, der Wiederaufstieg steht nicht Ende März fest!

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