Migrationspolitik:Die CSU zündelt mit Kalkül

Migrationspolitik: Äußerungen wie die über eine "Anti-Abschiebe-Industrie" äußert Alexander Dobrindt (CSU) nicht ohne Bedacht.

Äußerungen wie die über eine "Anti-Abschiebe-Industrie" äußert Alexander Dobrindt (CSU) nicht ohne Bedacht.

(Foto: AFP)

Mit ihrer harschen Rhetorik zu Flüchtlingen treiben Seehofer, Dobrindt & Co. das Land vor sich her. Dass sie dies können, ist auch die Schuld der SPD und der Grünen.

Kommentar von Constanze von Bullion

Wer der CSU bei der Arbeit zuschaut in diesen Tagen, kann sich schon mal vorkommen wie unter Pyromanen. Beim Thema Migration jedenfalls wird ordentlich gezündelt. Was da in Flammen aufgeht, ist das Vertrauen der Bürger, dass der demokratische Rechtsstaat sie schützt. Ist Deutschland noch in der Lage, die Migration in den Griff zu kriegen? Das fragen sich inzwischen viele. Ist die Stabilität des Landes in Gefahr, der Fremden wegen?

Ist sie, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Seit Montag hat er die Fraktionsspitzen von Union und SPD in seinem oberbayerischen Wahlkreis zu Besuch. Auf der Zugspitze mit ihrem Superpanorama soll über Mieten und Fachkräftemangel diskutiert werden, eigentlich. Jetzt aber hat Dobrindt die Koalition in die nächste Achtung-Ausländer-Debatte gejagt. "Es ist nicht akzeptabel, dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert werden", sagte Dobrindt am Wochenende. Gemeint waren Flüchtlingshelfer, Bischöfe und andere, die sich der CSU in den Weg stellen, weil sie Geflüchtete unterstützen oder bei Klagen begleiten.

Nun könnte man Dobrindts Einwurf als Ausrutscher verbuchen, wie das am Montag CSU-Chef Horst Seehofer getan hat. Um Ausrutscher aber handelt es sich gerade nicht. Vielmehr hat das Zündeln System, das Spitzenkräfte der CSU nahezu täglich beim Thema Migration vorführen. Integrationsprobleme aufgreifen, Ängste anfachen, den Kontrollverlust des Staates beschwören und dann, wenn alle schreien, die Hände ringen und knallharte Maßnahmen ankündigen, so funktioniert das. Jüngstes Beispiel: der Vorfall im baden-württembergischen Ellwangen.

150 Asylbewerber haben dort in einem Flüchtlingsheim Polizisten daran gehindert, einen Mann aus Togo abzuschieben. Eine solche Situation kann keine Polizei dulden, wenn sie sich nicht lächerlich machen will. Nach einem ersten Rückzug brachten Beamte die Lage unter Kontrolle. Das geschah vergleichsweise spät, was an der Haltung der Behörden lag, nicht aber daran, dass ein wildgewordener Mob tagelang im Flüchtlingsheim randalierte und die Polizei nicht gegen ihn ankam. Genau diesen Eindruck aber vermittelten Bilder und Berichte aus Ellwangen.

Die ständigen Zündeleien der CSU beim Thema Migration haben System

Vom Skandal beschwipste Presseleute haben die Lunte gelegt in Ellwangen. Bundesinnenminister Seehofer hat sie angesteckt und den Vorfall einen "Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung" genannt. Damit unterstellte er, in Ellwangen sei generell die Rechtstreue verhöhnt worden und das Recht nicht mehr durchzusetzen gewesen. So aber war es nicht. Auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann stimmte ein und erklärte, man dulde "keine rechtsfreien Räume". Dankenswerterweise hat der Bundespräsident dem Unfug nun ein Ende gemacht: Ein Versagen des Rechtsstaats könne er nicht erkennen, hat Frank-Walter Steinmeier gesagt.

Abgehakt werden aber kann der Disput noch lange nicht, und er ist gefährlich. Wer aus hohen Regierungsämtern und ohne Not den Eindruck vermittelt, der Staat sei hilflos fremden Straftätern ausgeliefert, handelt grob fahrlässig und verantwortungslos - zumal in einer Zeit, in der Rechtsextreme aus den Parlamenten heraus die Glaubwürdigkeit von Rechtsstaat und Grundrechten angreifen. Wer Angst vor staatlichem Kontrollverlust schürt, öffnet auch keine Türen zu Seehofers Asyl- und Abschiebezentren, im Gegenteil. Wo bis zu 1500 Menschen diverser Ethnien ohne Zukunftsperspektive den Tag verdämmern sollen, ist Ärger so sicher wie Widerstand in Kommunen.

Wer all das nicht will und auch keine Abschiebezentren, deren Bewohner mit Stacheldraht vom Rest der Welt abgeschirmt werden, muss sich aber noch eine andere Frage stellen. Wie kommt es eigentlich, dass Seehofer & Co. das Land und die Koalition so vor sich hertreiben können? Die Antwort führt zunächst zur SPD. Sie redet zwar immerfort von humaner Flüchtlingspolitik, hat in den Koalitionsverhandlungen aber nicht ernsthaft genug versucht, hier ein eigenes Konzept durchzusetzen. Beim schwierigen Thema Abschiebung lässt man die CSU die Drecksarbeit machen, protestiert dann ein wenig und lenkt am Ende doch ein. So war es auch im Streit um den Familiennachzug.

Aber auch die Grünen, die sich gern als oberste Schutzmacht Geflüchteter sehen, drücken sich um eine rückhaltlose Migrationsdebatte herum. Abschiebungen, na ja, aber nur, wenn's sein muss, heißt es da verschwiemelt. Und Sammelzentren für Flüchtlinge? Vielleicht, aber bitte etwas anders. Das aber reicht bei Weitem nicht, um Überzeugungstätern wie Horst Seehofer die Stirn zu bieten. Wer es ernst meint mit dem Schutz der Schutzbedürftigen, muss darlegen, wie ein gutes Flüchtlingsmanagement aussieht. Klingt fürchterlich? Mag sein. Aber ohne Professionalität erleidet auch die Humanität Schiffbruch.

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