Antisemitische Reliefs:Stein des Anstoßes

Soll man die "Judensau" von den Domen und Kirchen abschlagen?

Von Heribert Prantl

Erinnerungskultur ist das falsche Wort. Es geht nicht um Kultur, wenn man sich mit den antisemitischen Skulpturen aus dem Mittelalter beschäftigt; es geht um Unkultur und Barbarei; es geht um ein kritisches Geschichtsbewusstsein. Wenn man die antijüdischen Wasserspeier, Schnitzereien und Reliefs von Kirchen und Domen abschlüge, wie es jetzt eine Klage fordert, wenn man die Scheußlichkeiten und Gemeinheiten auf diese Weise verschwinden ließe - dann verschwände auch die Kritik und der Stein des Anstoßes.

Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin hat geklagt gegen das Schmäh-Relief "Judensau" an der Stadtkirche von Wittenberg; es war dies die Predigtkirche von Martin Luther, der bekanntlich nicht nur Reformator, sondern auch antijüdischer Hetzer war. Das Relief ist zweihundert Jahre älter als Luther; es zeigt die lange Tradition der Judenfeindschaft. Die verschwindet nicht mit dem Abschlagen.

Es geht um historische Kontextualisierung, um Aufklärung an Ort und Stelle - aber nicht in Faltblättern, die dann in der Kirchenecke verstauben. "Das Schmähbild aus dem Spätmittelalter drückt den Judenhass aus, der die Schoah vorbereitet hat." So eine Tafel muss neben der "Judensau" stehen; so eine Tafel steht in Wittenberg schon. Eine Bitte um Vergebung gehört dazu.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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