Bamf:Wenn die Identität im Dunkeln bleibt

Flüchtlinge in Passau

Je genauer man Identitäten prüfe, desto mehr fehlerhafte Anerkennungen würden entdeckt, vermuten erfahrene Bamf-Mitarbeiter. Hier gibt eine Asylsuchende in einer Clearingstation der Bundespolizei ihre Fingerabdrücke ab.

(Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Internen Dokumenten zufolge hat das Bamf große Qualitätsprobleme bei den Verfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen.
  • Demnach blieb oft auch im zweiten Durchgang des Verfahrens die Identität der Flüchtlinge unklar - trotzdem behielten sie ihre Anerkennung.
  • Eine entsprechende Mängelliste des Referats Qualitätssicherung ist bereits seit mindestens zwei Monaten aktenkundig.

Von Bernd Kastner

Jenseits allen Wirbels um Bremen, wo massenhaft Asylverfahren manipuliert worden sein sollen: Das Asyl-Bundesamt (Bamf) hat offenbar weiterhin ein großes Problem mit der Qualität seiner Arbeit. Das stellt das Bundesamt selbst fest, genauer: das Referat Qualitätssicherung. Dessen Mitarbeiter haben untersucht, wie mit jenen Flüchtlingen umgegangen wird, deren Anerkennungen man derzeit überprüft.

In diesen Widerrufsverfahren gibt es offenbar eklatante Mängel: Oft bleibe auch im zweiten Durchgang die Identität der Flüchtlinge unklar, trotzdem behielten sie ihre Anerkennung. Nachzulesen ist das in internen Papieren, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Über das jüngste Papier vom 11. Mai haben zuerst Nürnberger Nachrichten und Welt  berichtet.

Die Mängelliste ist aber schon mindestens zwei Monate länger aktenkundig: Am 15. März verfasste die Qualitätssicherung einen ersten, fast identischen Bericht. Dieser ist auch dem Bundesinnenministerium (BMI) bekannt: Josefa Schmid, vorübergehende Leiterin der Außenstelle Bremen und Kritikerin der Bamf-Zentrale in Nürnberg, hat ihn Anfang April Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) geschickt.

Nachdem der Fall des rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A., der als vermeintlicher Syrer anerkannt wurde, vor einem Jahr aufgeflogen war, kündigte der damalige Innenminister Thomas de Maizière an, 148 000 positive Bescheide vorzeitig kontrollieren zu lassen. Dabei kann eine Anerkennung widerrufen werden, wenn sich im Herkunftsland die Lage gebessert hat; sie kann auch zurückgenommen werden, wenn im Erstverfahren getäuscht oder geschlampt wurde. Dieses Jahr wurden laut Bamf 29 500 Widerrufsverfahren entschieden, lediglich 202 Bescheide wurden dabei korrigiert.

Glaubt man den internen Prüfern, müsste die Zahl deutlich höher sein: "Die derzeitigen Widerrufsverfahren (werden) zum großen Teil der Voraussetzung einer umfassenden rechtlichen Prüfung nicht gerecht", schreibt die Chefin der Qualitätssicherung. Fünf Punkte werden bemängelt: Bei Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak werde die Anerkennung "in der Regel" selbst dann nicht kassiert, wenn "Erstverfahren seitens des Bamf nicht ordnungsgemäß, offenkundig oder ggf. fahrlässig fehlerhaft bearbeitet worden sind".

Die Anerkennungen blieben unangetastet, selbst wenn Hinweise vorlägen, dass die Identität "nicht oder nicht ausreichend geklärt" sei; dass eine doppelte Staatsangehörigkeit vorliege; dass ein Flüchtling für einen anderen Staat einen dauerhaften Aufenthaltstitel habe oder "regelmäßig zu Besuchszwecken" in seine Heimat reise.

Für das BMI wird das Amt in Nürnberg immer mehr zum Problem

Im Fazit findet sich Vielsagendes: Die Qualitätssicherung "votiert für eine rechtskonforme Durchführung der Widerrufs- und Rücknahmeverfahren". Was nach Selbstverständlichkeit klingt, wird eigens betont. Zudem heißt es, die Widerrufsverfahren "sollten kein Instrumentarium der schnellen Erledigung von Fallzahlen sein". Soll heißen: Qualität geht vor Quantität.

Diese Mahnung weist zu einer möglichen Erklärung für die Mängel, eine Sorge, die erfahrene Bamf-Mitarbeiter schon länger umtreibt: Je genauer man jetzt hinschaue, desto mehr fehlerhafte Anerkennungen würden entdeckt. Aber haben Amtsspitze und BMI überhaupt ein Interesse an einem solchen Ergebnis? Es würde ein schlechtes Licht auf die Arbeit der vergangenen Jahre werfen. Das wollen die Spitzen in Berlin und Nürnberg womöglich nicht, so die Vermutung.

Das Bamf erklärte erst am Mittwochabend, dass es sich bei beiden Papieren um Entwürfe handle, die noch nicht die Abteilung verlassen hätten. Die rechtliche Einschätzung solle erst noch überprüft werden. Inhaltlich wolle man sich derzeit nicht äußern. Bekannt ist aber, dass die große Koalition die Flüchtlinge gesetzlich zur Mitwirkung in den Widerrufsverfahren verpflichten will. Für das BMI wird das Amt in Nürnberg immer mehr zum Problem, und das nur wenige Wochen nach Seehofers Amtsantritt.

Er ist in einer Zwickmühle: Pocht er, der Asyl-Hardliner, auf genauere Prüfung, könnte viel Unschönes rauskommen. Dies könnte der AfD nützen, und das vor der Bayern-Wahl, wo Seehofers CSU um die absolute Mehrheit bangt. Voraussetzung für ein Durchgreifen des Ministers ist, dass er informiert ist. Zumindest in der Causa Bremen hat es Wochen gedauert, ehe Seehofer vom Verdacht gegen die suspendierte frühere Außenstellen-Chefin erfahren habe.

Am Mittwoch nun brachten SPD und FDP im Bundestag einen Untersuchungsausschuss ins Spiel: "Diese Vorgänge müssen restlos aufgeklärt werden, damit Verschwörungstheoretikern kein Boden gegeben wird", sagte FDP-Chef Christian Lindner. Auch die Grünen drohen mit einem Untersuchungsausschuss, und selbst Boris Pistorius, SPD-Innenminister in Niedersachsen, hält ihn für angemessen. Die Kanzlerin hingegen verteidigte Seehofer: Es sei "schon ein bisschen komisch", ihm nach wenigen Wochen vorzuwerfen, er habe "die Sache nicht im Griff", sagte Angela Merkel (CDU). "Unter Koalitionsfreunden wollte ich das nur mal angemerkt haben."

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