Nachruf:Ein Leben für die Subversion

Dieter Kunzelmann, 1967

Brachte den Situationismus nach München: Dieter Kunzelmann.

(Foto: Thomas Hesterberg)

Von der Spaßguerrilla zum Antisemitismus: Der umstrittene Aktionist und Vorreiter der 68er-Bewegung Dieter Kunzelmann ist gestorben.

Von Willi Winkler

Wer 1968 für die Revolte zauselhaariger Sozialpädagogen mit Sendungsauftrag "multikulturelle Gesellschaft" hält, weiß naturgemäß nichts von Dieter Kunzelmann, der sich 1998 nach Art des jeanpaulischen Siebenkäs aus dem Leben verabschiedete und seine nachfolgend erschienene Autobiografie "Leisten Sie keinen Widerstand!" mit einem Satz von Fürst Pückler-Muskau verzierte: "Der Verstorbene hatte, wie ich gestehen muss, das Unglück, während seines Lebens alles anders anzufangen, als andere Leute, weshalb ihm auch wenig gelang."

Das war, was sonst, ein Witz auf eigene Kosten (der einzige Fall in seinem Leben wahrscheinlich, dass er selber dafür aufkam), denn Kunzelmann ist allzu viel gelungen. Tot war er übrigens auch nicht, hatte sich nur einer seiner vielen Gefängnisstrafen entzogen. Kunzelmann hatte auf dem Kopf des Regierenden Bürgermeisters von Berlin das Ei eines freilaufenden Huhns ausgebracht.

Mit dem Dauer-Aktionisten Kunzelmann verbindet sich der ganze Spaß und das ganze Elend der deutschen Sechzigerjahre. Der Sohn eines Bamberger Sparkassendirektors brach 1959 eine vielversprechende Karriere als Tischtennismeister ab, um sich unter den Brücken von Paris fortzubilden, las Sartre und Proust und entdeckte Guy Debord, den Erfinder des Situationismus. Diese post- oder neusurrealistische Bewegung gebärdete sich strenger als drei sich gegenseitig exkommunizierende Päpste gleichzeitig, wollte eine Kunstbewegung sein und verteufelte die Kunst, sobald sie Interessenten fand. Kunzelmann importierte das anarchistische Gebräu nach München, wurde Presseagent der Malergruppe Spur, beleidigte die katholische Kirche und den toten Kennedy und protestierte als einer der Ersten gegen den Vietnamkrieg. Nach den Schwabinger Krawallen versicherte er seiner Mutter, dass sich der liebe Sohn bestimmt nicht daran beteiligt habe, und schickte ihr wie immer seine Schmutzwäsche.

Nach Adorno entdeckte er Herbert Marcuse und die "repressive Toleranz" und konnte deshalb von dieser Gesellschaft nichts mehr erwarten. Natürlich wurde er zuerst von den Situationisten, dann von den Malern ausgeschlossen, begründete dann die Subversive Aktion, examinierte die ahnungslosen Umsiedler Bernd Rabehl und Rudi Dutschke über Albert Camus und entwickelte den Psychoterror: die Selbstbezichtigung bis zum heulenden Elend für alle Anwärter. Die Subversiven konnten es nicht wissen, aber der kongolesische Kleptokrat Moïse Tschombé, gegen den sie 1964 die erste große Berliner Demonstration veranstalteten, hatte vorher in München beim BND weitere sechzigtausend Mark Unterstützung abgeholt. Kunzelmann zog nach Berlin, um sich an der Erregungsfreude der Bild zu laben und am 1. Januar 1967 die nachmals berüchtigte Kommune 1 zu gründen. Zunächst noch ganz ohne Uschi Obermaier, und auch sein späterer Lieblingsfeind Rainer Langhans kam erst später dazu.

Bereits nach vier Monaten gelangten sie auf die Titelseite der New York Times, weil die Stadtgewaltigen einen Bombenanschlag auf den US-amerikanischen Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey argwöhnten, das berühmte Pudding-Attentat, mit dem sich die Polizei und mit ihr die Springer-Zeitungen unsterblich blamierten. Noch ärger trieb es die Kommune, als sie in einem Flugblatt dazu aufrief, Kaufhäuser anzuzünden, damit auch die Berliner das knisternde Vietnam-Gefühl nicht mehr missen müssten. Neun Monate später folgten Andreas Baader und Gudrun Ensslin dieser Empfehlung in Frankfurt.

Dieter Kunzelmann blieb Herr der Kommune, aber es drängte ihn inzwischen von der literarischen zur politischen Tat. Nach Aussage Albert Fichters, der den Brandsatz platzierte, war es Kunzelmann, der ihn beauftragt und ideologisch instruiert hatte: Am 9. November 1969, als im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin feierlich der Reichspogromnacht gedacht werden sollte, fand sich dort eine Bombe. Dass sie von einem V-Mann des Berliner Polizeipräsidenten, einem klassischen "agent provocateur", stammte, macht die Sache nicht besser. In Kunzelmanns krauser Argumentation war sie als Protest gegen die rituelle Gedenkfeierei gedacht.

Wenige Monate zuvor war Kunzelmann mit ähnlich für die palästinensische Sache ergriffenen Anhängern zur Al Fatah nach Jordanien gereist und hatte sich für alle Fälle und womöglich auch für einen absurden Guerillakrieg in Deutschland an der Kalaschnikow ausbilden lassen. In einem fingierten "Brief aus Amman" hatte er im besten Jünger-Sound vom Kampf als inneres Erlebnis geschwärmt: "Was alles hier so einfach macht ist der Kampf. Wenn wir den Kampf nicht aufnehmen, sind wir verloren." Dann beklagte er die mangelnde Einsatzbereitschaft seiner Berliner Freunde und wusste auch den Grund dafür: der "Judenknax" war schuld. Da war der Anarchist, der Situationist, der Subversive, der Künstler ohne Werk bei seinem bisher verborgenen Herzensanliegen angekommen, beim Antisemitismus der Vorfahren.

Er bestritt die Bombe im jüdischen Gemeindehaus, aber sein Nimbus als Störenfried hatte gelitten

Vor weiterem Treiben bewahrte ihn freundlicherweise die Berliner Polizei. Kunzelmann musste wegen verschiedener kleinerer Delikte ins Gefängnis, aus dem heraus er 1983 als Vertreter der Alternativen Liste ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog. Wieder einmal hatte er den Staat subvertiert, doch den antisemitischen Makel wurde Kunzelmann nicht mehr los. Zwar bestritt er die Verantwortung für die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, doch hatte sein Nimbus als unverwüstlicher antibourgeoiser Störenfried erheblich gelitten, seit ihn der Politologe Wolfgang Kraushaar 2005 als Anstifter markiert hatte. Sein zeitweiliger Verteidiger Horst Mahler will Kunzelmann 1969 wegen des Anschlags kritisiert haben, worauf der ihn aufgefordert habe, es "besser zu machen". Mahler tat wie geheißen und gründete die RAF, die wiederum nicht existieren konnte ohne die Hilfe der Palästinenser. Eine furchtbare deutsche Liebesgeschichte.

Seine Tochter fand Kunzelmann im Sessel sitzend, eine kalte Zigarette in der Hand. Eine letzte Aktion? Diesmal, versichert sein gebeutelter Verleger Rainer Nitsche, der den Tod Kunzelmanns gestern meldete, diesmal ist es kein Spaß, er ist wirklich gestorben. Der Event-Gardist Dieter Kunzelmann verschied Anfang der Woche 78-jährig in Berlin.

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