Haushaltsdebatte:Das Bamf, der Minister und sein dreifaches "vor meiner Amtszeit"

Horst Seehofer soll seinen Haushalt vorstellen, doch Berichte über Missstände im Flüchtlingsamt überschatten derzeit alles. Der Minister sagt: Ich war es nicht - und plädiert für einen Untersuchungsausschuss.

Von Stefan Braun, Berlin

Natürlich gefällt Horst Seehofer die Sache ganz und gar nicht. Und man sieht dem Bundesinnenminister das an, als er donnerstagfrüh sehr ernst im Bundestag auftritt. Ausgerechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, diese hoch komplizierte wie dringend benötigte Asylbehörde, sorgt für Ärger. Missstände hat es gegeben, vor allem in Bremen. Noch mehr Missstände könnten bald ans Licht kommen. Es gibt Schöneres zum Start ins Amt eines Bundesinnenministers.

Und so bleibt dem CSU-Vorsitzenden gar nichts anderes übrig, als die Einbringung seines Haushalts mit Sätzen zur Krise zu beginnen. Am frühen Morgen schon hatte sein eigener Staatssekretär Stephan Mayer von einem "enormen Ausmaß" gesprochen, also sagt jetzt auch Seehofer, dass es ein gravierendes Problem gebe.

Dabei will der Minister das Amt nicht grundsätzlich angreifen, zu wichtig ist und bleibt es auch für sein eigenes Ziel, die Asylverfahren noch schneller zu machen. Also wehrt er sich gegen pauschale Urteile. Spricht von vielen guten Mitarbeitern und lobt ausdrücklich deren Einsatzwillen. "Dort wird heute eine gute Arbeit geleistet für unser Land", so der Minister.

Gleichzeitig ist Seehofer sehr bemüht, den Eindruck zu vermeiden, er wolle abwiegeln. Der 69-Jährige weiß zu genau, wann etwas politisch gefährlich werden kann. Also sagt er, dass umfassende Aufklärung bitter nötig sei. Und weil Seehofer dabei nicht laut wird, sondern leise spricht, entsteht für einen Moment der Eindruck, er nähme die Kritik und die Debatte schon sehr persönlich.

Das freilich ist nur der erste Anschein. Wirklich persönlich darf die Sache aus seiner Sicht auf keinen Fall werden. Denn was jetzt folgt, ist der massive Versuch, mit einem dreifachen "vor meiner Zeit" auch die kleinste Gefahr von sich selbst fernzuhalten.

Vor seine Amtszeit habe es die Unregelmäßigkeiten gegeben; vor seiner Amtszeit sei die Leiterin suspendiert worden; vor seiner Amtszeit habe die Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen begonnen. So konkret hat selten ein Minister absolut jede Verantwortung an den Vorgänger zurückgegeben.

Und das ist an diesem Morgen noch gar nicht alles. Natürlich hat Seehofer mitbekommen, wie vor allem FDP und Grüne ihm am Mittwoch mit einem Untersuchungsausschuss gedroht haben. Also sagt er einen Tag später, dass er einen solchen Ausschuss "nicht als Bedrohung" empfinde. Und fügt an Grüne und Liberale gewandt hinzu, dass er sich nicht wehren werde, sondern einen Ausschuss "ausdrücklich begrüßen" würde. Ein Minister, der sich lächelnd selbst einen U-Ausschuss ins Nest setzt - das hat es auch noch nicht oft gegeben.

Wie stark er sich dabei fühlt, zeigt Seehofer nur allzu gerne. Mehr als einmal verweist er darauf, dass er eine Untersuchung durch den Bundesrechnungshof angestoßen habe. "In meine Zeit fällt die Systemüberprüfung", sagt der Innenminister. "Das ist eine sachgerechte Aufarbeitung."

Nun weiß man nicht, wie Seehofers Vorgänger Thomas de Maiziere diesen Auftritt erlebt hat. Aber man kann früh lernen, dass es unterschiedliche Darstellungen gibt zur Urheberschaft der Aufklärung. Der grüne Haushaltsexperte Tobias Lindner jedenfalls erinnert nur Minuten nach Seehofer daran, dass der Rechnungshof intern schon vor zwei Wochen selbst eine Überprüfung der Vorgänge im Bamf angekündigt habe. Deshalb solle sich Seehofer nicht zum Chefaufklärer aufschwingen, mahnte der Grüne. Und erinnert daran, dass es auch an anderer Stelle Widersprüchliches gebe.

Der so genannte Koalitionspartner kritisiert den Minister

Hintergrund sind Berichte, wonach sich ausgerechnet jene Mitarbeiterin des Bamf, die die Missstände zur Sprache gebracht hatte, offenbar schon Mitte März an Seehofers Ministerium wandte. Sein Haus erklärt bislang, er habe erst am 17. April davon erfahren. Nun aber gibt es Bericht, den Minister habe schon Ende März eine SMS zum Thema erreicht. Der grüne Lindner stellt die in solchen Fällen üblichen zwei Fragen: "Was wussten Sie? Und wann wussten Sie es?"

Ob diese Fragen Seehofer noch weh tun können, bleibt im Bundestag offen. Der Minister sagt dazu nichts, er will lieber für seine Idee der Anker-Zentren werben. Und gibt sich dabei überrascht, dass auch Sozialdemokraten, die bei den Sondierungen dabei gewesen seien, immer noch öffentlich fragten, wie er sich die Umsetzung denn nun im Detail vorstelle. Eigentlich sei doch alles klar und gut auf den Weg gebracht.

Im Übrigen sei er flexibel, ob wirklich in jedem der geplanten Anker-Pilot-Zentren alle Behörden, also das Bamf, die Bundesagentur für Arbeit, die Jugendämter und die Verwaltungsrichter, unter einem Dach sein müssten. Ihm sei nur eines wirklich wichtig: dass die Zentren kämen. Denn wer nach Griechenland schaue, könne sehen, dass sich die Zahl der Flüchtlinge schon wieder leicht erhöhe.

So beweglich, ja fast großzügig das klingen sollte - ausgerechnet der SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka hält die Gegenrede. Zunächst lobt der so genannte Koalitionspartner, dass Seehofer mit seinem großen Budget von 14 Milliarden Euro alle Möglichkeiten habe.

Dann aber sagt er genau das, was Grüne, Linke und FDP auch nicht anders sagen würden: Es sei immer noch nicht klar, wie Seehofers Zentren nun tatsächlich im Detail aussehen sollten. Und der Sozialdemokrat fügt hinzu, dass er die Idee, die Bundespolizei dabei einzusetzen, für grundfalsch halte. Lischka bleibt außerordentlich freundlich im Ton. Aber in der Sache klingt er nicht nach Koalition.

Auch wenn Seehofer sich darüber ärgern sollte - Lischka ist bei weitem nicht derjenige, der den Minister an diesem Tag am meisten ärgert. Das ist nicht zum ersten Mal Gottfried Curio von der AfD.

Er antwortet nicht und er debattiert auch nicht. Er liefert ein wildes Sammelsurium an ausländerfeindlichen Anspielungen und Attacken. Spricht von "Enthauptungsschulungen" und "Terroristennachwuchsförderung", von einem Land, das überschwemmt werde und in dem alle Dämme brechen würden. Seine Ausführungen gipfeln in der Behauptung: "Wer die Grenzen nicht schließt, ist für jedes Messermassaker mit verantwortlich."

Seehofer ist erstarrt vor Entsetzen. So wie in diesem Moment alle außer der AfD zu Eis gefrieren. Als nach Curio der Sozialdemokrat Martin Gerster auftritt, spricht er allen aus dem Herzen. Ja, es gäbe Gründe, darauf was zu sagen, so Gerster bitter. Aber in Wahrheit gebe es wichtigere Dinge. Und denen wolle er sich jetzt zuwenden. Das Ergebnis: großer Beifall. Curio erntet keinen Verweis und keinen Ordnungsruf. Es wäre aus Sicht der übergroßen Mehrheit schlicht zu viel der Ehre gewesen.

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