Außenansicht:Helden, die keine waren

Die Bundeswehr benennt ihre Einrichtungen nach Soldaten und begründet so sinnstiftende Traditionen. Doch nicht jeder der Namen taugt zum demokratischen Vorbild. Es finden sich Vertreter des Polizeistaates neben verdienten Widerstandskämpfern gegen die Nazis.

Von Jakob Knab

Traditionspflege ist eine wertende Auswahl aus der Geschichte. Sie verlangt ein hohes Maß an historischer Kenntnis, politischer Bildung und ethischer Urteilskraft. Sinnstiftende Traditionspflege kann nicht vom Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform" getrennt werden.

Ein Blick vom Norden in den Süden der Republik: Der Tirpitzhafen, der Marinestützpunkt in Kiel, wird von der Tirpitz-Mole im Süden und von der Scheer-Mole im Norden begrenzt. Die nördliche Mole ist benannt nach dem einst legendären Sieger der Seeschlacht von Skagerrak. Reinhard Scheer war ein Mann, der nur in Militärkategorien dachte. Als im August 1917 Matrosen gegen menschenunwürdige Schikanen durch Vorgesetzte und gegen die schlechte Versorgung protestierten, wurden sie in einem Schauprozess wegen eines "vollendeten Aufstandes im Kriege" angeklagt. Über 50 Matrosen wurden in weiteren Prozessen zu 400 Jahren Zuchthaus verurteilt. Admiral Scheer bestätigte die Todesurteile gegen die beiden "Rädelsführer" Albin Köbis und Max Reichpietsch, die dann am 5. September 1917 vollstreckt wurden. Das Verteidigungsministerium in Berlin liegt am Reichpietschufer, dem ehemaligen Tirpitzufer am Landwehrkanal.

Bis vor Kurzem wurde Konteradmiral Rolf Johannesson noch als Musteradmiral gewürdigt. In der Aula der Marineschule Mürwik bei Flensburg wurde vorübergehend dessen Büste aufgestellt - neben jener des Widerstandskämpfers Alfred Kranzfelder, dessen Todesurteil am 10. August 1944 in Berlin vollstreckt wurde. Zweimal jährlich wird in der dortigen Aula der Admiral-Johannesson-Preis an die jeweils Besten der Offizierslehrgänge verliehen.

Für Johannesson war Soldatsein ein "Beruf sui generis". Im August 1944 räsonierte er darüber, dass die Waffen darüber entscheiden würden, ob Hitler "ein Segen oder ein Fluch für Deutschland" sei. Als kurz vor Kriegsende ein britischer Großangriff auf Helgoland bevorstand, beschlossen fünf Männer auf der Insel, die weiße Flagge zu hissen, um sinnlose Opfer zu vermeiden. Sie wurden verraten und festgenommen, ihr Todesurteil wurde von Admiral Johannesson bestätigt, sie wurden noch am selben Tag, am 21. April 1945, in Cuxhaven hingerichtet.

Als die Wehrmacht am 1. September 1939 Polen überfiel, war dies der Auftakt zum Vernichtungskrieg. Vor dem Angriff auf Krakau hielt Leutnant Helmut Lent fest: "Jeder von uns weiß, daß heute ein schicksalsschwerer Abschnitt Weltgeschichte beginnt, der nicht mit Worten und auf Papier, sondern mit Blut geschrieben wird. Jeder von uns ist sich seiner Verantwortung bewußt, daß des Führers Hoffnung auf seine Luftwaffe nicht enttäuscht wird."

Feldwebel Anton Schmid rettete Juden in Litauen das Leben. Er verdient Erinnerung

Lent enttäuschte seinen Führer nicht. Noch am 22. Juni 1944, am dritten Jahrestag des Angriffs auf die Sowjetunion, sprach Lent vom "Endsieg" und rief seine Männer dazu auf, "in leidenschaftlicher und fanatischer Weise bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen". Er forderte auch, dass "Feiglinge erbarmungslos ausgerottet" werden müssen. Beim Staatsakt für den im Oktober 1944 tödlich verunglückten Lent rühmte Reichsmarschall Göring dessen "unvergängliches Heldentum". Auf Betreiben von General Josef Kammhuber wurde im Juli 1964 die Liegenschaft in Rotenburg (Wümme) nach Oberst Lent benannt. Es war jener Kammhuber, der sich zusammen mit seinem Kameraden Eduard Dietl beim Hitler-Putsch im November 1923 geweigert hatte, die junge Republik zu verteidigen. Die Dietl-Kaserne Füssen wurde im November 1995 umbenannt, die Kammhuber-Kaserne Karlsruhe wurde im Juli 2011 aufgegeben.

Doch die Lent-Kaserne in Rotenburg gibt es immer noch - denn ein vermeintlicher Experte gelangte bei seinem Vortrag am 28. April 2017 zu dieser ominösen Erkenntnis: "Der Name Lent ist nach alledem unbefleckt, sowohl militärisch als auch persönlich." Die überwältigende Mehrheit der unbedarften Vertrauensleute in der Kaserne stimmte anschließend dafür, den Traditionsnamen "Lent" beizubehalten. Das Ministerium in Berlin hält sich an dieses ermessensfehlerhafte Votum der Soldaten vor Ort, man beruft sich dabei auf "bewährte Verfahren".

Im April 1972 wurde in München eine Kaserne "Wrede-Kaserne" genannt. Der Kampf gegen die Demokraten des Hambacher Festes von 1832 war für Fürst Carl Philipp Joseph von Wrede, der als General mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet war, die entscheidende politische Mission.

Nach den Unruhen infolge des Hambacher Festes rückte Wrede als Oberbefehlshaber eines 8000 Mann starken Armeekorps in den bayerischen Rheinkreis ein. Er ordnete "Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung" an, falls sie ohne Erfolg blieben, drohte er die "Verhängung des Kriegszustandes" an. Es kam zu 142 Gerichtsprozessen gegen Demokraten, in denen sieben Todesstrafen ausgesprochen, dann aber in lebenslange Haft umgewandelt wurden.

Im geheimen Briefwechsel mit Fürst Metternich in Wien zeigte Wrede seine wahre Haltung, denn "ohne Galgen und Rad würde man der Umtriebe in Deutschland nicht Meister". Und er versicherte, wenn drei aufgehängt würden, dann sei Ruhe. Wrede war Verfechter eines Polizeistaates, in dem es keine freien Bürger, sondern nur Untertanen geben sollte.

Direkt neben der Wrede-Kaserne aber befindet sich die Sanitätsakademie der Bundeswehr, dort hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Hier wurde Ende März 2011 das Auditorium maximum nach Sanitätsfeldwebel Hans Scholl von der Weißen Rose benannt. "Das letzte Flugblatt der Weißen Rose", so der Festredner, "spricht vom Kampf für die Zukunft, von Freiheit und Ehre in einem seiner sittlichen Verantwortung bewussten Staatswesen. Hans Scholls letzter Ruf 'Es lebe die Freiheit!' war zunächst vergeblich - sinnlos war er nicht." Wenn das Grundgesetz eine Antwort auf die deutsche Geschichte ist, dann wurden auch in Blankenburg im Harz Lehren aus der Geschichte gezogen. Am 22. Juni 2016, dem 75. Jahrestag des Angriffs der Wehrmacht auf die Sowjetunion, wurde die dortige Liegenschaft nach Feldwebel Anton Schmid benannt. Er hatte nahezu 300 Juden in Litauen das Leben gerettet. Er wurde verraten, verhaftet und zum Tod verurteilt. Die jüdische Philosophin Hannah Arendt sah in dessen Rettungstaten einen "Lichtstrahl inmitten dichter, undurchdringlicher Finsternis". Sie verknüpfte damit die Hoffnung, "wie vollkommen anders alles heute wäre, in Deutschland, in ganz Europa, vielleicht in allen Ländern der Welt, wenn es mehr solche Geschichten zu erzählen gäbe".

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