Ausstellung:Wie Organe im Körper

Das Münchner Museum Brandhorst zeigt erstmals eine umfassende Werkschau von Jutta Koethers Malerei. Eine ganz wunderbare Entdeckung.

Von Catrin Lorch

Kissing the Canvas" heißen die beiden Gemälde, die Jutta Koether bei ihrer ersten Ausstellung im Jahr 1991 in New York zeigte. Das Diptychon ist in dunklen Farben dicht gemalt, ein Mix aus Motiven, in dem sich die Linien wie zusammengekehrte Luftschlangen über das All-Over legen, aus dem der Name der Künstlerin und der Bildtitel in Großbuchstaben hervorscheinen. "Kissing the Canvas" ist eine Formel, die zärtlich klingt und in der das Bild vom Maler mitschwingt, der mit seinem sanften Können die Leinwand bearbeitet.

Doch ist sie aus dem Boxsport entlehnt, wie Jutta Koether in einem Text ausführt, sie bezeichnet den Moment, in dem der Kämpfer schon fast am Boden ist "nahe am Tuch. Noch nicht ganz k.o. geschlagen", aber das Publikum beginnt schon damit, ihn zu verspotten. Der Champion, der angeschlagen durch die Arena taumelt, das ist in den frühen Neunzigerjahren die Malerei, und es gibt in der Generation der im Jahr 1958 in Köln geborenen Malerin nur wenige, die ihr treu geblieben sind, dieser wohl klassischsten aller Kunstformen. Schon deshalb, weil, wie Koether befand, kurz vor der endgültigen Niederlage die Freiheit ja immer unendlich ist.

Im Katalog werden die Gemälde genauso präsentiert wie Bilder eines Hieronymus Bosch

Jutta Koether, die nach der New Yorker Vernissage wöchentlich vor ihren Bildern "Lecture-Performances" aufführte, war in der Szene damals als Performerin bekannt, als Musikerin, vor allem aber als Redakteurin und Herausgeberin des nun schon fast legendären Magazins Spex. Vielen erschien ihr Versuch, "die Malerei neu zu bewältigen", als zu vorsätzlich, als pure, auch feministisch motivierte Behauptung, mit der sich eine Künstlerin selbst in die Kunstgeschichte einschreibt, als sei das keine Berufung, sondern ein gewollter, aktiv herbeigeführter Vorgang. Große Gemälde rahmten ihre Auftritte wie Kulissen, Bilder wurden auch schon mal ins Publikum geworfen.

Der "Kölner Expressionismus der Achtzigerjahre", auf den man inzwischen als Stilform zurückblickt, er war von Antagonismen durchkreuzt wie ein Spiegelkabinett. Mal war man dagegen, dann wandte man sich wieder sehnsuchtsvoll der ironischen, deutschen Romantik zu, dann wieder mehr dem Punk. "Fem-Trash", die "flächenmäßige Penetration", pflegte ein "intensives Verhältnis zu Meisterwerken", sagte Jutta Koether, und malte Édouard Manets Spargelbündel nach und die "Sternennacht" von Vincent van Gogh. Wobei sie die Motive nicht etwa mit intellektueller Kühle reflektierte oder mit Ironie, sondern den Pinsel tief in Lippenstiftorange, Candyrosa und das Rot von frischem Menstruationsblut tauchte und für ihre "Starry Night" (1988), ihre Aneignung der Sternennacht, die strudeligen Farbschlingen des Himmels von van Gogh übernahm und die Zypressen, den Vordergrund aber mit eigenem Duktus locker umpflügte.

Doch während Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel oder Sherrie Levine, mit denen Jutta Koether in Köln früh ausgestellt hatte, sich mit ihren konzeptuellen Arbeiten in der Öffentlichkeit, auf dem Kunstmarkt und in Museen durchsetzten, blieb die Malerei von Jutta Koether liegen, ganz buchstäblich. Als es darum ging, eine Werkschau für das Brandhorst Museum vorzubereiten, mussten die Kuratoren nicht etwa Bilddateien sichten und Leih-Anfragen tippen, sondern wurden von der Künstlerin auf einen Dachboden geführt, auf dem fast ihr gesamtes Œuvre verwahrt ist, knapp tausend Leinwände und unzählige Zeichnungen. So jedenfalls erinnern sich Tonio Kröger vom Luxemburger Musée d'Art Modern und Achim Hochdörfer, der Direktor des Hauses.

Schnell war klar, dass die Einzelschau, mit der das Museum seine mit der Ausstellung "Painting 2.0" begonnene Bestandsaufnahme zeitgenössischer Malerei abschließt, sich fast ausnahmslos auf diese Werke konzentrieren sollte, keine Performance, keine Videos, keine Musik.

Schon in den ersten Sälen ziehen sich die vielen Motive, die man über die Jahre vereinzelt zu sehen bekam, zum konsistenten Œuvre zusammen: vom im vergangenen Jahr gemalten "More than Naked #2", einer in zartroten Strichen konturierten Frauenfigur, zurück bis zu "Straight Girl", gut dreißig Jahre zuvor entstanden, aber in die gleichen hellroten Häute gewickelt, im gleichen Duktus gemalt. Malerei, das wird sichtbar, war tatsächlich "das organisierende Zentrum" aller künstlerischen Aktivitäten von Jutta Koether, wie Achim Hochdörfer sagt. Er hat sich "Starry Night" jetzt noch einmal genau angeschaut - und entdeckt nicht nur kauzige Riesen, Knollennasen "amorphe Gebilde wie Organe in einem Körper", sondern auch einen Embryo, der sich im Inneren der Erde eingenistet zu haben scheint. Kunsthistorisch kann man das Motiv der vergrabenen Kinderleiche bis zum französischen Realismus zurückverfolgen, gleichzeitig wirkt das Gemälde eigenständig, virtuos und aufgeladen. Die kleinen Kreise, die durch dieses Werk kullern, sie erinnern nun an pralle Äpfelchen, Brüste, gefüllte Eierstöcke oder Eizellen.

Diese Museumsausstellung war überfällig - nicht allein als Würdigung für eine in der Szene wegen ihrer radikalen Gesten gefeierten, einflussreichen Künstlerin, sondern auch, weil ihre Bilder nun endlich selbst mit den weißen Handschuhen der Kunstgeschichte angefasst werden, mit aller Aufmerksamkeit für Motiv, Malweise, Komposition: Ikonologie, Ikonografie, das ganze Programm.

Im Katalog werden die Gemälde genauso nahsichtig präsentiert wie Bildausschnitte eines Hieronymus Bosch. In Großaufnahmen zoomt die Kamera auch in pastose Farbkrusten hinein, findet winzige Details.

So darf nun die Interpretation endlich ausholen und den titelgebenden Zyklus "Tour de Madame" als Gegenentwurf zu dem im Obergeschoss des Museums präsentierten "Lepanto-Zyklus" von Cy Twombly lesen: Wer die Zeile "Tour de Madame" womöglich als eine Anspielung auf eine Reise zu einzelnen Bildetappen versteht, wird überrascht sein: Jutta Koether, die nicht nur Poussin, Manet, Freud und O'Keeffe huldigt, sondern auch William Burroughs, und Zitate von Walter Benjamin in ihre Kompositionen einfügt, spielt auf Montaigne an, auf diesen Turm, den sich der Denker in seinen Garten stellte, weil er - statt zum Kriegsschauplatz Lepanto zu reisen - lieber seiner Subjektivität eine Aussichtsplattform baute.

Jutta Koether. Tour de Madame: bis 21. 10., Museum Brandhorst, München. Katalog: 49,80 Euro.

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