Merkel bei Putin:Wie ein Besuch beim Zahnarzt

Drängt Trumps rabiate Politik die Kanzlerin zu engerer Kooperation mit dem Kremlchef? Für Merkel ist das Treffen mit Putin eher strategisch als angenehm - obwohl er sie mit Blumen empfängt.

Von Nico Fried, Sotschi

Ist das jetzt näher als vor drei Wochen? Vielleicht ein Meter fünfzig liegen zwischen den Rednerpulten von Wladimir Putin und Angela Merkel. Wenn der russische Präsident die Kanzlerin kneifen wollte, müsste er einen, vielleicht zwei Schritte auf sie zugehen. In Washington jüngst trennte Merkel von Donald Trump hingegen etwa eine Armlänge bei der Pressekonferenz. Dem amerikanischen Präsidenten stand sie physisch doch noch näher - und so soll es einstweilen auch politisch sein.

Wenn Angela Merkel eines ganz sicher nicht will, dann dass der Eindruck entsteht, Deutschland stehe wegen der sich häufenden Differenzen mit Trump nun in einer Art Äquidistanz zwischen den USA und Russland. "Wir haben eine feste transatlantische Freundschaft, die immer auch schon unterschiedliche Meinungen aushalten musste", sagt Merkel in Sotschi, was die Intensität der deutsch-amerikanischen Beziehungen aber nicht infrage stelle. An Kontakten mit Russland, sagt Merkel im Gegensatz, habe man "ein strategisches Interesse". Das klingt nach der Begründung für einen Zahnarztbesuch: Was sein muss, muss eben sein.

Wladimir Putin zeigt sich davon unbeeindruckt. Er hat die Kanzlerin am Schwarzen Meer mit einem Strauß weißer Blumen empfangen und seinen Sprecher vorab von einem "wichtigen Besuch" sprechen lassen. Auf einen Vergleich der verschiedenen Beziehungen lässt Putin sich nicht ein. Das deutsch-russische Verhältnis habe "seine eigene Dynamik und seine eigene Bedeutung". Die wirtschaftlichen Beziehungen seien eng, Hunderttausende Arbeitsplätze in beiden Ländern hingen davon ab. Und mittlerweile wachse ja auch das Handelsvolumen wieder an.

Den letzten Satz kann man als Spitze gegen Merkel und die maßgeblich von ihr vorangetriebenen Sanktionen wegen der Annexion der Krim und der Kämpfe in der Ostukraine sehen. Auftritte der Kanzlerin und des Präsidenten, die beide ihre vierte Amtszeit angetreten haben und sich seit 13 Jahren kennen, stecken immer voll von teils verdeckten, teils offenen Provokationen. Und Merkel wie Putin haben längst eine Meisterschaft darin entwickelt, sich nichts anmerken zu lassen.

Besonders deutlich wird das, als ein russischer Fragesteller in der Pressekonferenz den Fall eines Kollegen anspricht, der in der Ukraine verhaftet worden sei. Putin nennt diese Verhaftung einen "noch nie dagewesenen Fall", dem russischen Journalisten werde von den ukrainischen Behörden Staatsverrat vorgeworfen, nur weil er seine Arbeit gemacht habe, empört er sich. Der russische Präsident neuerdings als Verfechter der Pressefreiheit?

Merkel sagt, sie werde den Fall gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ansprechen - genauso, wie sie eben gegenüber Putin einige Fälle von in Russland verhafteten Journalisten angesprochen habe, die ihrer Arbeit nicht nachgehen könnten. Es gab Zeiten, da hätte Putin jetzt zu kontern versucht. Diesmal lässt er Merkels Antwort mit unbewegt-wächserner Miene unkommentiert. Das strategische Interesse am Gespräch - es beruht auf Gegenseitigkeit.

Angela Merkel hat an diesem Freitag die Ukraine links liegen lassen und auch einen großen Bogen um die Krim gemacht. Allerdings nur im Flugzeug bei der Anreise. Kaum in Putins Residenz in Sotschi angekommen, ging es unter vier Augen wieder um den Konflikt, der das deutsch-russische Verhältnis nun schon seit Jahren belastet. Im Gespräch ist eine Mission der Vereinten Nationen, doch kann man sich bisher nicht darauf verständigen, welchen Auftrag sie genau haben soll.

Die Ukraine, das ist seit einigen Jahren quasi der Kernkonflikt, an dem sich andere Fragen ausrichten wie Eisenspäne an einem Magneten. Das gilt mittlerweile auch für den Bau der Ostsee-Pipeline Nordstream 2. Die Ukraine bangt im Falle des Baus um Einnahmen aus den Transitgebühren, die sich dieses Jahr auf etwa drei Milliarden Dollar belaufen, rund 13 Prozent des Staatshaushalts. Präsident Poroschenko lehnt Nordstream 2 deshalb vehement ab, die USA unterstützen ihn in seinem Widerstand. Wenn Trump nun wie sein Vorgänger Barack Obama Widerstand leiste, sei das nichts Neues, sondern "ein seltener Fall von Kontinuität", spottet Putin. Der Transit von Gas durch die Ukraine werde fortgesetzt, sagt der Präsident, "wenn es für die Akteure sinnvoll ist".

Auch über Syrien und das Atomabkommen sprechen Merkel und Putin. In beiden Fällen kommt es nun auf Kooperationsbereitschaft Russlands an. So wünscht sich die Kanzlerin, dass Putin bei Präsident Baschar al-Assad darauf hinwirkt, die geplante Enteignung von Flüchtlingen zu stoppen, deren Rückkehr auch aus Deutschland sonst deutlich erschwert werde. So hängt objektiv vieles mit vielem zusammen, aber für Merkel trotzdem nicht alles mit allem. Tauschgeschäfte zwischen Themen lehnt sie ab - jedenfalls offiziell. So machte sie schon vor ihrer Abreise deutlich, dass die EU-Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts nur bei Fortschritten im Minsk-Prozess gelockert werden könnten und nicht etwa als Gegenleistung für russisches Entgegenkommen an anderer Stelle.

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