Özil und Gündoğan:Wer zog die Drähte für die Erdoğan-Fotos?

Ipad kombi Erdogan DFB

Trikottausch 1: ManCity-Profi Ilkay Gündogan (li.) und Erdogan & Trikottausch 2: Arsenal-Profi Mesut Özil und Erdogan.

(Foto: Foto: AKP/Twitter)
  • Tage nach den umstrittenen Fotos der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan ist wenig über die Hintergründe bekannt, wie es zu den Bildern mit dem türkischen Präsidenten Erdogan kam.
  • Manche sprechen von einer Einladung von "türkischen Unternehmen", andere sagen, der Stab des Präsidenten sei verantwortlich.
  • 36 Prozent der Deutschen würden nach einer Umfrage beide aus dem Kader der Nationalmannschaft streichen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Noch eine knappe Woche später erinnert auf der Twitter-Seite von Mesut Özil der oberste Eintrag an den Tag des Eklats. Es ist ein raffiniertes Bild. Nicht jenes, das die Debatte ausgelöst hat, aber eines, das den Abend symbolisiert. Özil sitzt in einem Sessel, er wirkt angespannt, neben ihm Ilkay Gündogan, der Kollege aus der deutschen Nationalmannschaft, sowie Cenk Tosun, der wie die beiden anderen in Deutschland geboren ist, aber für die Türkei spielt. "Heute Abend in guter Gesellschaft", steht unter dem Bild, dazu ein Zwinker-Smiley, die deutsche Flagge und die türkische.

Zum Augenzwinkern ist diese Causa freilich nicht. Am Sonntag vor einer Woche traf sich das Trio in London mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Eine Reihe professioneller Fotos wurde geschossen, mal alle zusammen, dann jeder einzeln. Özil vom FC Arsenal und Gündogan von Manchester City überreichten dem wahlkämpfenden Autokraten vom Bosporus Trikots ihrer Klubs, das Shirt von Gündogan trug sogar eine handschriftliche Widmung: "Für meinen verehrten Präsidenten, hochachtungsvoll".

Der FC Arsenal erklärt den Auftritt seines Spielers Özil zur Privatsache

Das war der Beginn einer Affäre, in der viele Beteiligte nicht gut aussehen - nicht nur die Spieler, sondern auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Sponsoren. Und in der die Strategie nun offenkundig lautet: Augen zu und aussitzen.

Die heftige Debatte um den Fall belegt einerseits, dass es heute kaum eine Gesellschaftsbewegung gibt, die politisch-patriotisch stärker aufgeladen ist als der Fußball. Und andererseits stellt sich dabei auch die Frage, ob es nicht etwas zu einfach ist, bei den Beweggründen für den Auftritt nur auf Argumente wie Heimatromantik oder angebliche Naivität zu schauen. Oder ob es nicht auch zentral um das Thema geht, das den Profifußball so oft bestimmt: das Geld.

Özil hat durchaus schon Erfahrung mit Politikerfotos und den Folgen: 2010 war Kanzlerin Angela Merkel nach einem Türkei-Länderspiel in Berlin zu einem Foto-termin in die Kabine geprescht, was ein diplomatisches Beben und Irritationen zwischen Regierung und Verband auslöste. Ein anderes Mal, als Özil noch bei Real Madrid spielte, legte ihm Erdoğan, zu jener Zeit der Ministerpräsident seines Landes und noch nicht Despot, bei einem Besuch väterlich den Arm auf.

Mit Blick auf den Treff in London blieb Özil bisher stumm. Gündogan distanzierte sich in einem Statement zwar von politischen Absichten, fragte aber zugleich, ob man sich "gegenüber dem Präsidenten des Heimatlandes unserer Familien unhöflich verhalten" hätte sollen.

In jedem Fall bleiben viele Fragen ungeklärt. Dazu zählt auch die simpelste: Wie kam es dazu, wer zog die Drähte? DFB-Manager Oliver Bierhoff erwähnte eine "Einladung von türkischen Unternehmern". Aus türkischen Quellen heißt es, die Einladung sei aus dem Stab des Präsidenten erfolgt. Der Berater Özils und Gündogans antwortet auf Anfragen nicht. Schweigen zum Thema gibt es auch bei ARP: Das ist die Firma, in der der Spielerberater des Duos und ein Verwandter Gündogans an wichtiger Stelle arbeiten. Der prominenteste Kunde dort ist: Joachim Löw. Auf der Homepage posiert der Bundestrainer mit dem Weltpokal und dem Agenturchef. Der Text: "Jeder einzelne ist Teil der ARP Sportmarketing-Familie und wir teilen gemeinsame Werte. Vertrauen ist die Basis, die uns seit vielen Jahren miteinander verbindet."

Vertrauen ist gut, Schweigen ist besser

Der Wert der Stunde lautet demnach: Vertrauen ist gut, Schweigen ist besser. Der Bundestrainer hat Özil und Gündogan am Dienstag für die WM nominiert und neben sanfter Kritik auch Verständnis geäußert; es wird wahrscheinlich auch unter den insgesamt 80 Millionen deutschen Bundestrainern kaum jemanden geben, der an der Berufung sportfachlich etwas auszusetzen hätte. Allerdings würden einer Emnid-Umfrage zufolge 36 Prozent der Befragten das Duo Gündogan/Özil aus dem Kader streichen - da kann es zumindest irritierend wirken, wenn solche Entscheide innerhalb eines eng verknüpften Beraterverbundes ablaufen.

In der Türkei, wo die Regierungspartei AKP mit den Fotos hausieren geht, freuen sich jetzt nicht nur viele darüber, dass prominente DFB-Kicker als Erdoğan-Unterstützer posieren. Manche freuen sich auch auf den Jungunternehmer Gündogan. Die Welt berichtete diese Woche, Gündogan und Familie hätten in der Provinz Balikesir ein Gebäude erworben, um ein Shoppingcenter zu errichten. Die Baugenehmigung sei schon erteilt. Die Investitionssumme soll mehr als fünf Millionen Euro betragen haben, für die Errichtung eines vielstöckigen Gebäudes dürften weitere erhebliche Kosten entstehen. Eingedenk der Lage in der heutigen Türkei ist zu vermuten, dass solche Großprojekte mit guten Drähten in die Politik leichter vonstattengehen. Eine Anfrage dazu beantwortet Gündogans Berater nicht.

Und Özil? Der mag in Deutschland nicht gar so populär sein wie andere Akteure aus der aktuellen Nationalmannschaft. Aber globalwirtschaftlich beurteilt ist er eine Topmarke - und innerhalb des Teams der König der sozialen Medien. Kein anderer DFB-Kicker kommt auf solche Zahlen bei Facebook (31 Millionen Likes) und Twitter (23 Millionen Follower); darunter sind natürlich besonders viele türkische Anhänger. Selbst Spieler wie Neuer, Müller oder Kroos schaffen nur 20 bis 40 Prozent von Özils Werten. Und was ihr Film- und Bildmaterial bedeutet, dürften Spieler und besonders ihre Berater nur zu gut wissen: Mit dem Material verdienen sie Millionen.

Auch die Sponsoren ducken sich weg

Auch die übrigen Beteiligten ducken sich eher weg, darunter die Sponsoren. Die Automarke Mercedes fährt seit Langem eine große Integrationskampagne mit dem DFB, zudem sind Gündogan und Özil Markenbotschafter der Firma. Zur Affäre teilt sie nur zwei Sätze mit: "Die Spieler haben sich von einem politischen Statement distanziert. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns nicht weiter dazu äußern." Auf detaillierte Hinweise wie den, dass sich Özil bisher noch gar nicht öffentlich geäußert hat, und auf Fragen zu den Folgen, die Mercedes nun für seine für die WM anstehenden Werbespots und die Integrationskampagne sieht, wiederholt eine Sprecherin schlicht die erste Aussage.

Offenbar will es sich bei einem global tätigen Konzern niemand mit dem Duo verscherzen. Für Mercedes ist die Lage ohnehin generell schwierig, weil viele attraktive Fußballer über ihren Klub an andere Marken gebunden sind. Auch der Sportartikelhersteller Adidas hält sich zurück und erklärt gegenüber anfragenden Medien, dass der Termin in London von Özil und Gündogan nicht im Rahmen ihrer Tätigkeit als Markenbotschafter wahrgenommen worden sei. Deswegen gebe es keine Kommentierung.

Im DFB wiederum hat Präsident Reinhard Grindel seine zunächst harsche Kritik relativiert ("Ich werbe darum, mit den beiden maßvoll umzugehen"). Die Causa berührt viele heikle Felder. Da ist, neben der in Kürze startenden Titelverteidigung bei der Weltmeisterschaft in Russland, auch das gewaltige Kräftemessen, das nach dem WM-Taumel ansteht: die Bewerbung um die Europameisterschaft 2024. Im Ring stehen Deutschland und die Türkei. Spielen da nicht gerade die Deutsch-türken im Team eine Hauptrolle?

Der DFB will sie in seine Werbestrategie einbinden. Aber auch hier scheint es schon Probleme zu geben. Gündogan widersetzte sich im März dem Ansinnen, durch Videos in sozialen Netzwerken für die deutsche Kampagne zu werben. In Kürze soll die Nationalelf stärker eingebunden werden, auch via TV-Spots. Werden Özil und Gündogan daran beteiligt? Der Verband weicht aus: "Bislang hat der DFB nur vereinzelte Spieler und nicht die komplette Mannschaft in die Bewerbung um die Euro 2024 einbezogen. Sollte dies zu einem späteren Zeitpunkt geschehen, gehen wir davon aus, dass alle Spieler unsere Bewerbung unterstützen."

Dann sind da noch die Klubs, die einem Spieler heute gern Details bis zur Krawattenfarbe vorschreiben. Wie sehen sie das Ganze? Gündogans Klub Manchester City beantwortet eine Anfrage nicht. Özils Arbeitgeber FC Arsenal sieht keinen Anlass zu Kommentaren. Dies sei ein "privates Engagement" Özils gewesen - und bei Privatsachen müsse der Klub vorher nicht informiert werden.

So sitzen nun alle in Fallen, die sie selbst gebaut haben. Denn wenn diese Fotos eines nicht sind, dann genau das: privat.

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