Leserreaktionen auf Netanjahu-Karikatur:"Primitive Schmiererei"

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Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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Die Karikatur "Nächstes Jahr in Jerusalem" hat einen Sturm des Protestes ausgelöst. Viele Leserinnen und Leser werfen der SZ Antisemitismus vor - eine Auswahl der Reaktionen.

Die Empörung wächst

Die Hoffnung, dass sich meine Empörung langsam wieder legen würde, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Sie wächst eher weiter an. Zu der in der SZ veröffentlichten Karikatur von Dieter Hanitzsch kann man nur Folgendes feststellen: Der Gruß "Nächstes Jahr in Jerusalem" hat nichts mit israelischer Politik, aber alles mit jüdischer Religion zu tun. Allein das entlarvt dieses Machwerk schon als das, was es ist: eine primitive antisemitische Schmiererei. Da der Autor selbst zur Scham unfähig ist, müssen das andere für ihn tun. Typischer Fall für "Fremdschämen"! Das hat die SZ dankenswerterweise inzwischen mitübernommen. Dr. Paul Johann Roth, Mühlheim

Mehr als verantwortungslos

In einer Zeit, in der Juden in Deutschland sich nicht mehr mit Kippa auf die Straße trauen und antisemitische Vorfälle an der Tagesordnung sind, ist so eine Karikatur mehr als verantwortungslos. Sie schürt Hass und propagiert einen aggressiven Kurs gegen Juden unter dem beliebten Mantel der Israelkritik. Dazu kommt noch, dass es Israel nicht einmal gegönnt ist, den ESC zu gewinnen, ohne dass es so geschmacklos dargestellt wird und die lobenden Worte eines Premiers diese Bedeutung aufgesetzt bekommen. War das bei Lenas Gewinn mit Angela Merkels Lob auch der Fall? Eine Kritik in Ihrer Zeitung, da sie den Sieg für ihre politischen Zwecke benützt hat? Caroline C. Woess, Wien/Österreich

Gängige Klischees

Die Zeichnung bedient sich ganz einfacher antisemitischer Klischees. Benjamin Netanjahu kann auch ohne überdimensionale Ohren, herausgehobene Nase und übertrieben hochgezogene Augenbrauen als Netanjahu erkennbar karikiert werden, wenn der Zeichner sein Handwerk versteht. Offensichtlich mit voller Absicht ist er jedoch als hässlicher, Rakete schwingender "Jude" in schweren Militärstiefeln karikiert worden. Er müsste gar nicht als "Jude" erkennbar sein, um die angeblich intendierte Absicht (Hinweis auf "Nächstes Jahr in Jerusalem") zu erzeugen, und auch nicht als Rakete schwingende, schwer bewaffnete "Sängerin". Das ist nicht "antisemitisch auffassbar", das ist antisemitisch. Auch das Spiel mit dem Widerspruch - kriegerische Auseinandersetzung / friedlicher Song-Contest -, das ausschließlich einen als Sängerin angezogenen, erkennbar israelischen Regierungschef mit Rakete in der Hand ohne seine Gegner zeigt, ist geeignet, wenn nicht gar beabsichtigt, das angeblich unterdrückende (jüdisch-)israelische Verhalten anzuprangern. Das ist gängige antisemitisch motivierte Praxis: Prangert die Israelis statt der Juden an und meint die Juden - hier lediglich versteckt unter dem ESC-Bezug! Leider ist dies auch nicht der erste Missgriff dieser Art. Uwe Gäb, Monschau

Grenzen der Meinungsfreiheit

Ich protestiere gegen Ihre Karikatur in der Ausgabe vom 15. Mai. Hier kann man nur böswillige Absicht unterstellen, Israel und seinen Menschen zu schaden. Meinungsfreiheit hat da ihre Grenzen, wo sie selbstherrlich über andere urteilt und richtet. Ich wünsche dem Zeichner, dass er Einsicht bekommt und sich dafür entschuldigt. Die Vergebung sei ihm gewiss. Friedhelm Müller, Berlin

Warum wurde das nicht erkannt?

Ich will Sie gar nicht mit den Details meiner Enttäuschung belästigen, mich aber hiermit den Protesten bezüglich der Karikatur von Dieter Hanitzsch ausdrücklich anschließen. Der Veröffentlichung eines von so eindeutig antisemitischen Bildideen durchsetzten Motivs muss eine Hinterfragung folgen, wie das geschehen konnte. Warum wurden Symbole, Bildtraditionen und Zusammenhänge von der Redaktion nicht erkannt? Ist es, und ich schreibe das nicht gern, Inkompetenz oder leise Zustimmung? Es ist ja nicht das erste Mal, dass Ihnen so etwas unterläuft. Christian Maiwald, Berlin

Gefährdete Existenz

Ich war schockiert. Mein erster Gedanke: Das erinnert doch stark an die Zeit von Julius Streichers Stürmer . Volksverhetzung. Dieter Hanitzsch möge bald einmal nach Israel und Jerusalem reisen und sich selbst ein Bild von dieser unglaublichen Vielfalt der Menschen machen. Widersprüchlich, aber faszinierend und liebenswert. Vor allem aber eines: menschlich. Seine Schwachstelle: Israels Existenz ist immer noch gefährdet. Elisabeth Hilbert, Eppingen

Schämen Sie sich!

In Zeiten des ständig wachsenden Antisemitismus wagen Sie, eine Karikatur ganz im Stil der Nazi-Zeitung Stürmer zu veröffentlichen. Wie beschämend für Sie und Deutschland und wie unsagbar verletzend für alle jüdischen Bürger dieses Landes. Sie kritisieren Israel sehr gerne und sehr einseitig. Hiermit haben Sie es nun übertrieben. Die Zeichnung ist ganz im Stil der 30er-Jahre. Warum können Sie Israel den verdienten Sieg nicht gönnen? Soll Israel, um der Welt zu gefallen, Tausende gewaltbereite Palästinenser über die Grenze lassen? Deren Ziel ist es, die israelische Bevölkerung zu massakrieren. Weil Israel sich wehrt, fühlen Sie sich zu derart antisemitischer Veröffentlichung animiert? Schämen Sie sich ... Ihre lapidare Entschuldigung liest sich halbherzig. Sie haben einen sehr großen Fehler begangen. Hätten Sie es auch gewagt, einen muslimischen Präsidenten derart zu verunglimpfen? Nein, wahrscheinlich nicht. Denn die Konsequenzen wären weit schlimmer als empörte Leserbriefe. Mia Tabor, Alfter

Windelweiche Entschuldigung

Ich fasse es nicht, wie eine deutsche Zeitung und ausgerechnet die SZ diese infame Zeichnung veröffentlichen konnte. Sie zeigt Benjamin Netanjahu in der typischen Weise antisemitischer Hetze, der mit der Kombination von Riesenohren, dicken Lippen, übergroßer Nase und starken Augenbrauen als Jude kenntlich gemacht werden soll. Dieter Hanitzsch greift auf das Klischee zurück, dessen sich die Nazipropaganda im Stürmer und anderswo laufend bedient hat.

Wie hätte die SZ denn reagiert, wenn die AfD sich eine solche Darstellung geleistet hätte? Vermutlich empört und angeekelt. "In eigener Sache" aber begnügte sich die SZ sich mit einer windelweichen scheinbaren Entschuldigung, bei der sich Chefredakteur Wolfgang Krach auf Diskussionen in der Redaktion und die behauptete Intention des Karikaturisten zurückzog, aber das Schlimmste - die "typisch jüdische Fratze" - ausklammerte. Nein, dies "kann" man nicht bloß anders verstehen, sondern muss man als antisemitisch erkennen. Der Fehler lag nicht darin, dass die SZ meinen subjektiven Blick nicht vorausgesehen hat, sondern dass sie eine Karikatur veröffentlichte, die antisemitische Vorurteile zitiert, und sich dann herauszureden versucht.

Die SZ hat inzwischen die Zusammenarbeit mit Hanitzsch beendet, der in einem Interview auf der Angemessenheit der verzerrten Darstellung beharrt und den Vergleich mit dem Stürmer als "unverschämte Beleidigung" zurückweist - in meinen Augen eine notwendige Konsequenz. Fehlt allerdings noch, dass die SZ klar und deutlich die hetzerische Physiognomie beim Namen nennt, die Wasser auf die Mühlen der neuen Antisemiten leitet, und nicht nur die Leser, sondern vor allem unsere jüdischen Mitbürger um Entschuldigung bittet. Ilsetraud Ix, Pulheim

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