Eintracht Frankfurt:König Prince

  • Kevin-Prince Boateng führt die Frankfurter Eintracht zum Pokalisieg gegen den FC Bayern.
  • Erst vor der Saison kam er vom spanischen Abstiegskandidaten UD Las Palmas nach Frankfurt.
  • Er und Trainer Niko Kovac bilden eine erstaunliche Einheit. Beide verbindet eine Berliner Vergangenheit.

Von Javier Cáceres, Berlin

Fußballer war nicht der erste Berufswunsch des Kevin-Prince Boateng; er wäre, so hat er es einmal erzählt, gerne Tänzer geworden. Dass er nicht nur Talent dafür hat, sondern dieses auch geschult hat, ist belegt: Als er noch nicht bei Eintracht Frankfurt, sondern beim AC Milan spielte und dort im San-Siro-Stadion 2011 der Gewinn der Meisterschaft zu feiern war, kostümierte er sich als Michael Jackson und führte zu den Klängen von dessen "Billie Jean", einem Hit aus den 80ern, den "Moonwalk" in erstaunlicher Perfektion vor.

Manchmal merkt man auch seinem Spiel an, welche Passion für Bewegung und Rhythmus in ihm lebt. Beim DFB-Pokalfinale in Berlin kam aber etwas anderes zur Geltung, denn für die Dauer von 90 Minuten plus Nachspielzeit stellte er sämtliche künstlerischen Ambitionen zurück. Er arbeitete defensiv wie vielleicht noch nie in seinem Leben, um am Ende sagen zu können, dass der Schlusspfiff "die schönsten Gefühle meines Lebens" freigesetzt habe.

"Prince ist vielleicht der Verrückteste von allen. Aber er ist ein wundervoller Verrückter"

Dass er gearbeitet habe wie noch nie, tut ihm möglicherweise Unrecht. Am Samstag nur, beim 3:1 gegen den FC Bayern, fiel das deshalb so sehr ins Auge, weil Niko Kovac, der Trainer der Eintracht, Boateng aufgetragen hatte, an besonders exponierter Stellung zu schuften. Als alleinige Spitze nämlich, und das hieß auch: als Exempel und Signal für alle anderen. Wenn schon Boateng, der extrovertierte Artist, die Bayern-Verteidiger anläuft, als gäbe es kein Morgen - welcher Eintrachtler sollte es wagen zu warten, bis die Muse ihn küsst? So muss die Hoffnung des Trainers ausgesehen haben, die sich dann erfüllte - unter anderem, weil Boateng das erste Frankfurter Tor durch Ante Rebic auflegte und an der Entstehung des zweiten Rebic-Tores beteiligt war.

Als Eintracht-Kapitän David Abraham gefragt wurde, wie Kovac es bewerkstelligt habe, Boateng davon zu überzeugen, für die Dauer eines Finales die Grobmotorik über die samtene Geschmeidigkeit seiner Bewegungen zu stellen, holte der Argentinier ein wenig aus: "Dies ist eine der verrücktesten Mannschaften, in der ich je war, und Prince ist vielleicht der Verrückteste von allen. Aber er ist ein wundervoller Verrückter, und man hat nicht nur heute gesehen, dass Kovac weiß, wie er ihn zu führen hat."

Er spielte gemeinsam mit Kovac

Das ist keine Überraschung, sie kennen sich gut, in vielerlei Hinsicht. Kovac und Boateng wurden in Parallelstraßen des Berliner Viertels Wedding groß, später spielten sie gemeinsam bei Hertha BSC. Kovac als etablierter Profi, Boateng als Novize. Ihre Wege trennten sich, Boateng ging nach Dortmund, Portsmouth, Milan, Schalke, zur WM 2010 als ghanaischer Nationalspieler.

Aber immer blieb Kovac eine Referenz für ihn, Boateng erinnerte am Samstag daran: "Es hat eine Zeit gegeben, da ich aufgeben wollte", sagte er, als er im vorzüglich sitzenden Klubanzug aus der Kabine gekommen war und die Ohrstecker, die ihm einst Milans Patron Silvio Berlusconi ausreden wollte ("Frauenkram!"), im Licht der Scheinwerfer glitzerten. Seine Frau und sein Berater hätten ihn davon abgehalten, das Knie zu beugen - und eben Kovac. "Komm hierher! Hier können wir was reißen!", habe ihm Kovac vergangenes Jahr zugeraunt, Boateng spielte damals für Las Palmas, das übrigens am Samstag aus Spaniens erster Liga abstieg.

Manager Bobic sagt dem Team: "Das wird euch auf ewig verbinden!"

Einen Kampf gegen den Abstieg hatten viele auch der Eintracht vorhergesagt. Die "bunte Truppe", wie auch Boateng die Mannschaft nannte, war komplett neu zusammengestellt worden. Rund ein Dutzend Spieler gehören dem Kader erst seit dem vergangenen Sommer an, Kovac integrierte Paradiesvögel aus 18 Nationen. Doch Abstieg? Von wegen! "Wir haben Europa geschafft!", rief Boateng am Samstag, denn der DFB-Pokal-Sieg hievt die Eintracht in die Europa League, die sie als Tabellenachter der Bundesliga am Ende noch verpasst hatten.

Mit Spielern wie dem finnischen Torwart Lukas Hradecky, dem japanischen Mittelfeldspieler Makoto Hasebe oder dem von Real Madrid ausgeliehenen Spanier Omar Mascarell, der übrigens vorerst für 4,5 Millionen Euro zu Real zurückkehren wird, um dann gewinnbringend weiterverscherbelt zu werden. Möglichst in die Bundesliga, Mascarell hat Gefallen an Deutschland gefunden. So oder so steht er für jene, die Frankfurt im Moment des größten Glücks wieder verlassen und Eintracht-Manager Fredi Bobic vor die Aufgabe stellen werden, wie schon im vergangenen Sommer den Kader zu überholen. Diesmal mit etwas mehr Geld.

Doch das wollte Bobic alles gar nicht wissen. Nach dem Finale lag ihm daran, den Spielern einzubläuen, was sie vollbracht hatten. "In der Kabine habe ich ihnen gesagt: Das wird euch auf ewig verbinden!" Bobic weiß das, er hat selbst Pokale gestemmt. "Man wird irgendwann wieder zusammenkommen, und dann wird es heißen: Die Klasse von 2018." So wird es wohl sein. Sie werden an einen Maiabend in Berlin zurückdenken, an dem sie die mächtigen Bayern besiegten, der Eintracht den ersten Titel seit 1988 bescherten; an dem sie besoffen waren, erst vor Glück und dann von Getränken, die aus Destillen stammten, und sich fühlten, als wandelten sie über den Mond.

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