Tourismus in Tunesien:Willkommen zurück

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Urlauber reisen wieder nach Tunesien. Drei Jahre nach den Terroranschlägen ist die Stimmung auf der Ferieninsel Djerba entspannt. Meistens jedenfalls.

Von Monika Maier-Albang

Das Hotel ist das letzte in der Reihe, und wenn man ein paar Meter den karibisch weißen Strandsaum entlangspaziert, wird die Insel plötzlich wild. Dünen, eine kleine Lagune, in der Strandläufer Insekten aufpicken, eine sonnenversengte Schildkröte, die es nicht mehr ins Meer zurückgeschafft hat. Ein paar Meter vor einem reiten fünf Jungs, barfuß, auf diesen großen Arabern, die sie hier auf Djerba haben. Es ist erst neun Uhr am Morgen, in einer Stunde, wenn die ersten Badegäste kommen, werden die jungen Männer mit ihren Pferden vor die Hotelanlagen ziehen, an jedem Strandabschnitt stehen mindestens ein Kamel und ein Pferd bereit, damit sich Gäste für ein Foto oder eine kleine Rundtour auf sie setzen. Bringt ja wieder ein paar Dinar.

Jetzt aber hätten die Jungs gern selbst ein bisschen Spaß, sie lassen die Hengste Rennen laufen, quatschen miteinander, beachten keine der morgendlichen Spaziergängerinnen. Es kommen immer mehr hinzu - und plötzlich ist die Polizei da, vier Beamte auf Quads. Kurze Ansprache: kein Weiterreiten am unbewachten Strand! Auseinandergehen! Die Gruppe löst sich auf. Ein Pulk Halbstarker am Strand, das scheint den Urlaubern in Tunesien nicht zumutbar zu sein in diesen Tagen.

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Es ist eine schwierige Gratwanderung, wie man umgehen soll mit den Gefühlen der Touristen, die gerade wieder zurückkehren ins Land. Nach drei Jahren unfreiwilliger Abstinenz. 2015 hatten zwei islamistische Anschläge das Land erschüttert: Im März 2015 starben 20 Touristen bei einem Angriff auf das Bardo-Museum in Tunis, drei Monate später ermordete ein Attentäter in Port El-Kantaoui nördlich von Sousse 38 Menschen am Strand. Dann die Silvesternacht von Köln, die junge Männer aus dem Maghreb unter Generalverdacht stellte. All das führte bei vielen deutschen Urlaubern zu einer Melange an negativen Gefühlen und schließlich dazu, dass der Tourismus auf einer Insel wie Djerba, die jahrzehntelang vor allem von deutschen Gästen gelebt hatte, zusammenbrach.

Sein besucherärmstes Jahr erlebte Tunesien 2015 mit rund vier Millionen internationalen Gästen. 2010, im Revolutionsjahr, hatten an die sieben Millionen Urlauber das Land besucht. Die letzten zwei Jahre, sagt Oliver Müller, Geschäftsführer vom Club Aldiana auf Djerba, seien praktisch nur Stammgäste gekommen. Die Auslastung lag bei 20, 25 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren. Es gab zudem kaum noch Flüge auf die Insel, und wenn, dann "mit Ankunftszeiten mitten in der Nacht", sagt Müller. Da bucht der unentschlossene Gast dann halt woanders.

An jedem Strandabschnitt stehen mindestens ein Kamel, ein Pferd, ein Sicherheitsmann

Aber jetzt sind sie zurück: die Gäste und die Fluglinien, was sich ja bedingt. Condor fliegt Djerba wieder an, Tui-Fly ebenso. "Der Mai ist gigantisch gebucht", sagt Müller, "80 Prozent Bettenauslastung". Bis zu 800 Gäste finden in der Anlage Platz, sie ist eine der teuersten auf Djerba, aber, sagt Müller, und das muss er ja, man bekomme hier halt auch was fürs Geld: gute Kitesurf-Lehrer, zwölf Tennisplätze mit anspruchsvollem Belag und Flutlicht, Shuttle zum 18-Loch-Golfplatz. Dazu Pizza und asiatisches Essen am All-inclusive-Buffet. Wie sie sich gehalten haben in den mageren Jahren? Sie hätten Angebote gemacht, sagt Müller, allerdings zeitlich begrenzt: sieben Tage buchen, sechs Tage bezahlen. Oder: zwei Personen zum Preis von einer. Auf eine dauerhafte Dumpingpreis-Spirale habe man sich nicht eingelassen. Andere Anlagen aber schon. Etliche stehen jetzt leer. Oder beherbergen russische Gäste, die Djerba in Zeiten der Krise für sich entdeckt haben - und die Preise extrem drücken.

Er habe keinen seiner 40 Festangestellten entlassen müssen, sagt Müller. Allerdings hat der Konzern bereits 2015 den zweiten Club in Tunesien, der an der Küste bei Nabeul lag, geschlossenen. "Die Verluste waren zu hoch. Man musste sich für einen entscheiden", so Müller. Dass die Wahl zugunsten von Djerba ausfiel, habe zwei Gründe gehabt: Die Insel hat nur eine Zufahrtsstraße, ist also für die Sicherheitskräfte leichter zu kontrollieren. "Und Djerba ist eine Marke für sich." Will heißen: Viele Gäste kommen nach Djerba, ohne es mit Tunesien in Verbindung zu bringen.

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Aber warum sind die Touristen so plötzlich wieder da? "Die Leute fragen nicht mehr nach den Anschlägen", sagt Müller. Drei Jahre sind im touristischen Gedächtnis eine lange Zeit. Und die Sicherheitsfrage scheint vielen ohnehin unwichtiger zu werden bei einer politischen Weltlage, in der man nirgendwo mehr die totale Sicherheit erwartet. Djerba hat den größten Zuwachs an Gästen in Tunesien, andernorts, etwa in Sousse, ist die Resonanz noch verhalten. Aber das ganze Land erholt sich spürbar. Für 2018 rechnet das tunesische Tourismusministerium mit acht Millionen Gästen aus dem Ausland, das wären zwei Millionen mehr als im Vorjahr. Die Buchungen für den Sommer seien gut, heißt es dort. Und schon das Frühjahr war für die Hoteliers selbst eine Überraschung: Von Januar bis Ende April kamen rund 38 000 Gäste allein aus Deutschland, eine Steigerung um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die europäischen Gäste insgesamt legten sogar um 45 Prozent zu.

Tunesien hat allerdings auch nach den beiden Anschlägen von 2015 massiv in die Sicherheit der Urlauber investiert. Alle großen Anlagen sind heute ausgestattet mit Metalldetektoren am Eingang und Schranken an den Zufahrtswegen. Bevor ein Fahrzeug durchgelassen wird, muss die Unterseite kontrolliert werden. Am Strand steht vor jeder Anlage Wachpersonal. Und ist man zufällig zwischen Ende April und Mitte Mai auf Djerba, wähnt man sich in einem Hochsicherheitstrakt: Zu der Zeit findet die Wallfahrt zur Synagoge el-Ghriba statt, der "Wundertätigen". Es kommen Tausende: Juden, die noch auf Djerba oder in Tunis leben, und solche, die selbst - oder ihre Vorfahren nach Frankreich oder Israel - ausgewandert sind. Nur etwa 1500 Tunesier jüdischen Glaubens sind geblieben von der alten und einst großen Gemeinde im Land. Zu Lag baOmer, der Djerba-Wallfahrt, kommt man wieder zusammen, tanzt, begießt den Segen des Rabbis mit Boukha, einem traditionellen Feigenschnaps, und schreibt Wünsche auf Eier, die in eine Gruft gelegt werden. Vor der Synagoge ist eine Schleuse zur Passkontrolle aufgebaut. Auf den Dächern stehen Scharfschützen. An der Zufahrtsstraße zur Insel hat an fast jedem Kreisel die Polizei Posten bezogen, schließlich ist die Wallfahrt auch ein Politikum. Ministerpräsident Youssef Chahed schwebt kurz ein und hinterlässt ein Bekenntnis zum multireligiösen Zusammenleben. 2002 sind bei einem Anschlag auf die Synagoge 19 Urlauber ums Leben gekommen. Tunesien weiß: Noch ein Anschlag hier, und der Tourismus wird länger als drei Jahre tot sein.

Viele Tunesier misstrauen noch immer den Sicherheitsbehörden, die sie früher schikanierten

Das Verhältnis zwischen Einheimischen und Sicherheitskräften ist zwar heute besser als unter dem autokratischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali; wirklich entspannt ist es aber auch in der noch immer fragilen tunesischen Demokratie nicht. Ein altgedienter Reitlehrer erzählt von Korruption und Schikanen, denen er früher ausgesetzt war. Ein paar Widerworte - und schon habe die Polizei seine Sättel mitgenommen. Manchmal auch ohne Anlass. Also musste er arbeiten, so lange, bis sein Chef die Sättel ausgelöst hatte. Es sei einfacher geworden, sagt er Mann. Aber noch immer nicht gut.

Oliver Müller sagt, Aldiana habe den Pachtvertrag für die Anlage gerade bis 2024 verlängert. Was zeige, dass man Vertrauen in das Land habe. "Auch wenn die Regierung schon noch sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Aber das Land ist auf dem richtigen Weg." Die Tunesier, sagt er, "wollen Demokratie, und sie werden es auch schaffen". Noch aber ist die Arbeitslosigkeit trotz Wirtschaftshilfen aus der EU extrem hoch. Wer über Land fährt, sieht schon am Vormittag Cafés voller junger Männer, die sich oft als Tagelöhner verdingen. Was die Sorgen von Urlauberinnen anbelangt, die fürchten, angequatscht oder betatscht zu werden, beteuert Müller: "Ich hatte noch nie die Rückmeldung auch nur von einer blonden Frau, dass sie hier blöd angemacht wurde." Dabei ermuntere man die Gäst, rauszugehen auf den Markt von Houmt Souk, Gewürze zu kaufen und Datteln und einen frischen Orangensaft. Oder sich die kunstvollen Graffiti im jüdisch geprägten Dorf Erriadh anzusehen, in der Nähe der Ghriba. Die Leute auf Djerba, sagt Müller, wüssten sehr wohl, dass die Einnahmen aus dem Tourismus ihre Existenz sichern.

Vielleicht lässt sich aus der Krise ja auch etwas lernen. Ein Immer-weiter-so, noch mehr Hotels, noch mehr Betten, das jedenfalls wolle sein Verein nicht, sagt Farhat Ben Thanfuss, der selbst mit den "Jardins de Toumana" ein kleines Resort auf der Insel betreibt. Der "Verein zum Schutz der Insel", Association pour la sauvegarde de l'île, setzt sich für nachhaltigen Tourismus ein: auch für weniger Plastikmüll - die Tüten finden sich am Ende doch nur zwischen Buschwerk wieder. Es müsse Strandabschnitte geben, an denen Motorboote nicht erlaubt sind, fordert Thanfuss. Keinen Wildwuchs mehr bei Restaurants am Strand, eine Beschränkung für die Quads, mit denen auch die Einheimischen über die Dünen brettern. Tunesien will Djerba als Unesco-Weltkulturerbe schützen lassen. Umso wichtiger sei es da doch, sagt Thanfuss, dass auf der Insel auch Platz bleibe für diejenigen, die hier Ruhe suchen.

© SZ vom 24.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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