Evonik:Glück auf, Herr Baron

Hauptversammlung Evonik

Werner Müller tritt als Evonik-Aufsichtsratschef ab.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Der frühere Wirtschaftsminister Werner Müller leitet zum letzten Mal ein Aktionärstreffen in Essen. Er bekommt zum Abschied viel Lob, mehr als ihm lieb ist.

Von Benedikt Müller

Irgendwann wird es Werner Müller zu viel. Der schwer erkrankte Bundeswirtschaftsminister a. D. erhält an diesem Mittwoch so viel Lob von Aktionären, Vorständen und Aufsichtsratskollegen des Chemiekonzerns Evonik, dass er einzuschreiten versucht. "Wir sollten uns auf die Tagesordnung konzentrieren", sagt der 71-Jährige, der mit dieser Hauptversammlung von Evonik seine Ämter niederlegt. "Es ist jetzt zu meiner Person alles gesagt worden." Doch schon setzt die nächste Aktionärin zur Dankesrede an, statt den Managern Fragen zu stellen.

Werner Müller hat den Strukturwandel im Ruhrgebiet geprägt: Als die Steinkohlezechen im weltweiten Preiswettbewerb nicht mehr mithielten und die staatliche Förderung auszulaufen drohte, brachte der damalige Chef der Ruhrkohle AG (RAG) die zukunftsträchtigen Chemiegeschäfte des Konzerns vor zehn Jahren als eigenständige Firma Evonik an die Börse. Großaktionärin wurde die RAG-Stiftung, die mit den Gewinnen die Ewigkeitslasten des Steinkohlebergbaus finanziert. Wenn in diesem Jahr die letzten Zechen hierzulande schließen, wird der Staat somit nicht die Zeche zahlen müssen, um das Wasser aus den Stollen abzupumpen. Und es wurde keinem Bergmann betriebsbedingt gekündigt.

Mit Werner Müller, so fasst es Aktionärsvertreter Ulrich Hocker zusammen, trete "der letzte große Ruhrbaron" ab.

Seit dem Jahr 2012 führte Müller jene RAG-Stiftung, die er selbst ins Leben gerufen hatte, und wachte als Aufsichtsratschef über Evonik.

An diesem Mittwoch leitet Müller ein letztes Mal die Hauptversammlung mit all ihren Riten und Formalien - und beweist Humor. Beispielsweise verabschiedet er einen Arbeitnehmervertreter aus dem Aufsichtsrat mit den spitzen Worten, jener Kollege gehöre zu dem Schlag Menschen, "die alles immer genau wissen wollen". Das sei freilich ein Kompliment für das Mitglied eines Kontrollgremiums. Feierlich verkündet Müller, dass der Evonik-Aufsichtsrat auch fortan zu mindestens 30 Prozent aus Männern und zu mindestens 30 Prozent aus Frauen bestehen wird. So schreibt es das Gesetz vor, wenngleich sich bislang noch kein Unternehmen mit der Männeruntergrenze schwergetan hat.

Das Leben sei Dienst, diesen Satz von Müller zitiert Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann in seiner Rede. Müller habe seinen Dienst für das Ruhrgebiet und den Konzern Evonik geleistet. "Sie sind unser Gründungsvater und werden es immer bleiben." Kullmann will das M-Dax-Unternehmen weiter auf die margenstarke Spezialchemie ausrichten. Müller äußert sich nach der Rede "zuversichtlich, was die Zukunft anbelangt".

An der Spitze der RAG-Stiftung und des Evonik-Aufsichtsrates löst ihn nun Bernd Tönjes ab. Der Bergbauingenieur arbeitet seit drei Jahrzehnten bei der RAG, hat miterlebt, wie Müller die sogenannten schwarzen von den weißen Geschäften des Konzerns trennte. "Man kann zurecht sagen, dass Herr Müller der Architekt dieser Neuausrichtung ist", würdigt Tönjes seinen Vorgänger. "Diese Verdienste sind einzigartig." Langer Applaus folgt. Müller schaut fast etwas verlegen nach unten und nickt geringfügig mit dem Kopf.

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