Abgestürztes Passagierflugzeug:Die Spur beim Abschuss von MH17 führt nach oben

Russland ist verantwortlich für den Absturz der Malaysia-Airlines-Maschine vor vier Jahren. Die Frage ist nur: Wer wird dafür nun angeklagt?

Kommentar von Florian Hassel, Warschau

Dass 298 unschuldige Menschen am 17. Juli 2014 in der Ostukraine sterben mussten, weil Soldaten der 53. Luftabwehrbrigade aus dem russischen Kursk Flug MH17 von Malaysia Airlines irrtümlich für ein Flugzeug der ukrainischen Luftwaffe hielten und deshalb abschossen, ist nicht neu. Die britische Bürgergruppe Bellingcat hat in wegweisenden Auswertungen öffentlich zugänglicher Quellen - darunter auch Beiträge von russischen Soldaten in sozialen Medien - Identität und Weg des russischen Buk-332-Flugabwehrraketensystems bereits Anfang 2016 dokumentiert. Bellingcat hat dem internationalen Ermittlerteam damals auch die Namen von mehr als 100 identifizierten russischen Soldaten, Offizieren und Kommandeuren weitergereicht.

Jetzt aber nennen die Ermittler, geführt vom Chefermittler der niederländischen Generalstaatsanwaltschaft und vom Chefermittler der niederländischen Kriminalpolizei, Russlands 53. Luftabwehrbrigade offiziell als Verantwortliche. Sie zeichnen Weg und Einsatz eines fast 50 russische Militärfahrzeuge umfassenden Konvois nach. Sie dokumentieren und belegen die Identität des genutzten Flugzeugabwehrsystems ebenso minutiös wie die Herkunft der für den Abschuss der MH17-Boeing verwendeten Rakete aus dem Moskauer Dolgoprudnij-Werk.

Dies bedeutet zweierlei: Der ohnehin löcherige Schutzschirm aus Propaganda und Dementis des Kremls wird zerrissen - und damit der Versuch, die Oberherrschaft und detaillierte Führung des völkerrechtswidrigen Krieges in der Ostukraine zurückzuweisen. Der Bericht einer Bürgergruppe ist nun eine Sache; offizielle Belege und Schlussfolgerungen einer internationalen Ermittlergruppe der besten Spezialisten aus fünf Ländern (die Niederlande, Australien, Belgien, Malaysia und die Ukraine) sind die andere.

Spannend wird sein, welche Namen in der Anklageschrift auftauchen

Die offizielle Nennung von Russland als Verantwortlichem deutet zweitens darauf, dass die Ermittler auch entsprechende Anklagen erheben werden. Russland hat sich trotz einer entsprechenden Resolution des UN-Sicherheitsrates von 2014 geweigert, den Ermittlern Aufklärung über seine Truppen in der Ostukraine zu geben - oder öffentlich schlicht gelogen. Im Herbst 2015 verhinderte Moskau die geplante Einsetzung eines internationalen UN-Tribunals zur Aufklärung des MH17-Abschusses gar mit seinem Veto. Eine nun folgende Anklage dürfte von der niederländischen Staatsanwaltschaft kommen und vor einem niederländischen Gericht verhandelt werden.

Spannend wird sein, welche Namen in der Anklageschrift auftauchen. Die Kette der Verantwortlichen endet nicht mit Oberst Sergej Mutschkajew, dem Kommandeur der 53. Luftabwehrbrigade. Sie endet auch nicht mit Sergej Dubinsky, der als Oberst des Militärgeheimdienstes GRU die Tätigkeit der Russen 2014 in der Ostukraine koordinierte und dem russischen Generalstabschef untersteht.

Der illegale Einsatz brisanter Militärtechnik auf dem Territorium eines anderen Staates wird höher befohlen: von der Führung der russischen Armee und von ihrem Oberkommandierenden, Präsident Wladimir Putin.

Gewiss: ein Prozess in den Niederlanden wird in Abwesenheit aller russischen Beteiligten stattfinden, eventuelle Schuldsprüche werden für diese ohne Folgen bleiben. Doch für die Angehörigen der 298 Opfer des Fluges MH17 könnte er ebenso wichtige weitere Aufklärung bringen - und Material für millionenschwere Schadensersatzklagen gegen Russland. Und der Weltöffentlichkeit Details über Strukturen und Führung in dem von seinem Beginn im Frühjahr 2014 an von Moskau geplanten und gesteuerten, doch bis heute unerklärten Krieg gegen die Ukraine.

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