Gastkommentar:Zum Beispiel Kolumbien

Bei der Wahl an diesem Sonntag könnte sich das Land gegen den Trend in Südamerika entscheiden, wo zuletzt oft die politische Rechte gewonnen hat: Gustavo Petro gelang es, als integre Figur mit einem links-liberalen Programm die Massen zu mobilisieren.

Von Ulrich Brand

Tiempos de cambio, Zeiten des Wandels, das ist in Lateinamerika ein geflügeltes Wort und trifft auf den politisch turbulenten Kontinent seit Beginn seiner Eroberung zu. Die "linke Strömung" seit 2000, die mit der Wahl von Hugo Chávez zum Präsidenten Venezuelas begann, breitete sich mit Regierungswechseln in Ländern wie Brasilien, Argentinien, Uruguay, Bolivien und Ecuador aus.

Seit einigen Jahren nun entwickelt sich Lateinamerika wieder in die entgegengesetzte Richtung. Grund dafür sind auch die vielen Fehler, die linke Regierungen gemacht haben: Statt die Wirtschaft zu diversifizieren, wurden die Länder mehr und mehr abhängig vom Rohstoffexport, Korruption und Klientelismus wurden kaum bekämpft. So hat in Venezuela am vergangenen Wochenende zwar der Linke Nicolás Maduro die Wahlen haushoch gewonnen. Doch die Opposition war faktisch ausgeschaltet. Zudem hat sich die politische Rechte konsolidiert und in Ländern wie Argentinien Wahlen gewonnen, in Brasilien wurde die Präsidentin vom Parlament aus dem Amt gejagt.

An diesem Sonntag ist Kolumbien an der Reihe, dort soll ein neuer Präsident gewählt werden. Das Land könnte sich gegen den Trend stellen - wieder einmal.

Obwohl es bis auf eine kurze Periode der Militärdiktatur in den 1950er-Jahren immer eine formelle Demokratie gab, hatte Kolumbien nie eine progressive Regierung. Liberale und Konservative sicherten sich im Wechsel die Macht. Die Folge ist, dass dort der Bodenbesitz so ungerecht verteilt ist wie sonst nirgends in Südamerika. Die Drogenmafia reicht tief in die etablierten Parteien hinein, politische Konflikte wurden oft mit Gewalt ausgetragen.

Doch in jüngster Zeit gibt es Hoffnung. Im November 2016 haben die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und die größte Guerilla, die Farc, Frieden geschlossen. Doch große Teile der Rechten, angeführt von Ex-Präsident Álvaro Uribe, torpedieren den Vertrag. Viele Regionen, die von der Farc verabredungsgemäß geräumt werden, sind nun von Mafia und Paramilitärs besetzt. Bei den Parlamentswahlen Anfang März siegten zwar die rechten Parteien, doch auch die Linke erzielte einige Achtungserfolge. Die Zahl ihrer Vertreter im Senat hat sich verdreifacht.

So nahm auch der Wahlkampf eine spannende Wende: Dem ehemaligen Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá, Gustavo Petro, gelang es, als integre Figur mit einem linksliberalen und demokratischen Programm die Massen zu mobilisieren. Bei Umfragen liegt er an zweiter Stelle hinter dem Rechten Iván Duque, einem Gegner des Friedensprozesses. Damit hat Petro beste Chancen, an diesem Sonntag in die Stichwahl zu kommen. Das wäre sensationell. Beobachter sprechen von einer Zuspitzung zwischen dem voto del miedo, der Stimmabgabe der Angst für Duque, der im Falle eines Wahlsieges von Petro vor Verhältnissen wie in Venezuela warnt, und einem voto de la esperanza, der Stimme der Hoffnung für den linken Kandidaten.

Dass Petro im zweiten Wahlgang sogar gewinnen könnte, traut sich kaum jemand vorzustellen. Doch es könnte ein Schritt sein zu weiterer Aussöhnung, der Sicherung der Menschenrechte und einer wahrscheinlich langwierigen Demokratisierung.

Kolumbien könnte zeigen, dass es auch anders geht in Lateinamerika.

Ulrich Brand, 51, ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und Leiter der dortigen Forschungsgruppe Lateinamerika.

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