Regierungsbildung:Italien wird nun geführt von "Mister Schere"

  • Carlo Cottarelli, ein Rechner und Zähler, soll Italien aus der Krise führen.
  • Der frühere Direktor beim Internationalen Währungsfonds erhielt den Auftrag, eine Übergangsregierung zu bilden, die in den kommenden Monaten Neuwahlen organisieren soll.
  • 2013 sollte er für die damalige italienische Regierung unter Enrico Letta Geld einsparen, darin war er erfolgreich. Daher der Spitzname "Mister Schere".

Von Oliver Meiler, Rom

Pragmatismus ist keine besonders weit verbreitete Tugend in Italiens Politik. Carlo Cottarelli, ein Rechner und Zähler, hat da so seine Erfahrungen gemacht - ernüchternde, surreale auch. Nun, mit 64 Jahren, soll der Finanzexperte aus Cremona bei Mailand das Land durch eine schwere politische Krise mit durchaus byzantinischen Konturen führen. Sergio Mattarella hat ihm die Regierungsbildung anvertraut.

Cottarelli verdiente sich in Italien mehrere Spitznamen. Manche nennen ihn "L' americano", weil er nach seinen Berufsanfängen bei der italienischen Zentralbank nach Washington zog und dort beim Internationalen Währungsfonds Karriere machte. 25 Jahre insgesamt, mit Unterbrechungen.

Cottarelli schaffte es bis zum Direktor des Departements für Steuerangelegenheiten, eines der wichtigsten. Bekannt wurde er aber erst 2013, als ihn der damalige Premier Enrico Letta nach Rom holte, um ihm den Posten eines Sonderkommissars für die "Spending Review" anzuvertrauen - ein Wort, das die Italiener schnell verstehen sollten: Cottarelli war da, um die Ausgaben des Staatsapparats zu stutzen.

Häufiger und gern gesehener Gast im Fernsehen

Aus dieser Zeit stammt der Spitzname "Mister Schere". Er legte seine Lupe auf Ämter ohne Nutzen, auf erschlichene Renten, auf Verschwendung jeder Art. Und er kam gut an im Volk, weil er zu Fuß zur Arbeit erschien. Ein Symbol nur, aber ganz wirksam in Zeiten wachsender Ablehnung gegen die Eliten und deren Privilegien.

Cottarelli verfolgte den ambitionierten Plan, mit seinen Kostenschnitten dem Land einen Sparbetrag von 34 Milliarden Euro zu bescheren. Am Ende schaffte er jedoch nur acht Milliarden. "Mein Kummer", sagte er einmal, "waren die vielen Widerstände in der Bürokratie. Je weiter ich in die Mäander der Ministerien vordrang, desto größer wurden die Widerstände."

Dann wurde Matteo Renzi Regierungschef. Die beiden mögen einander nicht, das war nie ein Geheimnis. "Fehlende Chemie", sagt Cottarelli. Seinen Job verlor er wegen einer vermeintlichen Bagatelle: Er schlug vor, die Beleuchtung einiger Autobahnstrecken abzuschalten - tagsüber, wohlgemerkt. Sparpotenzial: 400 Millionen Euro im Jahr. Renzi reagierte mit einer Spitze: "Cottarelli will uns im Dunkeln stehen lassen." Kurz darauf war der Norditaliener wieder beim IWF in Washington. Weggelobt von Renzi.

Vor einem Jahr kehrte er in die Heimat zurück und gründete das "Observatorium für die Staatsfinanzen". Da er Komplexes einfach vermittelt, war er seither oft und gern Gast im Fernsehen. Daneben schrieb er Kolumnen für die Zeitung La Stampa, in denen er den Parteien die Kosten ihrer Wahlversprechen vorrechnete. Im Regierungsprogramm von Lega und Cinque Stelle hatte er ungedeckte Mehrausgaben von bis zu 125 Milliarden Euro ausgemacht - ein Irrsinn. Ein Austritt Italiens aus dem Euro? "Das wäre ein Trauma", sagte er einmal. "Die Inflation würde in die Höhe schießen, unsere Löhne würden leiden, wir wären bald alle ärmer." Das hörte sich natürlich dramatisch an, gerade aus dem Mund eines Pragmatikers.

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