Regierungsbildung in Italien:Mattarellas Moment

Italian President Mattarella speaks to media after a meeting with Italy's Prime Minister-designate Giuseppe Conte at the Quirinal Palace in Rome

Staatspräsident Mattarella zeigt derzeit als Einziger in Italiens Führung Standfestigkeit. Die Italiener beeindruckt das.

(Foto: REUTERS)

Der Staatspräsident hat in einem mutigen Akt dem Land ein paar Monate Zeit verschafft. Doch davon könnten vor allem die Populisten profitieren.

Kommentar von Stefan Kornelius

Politische Turbulenzen in Italien werden gerne als Folklore abgetan und mit der Lebensweisheit kommentiert, dass alles schon nicht so schlimm kommen werde. Selbst eine populistische Führung werde Italien nicht kaputtregieren können. Diese Haltung hat die Regierungsbildung seit März begleitet. Die weitgehend sorglosen Märkte waren Gradmesser dieser Wurstigkeit.

Nun ist die Regierungsbildung gescheitert und es herrscht erneut ein Führungsvakuum in Rom, das nur in Neuwahlen münden kann. Diese Neuwahlen werden das Problem nicht lösen, sondern verschärfen. Die Begleiterscheinungen zu dem Kollaps sollten deswegen allen Anlass zur Sorge geben und Italien endlich die Aufmerksamkeit auch der übrigen EU-Staaten zuteil werden lassen, die dieser Krise angemessen ist.

Die Gnadenfrist bis zum nächsten Wahltermin ist einzig und alleine Staatspräsident Sergio Mattarella zu verdanken, dessen Standfestigkeit den Populisten Grenzen aufgezeigt hat. Damit hat er aber das wütende Feuer nur weiter angefacht, das schon seit Langem an den politischen Institutionen Roms züngelt. Nun drohen die Flammen das Präsidentenamt selbst zu erfassen. Die geradezu maßlose Wut der rechtsradikalen Lega auf Mattarella, die Rufe nach seiner Absetzung und das Wort vom Staatsstreich zeugen von dem blinden Zorn, den die Populisten bereit sind zu entfachen. Kaum haben sie die Macht gespürt, haben Lega wie auch die Fünf Sterne alles Maß verloren. Italien erlebt eine veritable Verfassungskrise, in der die starke, mäßigende Rolle des Präsidenten in Gefahr gerät.

Sollte die Radikalisierung zunehmen - und wenig deutet auf das Gegenteil - dann wird der Zorn nicht nur Mattarella treffen, sondern sich ein noch lohnenderes Ziel suchen: die Europäische Union im Allgemeinen und den Euro im Besonderen. Trotz einer zuletzt gezügelten Rhetorik, ein Szenario zum Austritt Italiens wie in Großbritannien ist durchaus denkbar, die Stimmung ist reif.

Wie Großbritannien leidet Italien schon zu lange an der Trivialisierung der Politik und am grobschlächtigen Umgang mit den schwierigen Themen Europas und des Landes. Denn, dass Italien trotz sensationellen Zins-Tiefststandes seine Wirtschaft nicht aus dem Würgegriff einer dysfunktionalen Politik befreien und die Schuldenlast reduzieren konnte, ist das eigentliche Drama der vergangenen Jahre. Das andere Drama hat mit den Zehntausenden Flüchtlingen zu tun, die mehrheitlich aus ökonomischer Not den kürzesten Weg über das Mittelmeer suchen. In der Wahrnehmung vieler Italiener vergrößern sie nur die Not im eigenen Land.

Italien bräuchte eine Regierung der Experten. Doch alles spricht nun für die Populisten

Die Populisten sind die Nutznießer, aber sie werden keine Lösung bringen. Wie so oft könnte die Rettung mit Hilfe eines allseits geachteten Experten kommen, auf den sich die moderaten Parteien verständigen. Das würde ein hohes Maß an Rationalität und die tatkräftige Hilfe der EU erfordern, die endlich ein spektakuläres Programm zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems mitsamt funktionierender Küstenwacht und durchsetzbarer Aufnahme-, Verteil- und Abschiebekriterien in Gang bringen muss.

Ein neues Staatsschuldendrama kann sich die EU nicht erlauben. Das wäre das Ende der Währung und der Union. Mattarella hat Italien und der EU ein paar Monate geschenkt. Mehr Zeit ist nicht.

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