Regierungsbildung in Italien:Warum dauert das so lange?

Regierungsbildung in Italien: Er soll es richten: Der parteilose Wirtschaftswissenschaftler Carlo Cottarelli wurde zur Bildung einer Übergangsregierung beauftragt.

Er soll es richten: Der parteilose Wirtschaftswissenschaftler Carlo Cottarelli wurde zur Bildung einer Übergangsregierung beauftragt.

(Foto: Massimo Percossi/ANSA/AP)

Mehr als 80 Tage haben die Italiener versucht, eine Regierung zu formen - vergeblich. Seit Sonntagabend steht fest, dass es Neuwahlen geben muss. Wie konnte es soweit kommen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Vera Deleja-Hotko

Carlo Cottarelli wurde am Montag damit beauftragt, eine Regierung zu bilden - eine vorübergehende. Der Wirtschaftsexperte wurde nicht gewählt, sondern vom Staatspräsidenten Sergio Mattarella berufen, nachdem die populistischen Parteien Cinque Stelle und Lega Nord an der Regierungsbildung gescheitert waren. Wie werden Regierungen in Italien gebildet? Ein Überblick.

Wer wird gewählt?

Die wahlberechtigten Italiener wählen das Parlament. Es besteht aus der Abgeordnetenkammer und dem Senat. Beide Kammern sind in der Gesetzgebung einander gleichgestellt. Sie unterscheiden sich lediglich in Größe und Zusammensetzung. Der Senat wird auf regionaler Ebene gewählt.

Danach erteilt der Staatspräsident, aktuell Sergio Mattarella, einen Regierungsauftrag. Dabei orientiert er sich in der Regel an den Mehrheiten im Parlament, verfassungsrechtlich ist er daran jedoch nicht gebunden. Anschließend verhandelt die beauftragte Person, in der Regel also der Chef der stärksten Partei mit anderen. Er oder sie lotet mögliche Koalitionen aus und nennt Personen, die für einen Ministerposten in Frage kämen. Diese Vorschläge werde dem Staatspräsidenten vorgelegt. Er kann diese bestätigen oder ablehnen. Im aktuellen Fall hatte Mattarella am Sonntagabend die Regierungsbildung für gescheitert erklärt, weil er mit der Wahl des Wirtschafts- und Finanzministers nicht einverstanden war. Der parteilose Giuseppe Conte, der mit der Regierungsbildung letzten Freitag beauftragt wurde, sowie die Lega Nord und Cinque Stelle wollten den Euro-Kritiker Paolo Savona ernennen.

Wie wird gewählt?

Im November 2017 wurde das Wahlsystem grundlegend geändert. Seither ist es eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. Fast 40 Prozent der Abgeordneten werden direkt gewählt. Die Anzahl der restlichen Abgeordneten pro Partei wird über das Stimmenverhältnis ermittelt und der Sitz über die Ränge auf den Wahllisten an die Kandidaten vergeben.

Seit 1948, als die Verfassung in Kraft trat, wurde das Wahlsystem mehrmals geändert. Vor allem in den letzten 20 Jahren. 2008 verfügte die Regierung Silvio Berlusconis, dass 55 Prozent der Sitze nach einer Wahl automatisch an die stimmenstärkste Partei gehen. Somit war der Regierungspartei die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer sicher. Im Senat jedoch nicht. Dort wurde die Mehrheit nach dem Abstimmungsverhalten der Regionen vergeben. Des Weiteren wurde die Direktwahl der Kandidaten abgeschafft und die Sitze streng nach der Listenreihung vergeben. Im Dezember 2013 wurden diese zwei Punkte für verfassungswidrig erklärt.

2015 kam es zu einer weiteren Reform des Wahlsystems, sie war jedoch nicht umfangreich, da der damalige Ministerpräsident Matteo Renzi parallel eine Verfassungsreform plante. Das Ziel: die politische Macht des Senats einschränken und dessen Direktwahl durch die Bevölkerung abschaffen. Im Dezember 2016 sprachen sich die Teilnehmer einer Volksabstimmung mehrheitlich dagegen aus. Renzi trat zurück. Was blieb, waren zwei unterschiedliche Wahlsysteme für zwei gleichberechtigte Kammern. Deswegen musste vor der Wahl, im November 2017, das komplette System reformiert werden.

Warum werden bereits vor der Wahl Bündnisse gebildet?

Es gibt eine Vielzahl an Parteien. Selten werden Regierungskoalition aus nur zweien gebildet, meist sind es mehr. Vor der Wahl 2018 formten sich zwei große Bündnisse. Das Mitte-Links-Bündnis um die ehemalige Regierungspartei Partito Democratico (PD) unter Matteo Renzi. Und das Mitte-Rechts-Bündnis mit Matteo Salvinis Lega Nord sowie Silvio Berlusconis Forza Italia.

Vor allem Bündnisse profitieren von der Reform. Warum?

Jeder Wahlberechtigte kann pro Kammer eine Stimme abgegeben, entweder für einen Kandidaten oder eine Partei. Pro Wahlkreis wird ein Sitz vergeben. Eine Stimme für einen Kandidaten wird gleichzeitig auch als Stimme für dessen Partei gewertet. Denn die Partei kann über zwei Wege zu den Sitzen kommen: direkt über den Kandidaten oder den Stimmenanteil. Durch Bündnisse profitieren mehrere Parteien von den Stimmen für einen Kandidaten. Zieht dieser in das Parlament ein, erhalten alle an seinem Bündnis beteiligten Parteien einen prozentualen Stimmenanteil. Auch, wenn das Bündnis nach der Wahl zerfällt. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung hatte diese Reform abgelehnt, weil sie sich vor der Wahl gegen jegliche Koalition ausgesprochen hatte.

Wie geht es weiter?

Präsident Mattarella hat nun den Auftrag an den parteilosen Wirtschaftswissenschaftler Carlo Cottarelli weitergegeben. Bis zu den Neuwahlen soll er übergangsweise eine "technokratische Regierung" führen. Die Parlamentskammern müssen diese aber noch bestätigen. In beiden Kammern halten Lega Nord und Cinque Stelle gemeinsam die Mehrheit. Die Übergangsregierung kann bis zu ein Jahr im Amt bleiben. Cottarelli hat angekündigt, Neuwahlen werde es spätestens Anfang 2019 geben.

Lega Nord und Cinque Stelle hatten trotzdem schon am Sonntagabend in den Wahlkampfmodus geschaltet. Di Maio verkündete, dass er sich für die Absetzung Mattarellas einsetzen werde. Laut ihrem Artikel 90 wäre diese bei Verletzung der Verfassung oder bei Hochverrat möglich. Bisher deutet aber nichts darauf hin, dass eine Anklage Mattarellas realistisch wäre.

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