Mittelschicht:Wahre Probleme haben andere

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Der deutschen Mittelschicht geht es immer noch verdammt gut, deshalb sollte sie sich lieber mal Sorgen um die Unterschicht machen. Oder ist sie an einer Chancengleichheit vielleicht gar nicht interessiert?

Wie soll es für die Kinder dieser und künftiger Generationen erst weitergehen, wenn sie die Folgen des Klimawandels schmerzhaft zu spüren bekommen? (Foto: Ingo Wagner/dpa)

"Am Ende der Leiter" und "Dumm und nichts gelernt" vom 19./20./21. Mai:

Sorgen um die Unterschicht

Der Artikel von Max Scharnigg reizt mich ziemlich zum Widerspruch, und das in mehrerer Hinsicht. Erstens gibt es zwar in der Tat soziologische Belege dafür, dass sich die Arbeitswelt verändert und die Mittelschicht sich daher Sorgen macht. Doch in Wahrheit geht es der deutschen Mittelschicht auch in den jüngeren Generationen immer noch verdammt gut, gerade im internationalen Vergleich, und es wäre bei Weitem sinnvoller, sich Sorgen um die Unterschicht zu machen. Dort sind nämlich handfeste finanzielle und soziale Probleme zu finden statt nur der Angst, sich nicht wie die Eltern ein eigenes Ferienhaus leisten zu können. Zweitens ärgert mich, dass der Autor (wie im Gesellschaftsteil üblich) seine Fallbeispiele nur aus dem allerengsten eigenen Umfeld oder dem eigenen Leben bezieht. Klar, als Journalist verdient man nicht gut, und München ist das teuerste Pflaster der Republik. Aber haben Sie, Herr Scharnigg, mal daran gedacht, dass zur Mittelschicht, von der Sie so allgemein sprechen, auch Ärzte, Lehrer, Ingenieure, Anwälte, Steuerberater zählen? Die allermeisten meines Abiturjahrgangs (wir sind Mitte dreißig) wohnen nicht mehr zur Miete, sondern im eigenen Haus, denn in vielen Regionen Deutschlands geht das "noch". Drittens lässt sich der Wunsch, es mal besser zu haben als die Eltern, auch kritisch hinterfragen. So ein Wunsch war verständlich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als der Krieg eben vorbei und vieles noch knapp war. Aber warum sollte ich heute meine Eltern noch übertrumpfen wollen, wenn deren Lebensstil doch bereits äußerst komfortabel ist? Wie gesagt, ich fände es sinnvoller, mich zu fragen, wie wir Mittelschichtler mehr Menschen aus unserer Gesellschaft zu uns auf dieses komfortable Niveau holen können, als mich zu grämen, dass ich mir "nur ein klappriges Auto" und die neueste Espressomaschine leisten kann.

Christina Müller, Stuttgart

Grenzen des Wachstums

Ich finde es schade, aber auch bezeichnend, dass Max Scharnigg mit keinem Wort darauf eingegangen ist, dass die heute "an der Macht befindlichen Generationen" fast nichts unternehmen, damit den künftigen Generationen eine Welt überlassen wird, in der es sich zu leben lohnt. Leider beschränkt man sich darauf hinzuweisen, dass weiteres Wachstum aufgrund von monetären Grenzen kaum mehr möglich ist. Wenn der Klimawandel weiterhin ungebremst voranschreitet, dann können künftige Generationen davon ausgehen, dass es ihnen deutlich schlechter ergehen wird als den heutigen Generationen, da die Eltern und Großeltern "über die Verhältnisse gelebt haben". Wie heißt es so unschön: "Die Lebenden werden die Toten beneiden." Das klingt zwar makaber, ist aber meines Erachtens notwendig, da vor mehreren Jahrzehnten darauf hingewiesen wurde, dass es "Grenzen des Wachstums" gibt und wir nach wie vor dieses nicht wahrhaben wollen.

Erich Würth, München

Von wegen Chancengleichheit

Wie oft habe ich all das schon gelesen? "Chancengleichheit" war das Schlagwort meiner Jugend. Jetzt bin ich kurz vor dem Ruhestand.

Leider kommt Catherine Hoffmann erst ganz am Schluss ihres Beitrags zum Wesentlichen: dass es doch gerade die Mittelschicht ist, die Chancengleichheit gar nicht will. Und zwar seit Jahrzehnten nicht. Ihr liegt nichts am Aufstieg anderer. Ihr geht es einzig und allein darum, die eigenen Kinder in eine gute Position zum Wohlstand zu bringen. Und wer dem vermeintlich im Wege steht - seien es Arme, Ausländer, Behinderte - wird gnadenlos zur Seite geboxt. Dann wird der Bürger zum Tier. Und redet weiter über "Chancengleichheit". Aber er redet nicht. Er sülzt.

Kirsten Ehrhardt, Walldorf/Baden

Handwerk vor Studium

Es ist viel von Bildungsaufstieg die Rede. Das entgegengesetzte Phänomen ist auch notwendig im Rahmen der Bildungsgerechtigkeit: Nicht alle Kinder von Akademikern können auch selbst akademische Berufe ergreifen, denn es können nicht nach zehn Generationen des Aufstiegs alle Menschen Ärzte und Professoren sein. Deren Kinder sollten deshalb dazu ermutigt werden, ihren Neigungen statt der Familientradition zu folgen, und also zum Beispiel ein Handwerk erlernen. Leider wird dies in den Medien oft als Katastrophe gesehen: Kinder erreichen nicht mehr den Standard ihrer Eltern. Dabei sind die finanziellen Chancen im Handwerk oftmals besser als bei manchen akademischen Bildungswegen.

Henning Fritsches, Rothenburg

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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