Alben der Woche:Zwischen U-Haft und Knast noch eine Platte rausgehauen

Schwesta Ewa erzählt die wirklich wahre Geschichte hinter den Boulevardschlagzeilen. Außerdem: Der beste Schnulzensänger des Internetzeitalters kehrt zurück.

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Father John Misty - "God's Favorite Customer" (Bella Union)

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Quelle: SZ

Josh Tillman ist für die zeitgenössische Popmusik vielleicht das, was Martin Kippenberger für die Postmoderne war: ein King der ironischen Pointen. Oder zumindest sein immer ein wenig angetrunken wirkender, aber so scharfsinnig wie spöttisch auf unsere Welt schauender Alter-Ego Father John Misty. Auf seinem vierten Album, "God's Favorite Customer" (Bella Union), wendet er den Blick nach innen: Wie immer reichlich ironisch hangelt er sich an den bitterbösen und absurden Momenten einer schiefgelaufenen Liebe entlang. Ein wenig einseitig kann man all diese Selbstreflexion finden - vor allem im Vergleich zum zynischen Rundumschlag des Vorgängers "Pure Comedy". Musikalisch hat Tillman wenig verändert, die schummrigen Harmonien klingen noch mehr nach dem Siebzigerjahre-John-Lennon und die Streichersätze nach dem Symphonie-Rock von Electric Light Orchestra. Wunderbar unterhaltend ist es trotzdem mit diesem eloquenten Erzähler, in dessen Geschichten sich die Gefühle eines einsamen Mannes immer gleich in ein Meme zu verwandeln scheinen. Das macht Father John Misty zum besten Schnulzensänger des Internet-Zeitalters.

Annett Scheffel

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Andreas Gabalier - "Vergiss Mein Nicht" (Electrola/Universal)

Andreas Gabalier - Vergiss Mein Nicht; Andreas Gabalier

Quelle: Electrola/Universal

Andreas Gabalier ist die perfekte Platte gelungen. Doch, doch, das muss man so sagen, weil es aus popökonomischer Sicht keinen Zweifel daran gibt. "Vergiss Mein Nicht" (Electrola/Universal) betreibt eindrucksvoll Zielgruppenmaximierung, hier ist für alle, wirklich alle was dabei. "Verdammt lang her" könnte AC/DC sein, oder Meat Loaf, der seine mächtige Theatralik in eine enge Lederhose gepresst hat. Egal, auf jeden Fall Musik für Rocker. "Hallihallo" klingt dann schon so, als würde jemand gröbsten Ibiza-Baller-Trance auf der Akustikgitarre spielen. Geschunkelt wird fast gar nicht, dafür gibt's Goth-Rock mit grabeskaltem Piano, eine Rap-Einlage und ein Kinderlied aus Lummerland. Gabalier verwischt Genregrenzen und schafft - vielleicht tatsächlich VOLKSmusik. Im Guten wie im Schlechten. Denn sein grenzenloser Pop hat auch eine ganz klare Grenze: die des eigenen Kulturkreises. "I glab an mei Land und die ewige Liab", singt Gabalier in "Kleine steile heile Welt". Und: "In einem christlichen Land hängt a Kreiz an der Wand". Hört Markus Söder eigentlich Volksmusik?

Julian Dörr

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Oneohtrix Point Never - "Age Of" (Warp)

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Quelle: SZ

"Age Of" (Warp), die neue Platte von Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never, hat erstaunlich viele und kluge Sachen über unsere Gegenwart zu sagen, auch wenn seine Beobachtungen eher apokalyptisch ausfallen. Der New Yorker Elektroproduzent ist bisher vor allem durch komplexe, oft bedrohlich wirkende, fragmentierte Synthesizer-Arrangements aufgefallen - und als Kreativpartner von FKA Twigs, Anohni oder Ex-Talking-Heads-Kopf David Byrne. Nun hat dieser Frickler der abstrakten Soundpatterns sein bisher eingängigstes Album aufgenommen - was man bitte nicht falsch verstehen darf, denn Popmusik nach Top-40-Maßstäben ist das noch lange nicht. Es handelt sich vielmehr um freifliegende Kompositionen aus Pianoakkorden, Glitch-Sounds und computergefilterten Klagegesängen, die in ihrer artifiziell verzehrten Gefühligkeit an Bon Ivers letztes Album erinnern. Mit etwas gutem Willen kann man das - im Gegensatz zu Lopatins früheren Werken - als Songs beschreiben. Am klarsten wird deren Botschaft in "We'll Take It", in dem eine körperlose Stimme inmitten kühler Techno-Sounds den Zustand unserer Welt mit der schlauen Zeile auf den Punkt bringt: "We'll take it / but we don't even know what the price is!" - Wir kaufen es, auch wenn wir den Preis gar nicht kennen.

Annett Scheffel

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Schwesta Ewa - "Aywa" (Alles Oder Nix Records/Chapter One)

Schwesta Ewa

Quelle: Alles Oder Nix Records/Chapter One/Universal

Es beginnt mit einem Geständnis. "Meine Leute wollen ein Statement/ Meine Anwälte sagen ich soll die Fresse halten/ Aber scheiß drauf". Auf "Aywa" (Alles Oder Nix Records/Chapter One) erzählt Schwesta Ewa die wirklich wahre Geschichte hinter den Boulevardschlagzeilen. Oder das, was sie für die wirklich wahre Geschichte hält. Von der Festnahme wegen Verdachts auf Menschenhandel, Zuhälterei und Steuerhinterziehung über die Untersuchungshaft in der JVA Frankfurt Preungesheim bis zur Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. Und das droht ihr bald: "Ich war lange weg/ Und verdammt, bald bin ich wieder lange weg." Deshalb jetzt schnell noch zwischen U-Haft und Knast eine Platte rausgehauen. Die ist richtig real und klingt doch fake. Über blechern-dünne Beats klappert Schwesta Ewa ihren Neonreklamen-Rap herunter. "Ich bin schuldig der Körperverletzung/ Schuldig der Steuerhinterziehung". Ein paar Nutten geklatscht, ja, aber mit Menschen gehandelt? Niemals. Die Polizistinnen, die sie observierten, seien doch nur neidisch. Oder hätten schlechten Sex. "Aywa" zeigt damit die Wirkmacht und das Dilemma von Deutschrap. Die Wahrheit wird nicht im Gerichtsaal verhandelt, sondern auf Instagram.

Julian Dörr

© SZ vom 30.05.18/SZ.de/doer/biaz
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