Spaniens neuer Ministerpräsident:Was sich mit Sánchez ändern könnte

Der Sozialist will die schlimmsten Auswüchse der bleiernen Sparjahre korrigieren. Auch den Katalanen gibt er Anlass zur Hoffnung.

Von Sebastian Schoepp und Thomas Urban, Madrid

In Spanien haben am Samstag gleich zwei neue Regierungschefs ihren Amtseid abgelegt. Ein echter Neuanfang nach einer quälenden Epoche des Stillstands, der Winkelzügen und knallharten Konfrontationen. In Madrid schwor der neue spanische Ministerpräsident, der Sozialist Pedro Sánchez, vor dem König den Eid auf die Verfassung - im Übrigen ohne Bibel und Kruzifix, ein Novum. Er versprach, eine "europafreundliche, sozialistische und auf Ausgleich bedachte" Regierung - vor allem letzteres hörte man gerne in Barcelona, wo der neue katalanische Regierungschef Quim Torra den Amtseid ablegte.

In normalen Zeiten wäre Torras Antritt eine Riesennachricht. Schließlich ist damit automatisch die Zwangsverwaltung der Region zu Ende, die die alte spanische Regierung unter Mariano Rajoy über Katalonien verhängt hatte, nachdem der frühere dortige Ministerpräsident Carles Puigdemont die Region im Oktober verfassungswidrig für unabhängig erklärt hatte. Aber Torra ging ein wenig unter im Glanz des Coups von Pedro Sánchez, der die Ära Rajoy am Freitag nach sieben Jahren in einem meisterhaften Handstreich per Misstrauensvotum beendet hatte.

Vielleicht musste Torra deshalb ein wenig lauter aufs Blech hauen als nötig, in dem er ankündigte, natürlich sei auch das Ziel seiner Regierung ein unabhängiges Katalonien - womit die Bruchlinie, an der die neue Regierung Sánchez binnen kurzem scheitern könnte, schon vorgestanzt war. Sanchez' Regierung wird sich im Madrider Parlament nur auf 84 der 350 Abgeordneten stützen können, noch etwas weniger als Rajoys Minderheitsregierung zuvor. Sie wird für jede Entscheidung die Zustimmung der katalanischen Abgeordneten brauchen - und die werden sich ihre Stimme sehr teuer bezahlen lassen. Der neue spanischer Regierungschef ist also maximal erpressbar, was deshalb umso schwerer ins Gewicht fällt, als dass der Sozialist sich von seinem konservativen Vorgänger zwar in fast allen Zielen unterscheidet - nur in einem nicht: Er pocht auf die Einheit Spaniens.

Trotzdem herrscht nun eine andere Gesprächsatmosphäre, nachdem die beiden Streithähne Rajoy und Puigdemont, die fest entschlossen waren, keine Feder am jeweiligen Widersacher zu lassen, aus der Linie sind. Sánchez hat bereits in der Vergangenheit erkennen lassen, dass er mit den Katalanen über den Finanzausgleich, der ja Stein des Anstoßes war - reden würde. Er hat eine Kommission ins Gespräch gebracht, die die Verfassung von 1978 überarbeiten und den Regionen mehr Rechte einräumen soll.

In Acht nehmen muss er sich bei Zugeständnissen an die Katalanen jedoch vor seiner eigenen Partei, die ihre Machtbasis in Andalusien hat, eine der ärmsten Regionen, wo besonders viele Transferzahlungen hingehen. Aus Andalusien stammt seine schärfste innerparteiliche Widersacherin, die streitbare Susana Díaz, die Sánchez als Vorsitzenden unbedingt verhindern wollte - und die nun wohl in die neue Regierung aufrücken muss, damit sie Ruhe gibt.

Sánchez hat also nicht nur mit renitenten Katalanen und Basken und drei großen gegnerischen Parteien im Parlament zu tun, den Linksalternativen von Podemos, Rajoys Konservativen und den liberalen Ciudadanos, sondern auch mit den eigenen Leuten. Ein guter Grund, warum viele Kommentatoren seiner Regierung keine lange Lebensdauer einräumen. Ob er es schafft, schnell seine ehrgeizige Agenda umzusetzen, bleibt fraglich, zumal er gelobt hat, den von Rajoy durchgesetzten Haushalt zu respektieren - und sich auch an die Vorgaben aus Brüssel zu halten.

Pedro Sánchez ist ein eher linker Sozi, ihm geht es vor allem darum, die schlimmsten Härten der bleiernen Spar- und Kürzungsjahre abzumildern, die Spanien auf Weisung aus Brüssel und Berlin unter Rajoy durchlebte. Er will anders als Rajoy in Wissenschaft und Technik investieren - das ist der Bereich, in dem Spanien am meisten Nachholbedarf hat; Rajoys Politik hatte aus den Spaniern eher ein Volk der Kellner gemacht.

Pläne für "aktive Arbeitsmarktpolitik"

Sánchez kündigte eine "aktive Arbeitsmarktpolitik" an, das heißt, er will ähnlich wie der portugiesische Kollege António Costa die Nachfrageseite stärken und dadurch mit der Doktrin der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik brechen, die seit Margaret Thatcher in der EU gilt. Er will Kürzungen im Gesundheitswesen zurücknehmen und die Rolle der Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen stärken, die Löhne sollen moderat steigen, damit wieder mehr Geld ins darbende steuerfinanzierte Sozialsystem fließt. Er will Finanztransaktionen besteuern - ein Gruß an die bisher regierende Volkspartei, die mit schwarzen Kassen und Spekulationsgewinnen einen der größten Korruptionsskandale Spaniens auslöste, über den am Ende Rajoy stolperte. Und Sánchez plant eine spezielle Abgabe für Banken, die dem Sozialsystem zu Gute kommen soll, damit die sich auch mal an was beteiligen.

All das wird in Angela Merkels Ohren arg nach François Hollande klingen. Aber die deutsche Kanzlerin kann nach zehn Jahren Eurokrise froh sein, im Süden überhaupt noch eine berechenbare politische Kraft vorzufinden. Und wie lange Sánchez regiert, hängt ja auch von den baldigen Wahlen ab. Bis dahin wird er alles tun, um sein Image zu polieren - den Medienauftritt liebt er, anders als der scheue Rajoy.

Für Sánchez war der Machtantritt eine unverhoffte Wendung, denn bislang war er als Oppositionsführer glücklos gewesen. Dabei war er vor vier Jahren den spanischen Sozialisten fast aus dem Nichts als Hoffnungsträger erschienen. Seine Partei, die PSOE lag damals am Boden, sie wurde für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht, Folge des Platzens einer gigantischen Immobilienblase. Die Mitglieder sollten damals per Urwahl einen Parteichef bestimmen. Völlig unerwartet siegte der Madrider Hinterbänkler. Zuvor hatte er unermüdlich mit seinem alten Peugeot Ortsverbände abgeklappert. Aufbruchsstimmung erfasste die Partei.

Bei seinem Amtsantritt als Parteichef war Sánchez 42 Jahre alt. Der 1,90 Meter große durchtrainierte Sportler galt als Schwiegermutterliebling, aber auch als politisches Leichtgewicht. Sánchez ist kein mitreißender Redner, auch ist ihm das Milieu der traditionellen PSOE-Wähler fremd, das der Arbeiter, Kleinhändler und Handwerker. Erste politische Erfahrungen sammelte er im fernen Brüssel als Assistent einer spanischen Europa-Abgeordneten. Vor seinem Aufstieg zum Parteichef war er Professor für Volkswirtschaft.

Die Abwärtsfahrt der einst stolzen PSOE konnte er zuerst nicht aufhalten. Von links nahm die linksalternative Gruppierung Podemos (Wir schaffen das) Stimmen weg, von rechts die liberale Bürgerpartei (Ciudadanos). Im Herbst 2016 kam es zum offenen Aufstand eines Teils der Parteidelegierten gegen Sánchez, weil er sich nicht zu einer Großen Koalition nach deutschem Vorbild überreden lassen wollte. Doch Sánchez gewann auch die nächste Urwahl, denn die PSOE ist in ihrer Mehrheit deutlich linker als die SPD. Wie es aussieht, hat sich der Widerstand für ihn ausgezahlt.

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