Raumfahrt:Überirdisches Unterfangen

Die Begeisterung um den deutschen "Astro-Alex" Alexander Gerst ist verständlich. Aber die Wahrheit ist: Die Kosten für bemannte Missionen sind irrwitzig. Astronauten fliegen ins All, weil es begeistert, weil es stolz macht. Das Geld wäre besser anzulegen.

Kommentar von Patrick Illinger

Man kann sich der Faszination nicht entziehen, wenn Menschen in eine Rakete steigen und von 26 Millionen PS angetrieben in den Weltraum aufbrechen. Das ist auch nach bald 60 Jahren bemannter Raumfahrt noch immer ein gewaltiges Abenteuer, ein im Wortsinn überirdisches Unterfangen. Und wenn dann auch noch ein Deutscher an Bord ist, um erstmals das Kommando auf der Internationalen Raumstation zu übernehmen, darf auch ein bisschen Stolz mitschwingen. So viele Deutsche gab es ja nicht, die in diesem Metier berühmt geworden sind. In Erinnerung sind vor allem der DDR-Volksheld Sigmund Jähn und "unser Mann im All", Ulf Merbold, der 1983 als erster Westdeutscher zum Spacelab reiste.

An diesem Mittwoch startet nun wieder ein Popstar mit Schwarz-Rot-Gold auf dem Raumanzug ins All: Alexander Gerst, der 2014 bereits einmal auf der ISS weilte, ist ein erfrischend sympathischer, humorvoller und - den Zeiten angemessen - in sozialen Medien hochaktiver Astronaut. Der Mann aus Künzelsau wird die ISS während seines fast halbjährigen Aufenthalts einige Wochen lang befehligen.

Das wirkt ähnlich mitreißend wie der Mann aus Leimen und die Frau aus Brühl, die Wimbledon gewannen, wie der Mann aus Kerpen, der die Formel 1 aufmischte, und die Mannschaft, die Fußballweltmeister wurde. Das All kann genauso begeistern wie ein Sportplatz. Schon nach dem ersten Raumflug Juri Gagarins vor 57 Jahren verglich der Historiker Sebastian Haffner die Emotionen in der Sowjetunion mit denen der Deutschen nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft von 1954. Das Wettrennen im All hatte schon immer sportlichen Charakter.

"Astro-Alex" fasziniert viele, aber die Kosten bemannter Missionen sind irrwitzig hoch

Die Parallelen erschöpfen sich dabei nicht in der Begeisterung für das Spektakel. So wie der Fußball und andere Sportarten hat auch die Raumfahrt eine überaus problematische Kulisse. Zwar geht es nicht um Korruption oder Doping, und auch nicht so sehr um gefährdete Menschenleben oder den Weltraumschrott ausgebrannter Raketenstufen. Wohl aber geht es um Geld. Bemannte Raumfahrt ist irrwitzig teuer. Mehr als einhundert Milliarden Euro hat die Internationale Raumstation bereits verschlungen, seit Ronald Reagan das Projekt in den 1980er-Jahren initiierte, damals noch mit militärischen Absichten.

Mit technologischem oder wissenschaftlichem (Erkenntnis-)Gewinn sind diese Ausgaben niemals zu rechtfertigen. Weniger als ein Zehntel der laufenden Kosten für die ISS fließen in die Forschungsexperimente an Bord. Und nüchtern betrachtet: Fast alles davon könnte genauso gut oder besser mit Satelliten, Automaten und Robotern erledigt werden.

So faszinierend es ist, Menschen ins All zu schicken, so wenig sinnvoll ist das unter rationalen Gesichtspunkten. Es klingt hämisch, stimmt aber, dass bemannte Raumfahrt vor allem dazu da ist, sich selbst zu erforschen. Also die Frage, wie Menschen im Weltraum überleben können. Der Zustand unseres Planeten, das Rätsel, wie einst Leben entstand, die Suche nach möglichen Rohstoffen im All und die Frage, ob es außerirdische Organismen gibt - all das hat nichts mit bemannter Raumfahrt zu tun. Astronauten fliegen ins All, weil es begeistert, weil es stolz macht, und weil mächtige Nationen anderen Nationen zeigen wollen, dass sie es können.

Satelliten sind wichtiger als Raumstationen

Unter diesem Aspekt ist die Internationale Raumstation manchen Populisten sogar schon langweilig geworden. US-Präsident Donald Trump ließ vor einigen Monaten durchblicken, er wolle die ISS abschaffen oder zumindest privatisieren. Der Grund waren aber nicht die absurden Kosten. Nein, dem US-Präsidenten steht der Sinn nach noch viel teureren Missionen, zum Mond und zum Mars.

Zum Mars? Was, bitte, will man dort? Eine Flagge in den Boden rammen, so wie einst auf dem Mond? Ist das noch zeitgemäß? Nein, es gibt keinen vernünftigen Grund für derartige Irrsinnspläne. Mögliche Ressourcen im All sucht man besser auf Asteroiden. Mit Robotern. Für das Geld, das alleine die Internationale Raumstation kostet, könnte man Dutzende robotische Missionen zu anderen Planeten unternehmen und Dutzende Satelliten zur Erkundung unseres eigenen Planeten in den Orbit schießen. Sicher, ein Radarsatellit, der die Eiskappen der Erde durchleuchtet oder den Regenwald überwacht, versprüht nicht einmal ansatzweise die Faszination eines bemannten Raumflugs. Für den Fortbestand der Menschheit sind solche Missionen indes wichtiger als eine Handvoll Frauen und Männer, die durch eine orbitale Containeranlage schweben und mit Schulklassen telefonieren.

Doch wie bei einem Fußballturnier in einem autokratischen Staat dürfen an diesem Mittwoch Bedenken auch mal in den Hintergrund rücken. Wenn @Astro_Alex in die Sojus-Kapsel steigt und der Countdown beginnt, dann geht es nicht um Geld. Sondern um das, was Mensch und Technik zu leisten imstande sind.

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