"Unterwerfung" in der ARD:Wie geschmeidig hier die Demokratie aufgegeben wird

Unterwerfung

In Unterwerfung entwickelt sich Frankreich ganz soft, demokratisch und barrierefrei zur islamischen Diktatur - und mittendrin François (Edgar Selge).

(Foto: Manon Renier/rbb/NFP)
  • Die ARD zeigt am Mittwoch den Film "Unterwerfung" nach dem Roman von Skandalautor Michel Houellebecq.
  • Der Inhalt ist brisant: Um eine rechtsradikale Regierung zu verhindern, wird ein muslimischer Präsident gewählt, der die säkulare Republik abschafft und unter anderem Frauenrechte massiv einschränkt.
  • Einen solch brisanten Stoff fürs Fernsehen zu verfilmen, ist ein unerschrockener, respektabler und intellektuell erfreulicher Akt.

Von Christine Dössel

Ein Mann steigt aus der Bahn und geht zur Arbeit. Es ist der Schauspieler Edgar Selge auf dem Weg ins Hamburger Schauspielhaus. Er hat dort am Abend Vorstellung, an der Fassade hängt schon das Plakat: "Unterwerfung ", nach dem Roman von Michel Houellebecq. Edgar Selge bestreitet diesen Theaterabend über die mögliche Islamisierung Frankreichs - ja, womöglich ganz Europas - komplett alleine. Er spielt den Literaturwissenschaftler François, den Ich-Erzähler in Houellebecqs umstrittenem Bestseller. Es ist ein Wahnsinns-Monolog über fast drei Stunden, ein Kraftakt - und eine Sternstunde des Theaters. Die Inszenierung, herausgekommen im Februar 2016, wurde zwar nicht zum Berliner Theatertreffen eingeladen - Schande über die Jury -, die Würdigung von Selges phänomenaler Leistung kam ansonsten aber nicht zu kurz. So wurde er 2016 zum "Schauspieler des Jahres" gewählt und mit dem Theaterpreis "Der Faust" ausgezeichnet.

Regisseur Titus Selge schneidet Theater- und Spielfilmszenen geschickt gegeneinander

Es gibt in Hamburg ein enormes Interesse an dem Stück. Alle Vorstellungen sind immer sofort ausverkauft. Und am Ende gibt es für den süffigen Intensiv- und Ironieschauspieler Selge, der auch ein Intelligenzschauspieler ist, jedes Mal Standing Ovations. Das war auch jetzt wieder so, als die Inszenierung der Hamburger Intendantin Karin Beier an mehreren Abenden an den Münchner Kammerspielen gastierte. Das Publikum: völlig aus dem Häuschen.

Und nun gibt es also auch einen Film zum Erfolgsstück - der in eleganten Bildern verschiedene Ebenen mischt: die Realität im Hier und Jetzt (ein Schauspieler spielt Theater), den Theaterabend selbst (Ausschnitte aus der Hamburger Inszenierung) und dazu die Verfilmung einschlägiger Szenen aus dem Roman am Originalschauplatz Paris. Da sieht man also zunächst den "echten" Edgar Selge auf dem Weg ins Hamburger Schauspielhaus. Er schaut lässig und murmelt, weil er bald spielen muss, Sätze aus der Romanadaption vor sich hin. Kurz vor dem Bühneneingang wird er von drei Typen angequatscht, die sichtbar einen arabisch-afrikanischen Migrationshintergrund haben. Wenig später vermisst er sein Portemonnaie. So fängt's schon mal an.

Aber es fängt in diesen ersten Szenen, gedreht im Juli 2017, überflüssigerweise auch so an: Hamburg brennt. Es ist zufällig gerade der G-20-Gipfel, die Stadt ist im Ausnahmezustand. Man sieht Bilder von gewaltbereiten Demonstranten und martialisch gerüsteten Polizisten. Bilder, die - ganz lauter ist diese Verquickung nicht - Gedanken an einen Kulturkampf evozieren, wie er in Houellebecqs Roman "Unterwerfung" knallhart dystopisch durchgespielt wird. Auch da brennen Autos, gibt es tumultartige Ausschreitungen, droht in Frankreich vor der anstehenden Präsidentschaftswahl im Jahr 2022 sogar ein Bürgerkrieg. Bis im zweiten Wahlgang, zur Vermeidung eines Bündnisses mit dem rechtsradikalen Front National, ein muslimischer Präsident an die Macht kommt: Mohammed Ben Abbes. Fortan ist die säkulare Republik abgeschafft; die Frau im öffentlichen Leben auch; und die Juden wandern hoffentlich rechtzeitig aus. Die Scharia wird geltendes Recht, und für den präfeministisch als patriarchalischer Tonangeber wiederhergestellten Mann gibt es die Vielehe und andere süße Privilegien.

Wie geschmeidig und unspektakulär sich dieser Wandel vollzieht; wie widerstandslos hier die Demokratie und hart errungene westliche Werte aufgegeben werden; wie sich ganz soft, demokratisch und barrierefrei eine islamische Diktatur entwickelt, ist die eigentliche Provokation in Houellebecqs grandiosem, die Gemüter erregendem - und bitte auch sarkastisch zu lesendem - Roman. Die einen (darunter Staatspräsident Emmanuel Macron) preisen den Autor dafür; die anderen (wie Ex-Premier Manuel Valls) kritisieren, wenn nicht hassen das schreibende Enfant terrible. AfD-Wähler und Pegida-Anhänger wiederum könnten "Unterwerfung" als Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen lesen. Kalt lässt Houellebecq jedenfalls keinen. Genau das ist seine große Qualität.

Einen solch brisanten Stoff fürs Fernsehen zu verfilmen, ist ein unerschrockener, respektabler und intellektuell erfreulicher Akt, vollbracht vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und dessen neuer Filmchefin Martina Zöllner. Houellebecqs Roman taugt tatsächlich zum Aufreger, aber vor allem funktioniert er als gedanklicher Anreger: Was ist uns westlichen Individualisten unsere Kultur, unsere Demokratie eigentlich (noch) wert? Dass Unterwerfung in seiner ganzen experimentellen Ungewöhnlichkeit und Theater-Bezugnahme auch noch zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr ausgestrahlt wird, grenzt an ein Wunder. Das Erste bettet den Film pfleglich in einen "Themenabend" ein", heißt: Im Anschluss wird bei Maischberger darüber diskutiert. Dann geht es auch um Islamophobie und die Frage, wie realistisch ein Szenario wie das von Houellebecq ist.

Gedreht hat den Film Edgar Selges Neffe Titus Selge, der Theater- und Spielfilmszenen geschickt gegeneinanderschneidet und so noch eine andere, psychologisch tiefere Ebene einzieht. Auf dieser Ebene ist die Einsamkeit und Trostlosigkeit des Protagonisten, der unter seinem alternden Körper und defizitärem Liebesleben leidet, unverkennbar. Auf der Bühne spielt der Solo-Entertainer Selge vor einem riesigen, hohlen, sich drehenden Kreuz, in das er oft auch hineinklettert - ein Kreuz, das symbolisch darauf wartet, mit Inhalt gefüllt zu werden. In den Filmszenen sieht man seinen François ruhelos in Paris: in seinem Appartement mit Blick auf die Stadt, an der Uni, bei Einladungen und Empfängen. Er trägt Baskenmütze, säuft, raucht und hat Sex mit der Studentin Myriam (Alina Levshin) wie seiner Exfreundin Aurélie (Catrin Striebeck), über deren körperlichen Verfall er übel spricht, während er selber sich nackt und schlaff im Spiegel betrachtet. Er ist ein Wrack, leer, an der Grenze zur Depression.

Der Übertritt zum Islam erscheint als Verlockung: fürstliches Gehalt, mehrere Frauen, Dienstvilla

Politik aber interessiert ihn. Die Ausschreitungen in Paris vor den Wahlen verfolgt François aufmerksam. Er spricht mit Kollegen, hört sich um, flieht aufs Land zur Professorin Marie-Françoise Tanneur (Bettina Stucky) und ihrem Bescheidwisser-Mann Alain (André Jung). Dann kommen die Muslimbrüder an die Macht, und alles beruhigt sich erstaunlich schnell. Höhepunkt des Films ist François' Treffen mit Rediger, dem neuen Präsidenten der nun islamisch aufgestellten Sorbonne. Matthias Brandt gibt ihn mit so viel staatsmännischer Überzeugungs- und Verführungskraft, so soigniert und kultiviert, dass François ihm selig an den Lippen hängt. Die Option, zum Islam überzutreten, erscheint als große Verlockung: ein fünfstelliges Monatsgehalt, mehrere Ehefrauen und eine Dienstvilla.

Ob François' Opportunismus siegt, bleibt offen. Seine Konversion zum Islam vollzieht sich - auch im Film - rein im Konjunktiv. Am Ende sieht man den Schauspieler Edgar Selge nach getaner Arbeit in seiner Garderobe. Er ist entspannt und findet sein gestohlen geglaubtes Portemonnaie wieder. Und der Zausel, der sich später am U-Bahn-Eingang Feuer geben lässt, ist das nicht Michel Houellebecq? So endet heiter-fröhlich, was ein hochexplosives Gedankenspiel war.

Unterwerfung, Das Erste, 20.15 Uhr.

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