Kapitalflucht:Italiener überweisen Milliarden ins Ausland

People walk in Campo dei Fiori square in Rome

Die neue italienische Regierung löst in der Bevölkerung Unruhe aus. Hier eine Straßenszene aus Rom.

(Foto: Tony Gentile/Reuters)
  • Ende Mai flossen täglich rund eine Milliarde Euro von italienischen Konten ins Ausland.
  • Inzwischen bemüht sich die neue Regierung in Rom, die Bevölkerung wieder zu beruhigen.

Von Cerstin Gammelin und Markus Zydra

Die aktuellen Zahlen sind noch nicht veröffentlicht, aber so viel ist schon klar: Italienische Bürger und Unternehmen haben in den chaotischen Tagen um die Bildung einer neuen Regierung und den deutlich eurokritischen Tönen ihr Vertrauen in die politische Führung verloren. Sie beschlossen, Geld und Vermögen ins Euro-Ausland zu transferieren.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung floß Ende Mai täglich rund eine Milliarde Euro von italienischen Konten ins Ausland ab. "Ich halte es für eine rationale Entscheidung, wenn italienische Bürger und Unternehmen ihr Geld auf Bankkonten in sichereren Euro-Staaten überweisen. Ein Euro-Austritt Italiens ist zwar derzeit nicht absehbar, doch schon die Debatte über die Einführung einer Parallelwährung ist Anlass genug, sich Sorgen um das eigene Vermögen zu machen", sagte Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank.

Erinnerungen an Zypern werden wach

Die Geldabflüsse aus Italien sind noch nicht dramatisch, ein Bankenansturm sähe anders aus. Doch die Tatsache, dass Italiener zuletzt mehr Kapital ins Ausland transferiert haben, belegt, wie empfindlich Bürger und Unternehmen sind. Kein Wunder, dass die neue italienische Regierung nun ihre Treue zum Euro betont. Man erinnert sich daran, wie vor einigen Jahren die politischen Turbulenzen in Griechenland und auf Zypern Panik auslösten. Bürger rannten scharenweise an Bankautomaten, um Bargeld abzuheben. Die griechische und die zyprische Regierung mussten damals strenge Kapitalverkehrskontrollen einführen, um einen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern.

Die europäischen Kapitalbewegungen lassen sich am Saldo des europäischen Zahlungsverkehrssystems Target2 ablesen. Ein Beispiel: Wenn ein italienisches Unternehmen eine Industriemaschine in Deutschland kauft, dann weist die Hausbank des Unternehmers die Auslandszahlung über die italienische Notenbank an. Die Banca d'Italia kontaktiert die Bundesbank, die wiederum den Betrag der exportierenden deutschen Firma gutschreibt. Denselben Weg nimmt das Geld, wenn Italiener in Deutschland ein Konto eröffnen und dorthin ihr Vermögen überweisen oder als Geldanlage eine Immobilie in Deutschland erwerben.

Target2 bildet die Zahlungsströme aller 19 Eurostaaten ab. Im Notenbanksystem mit der EZB im Zentrum entsteht so ein Saldo aus Forderungen und Verbindlichkeiten. Weil Deutschland mehr exportiert als importiert, sitzt die Bundesbank auf Target-Forderungen von fast einer Billion Euro. Der aufgrund der Kapitalflucht aus Italien zuletzt gestiegene Betrag ist unproblematisch, solange die Eurozone zusammenbleibt. Doch mit dem Austritt eines Euro-Staats könnte es sein, dass es schwer wird, diese Forderungen einzutreiben. Die Bundesbank und somit der deutsche Steuerzahler könnte einen Verlust erleiden.

Inzwischen bemüht sich die neue Regierung in Rom, die Nerven zu beruhigen. Der neue italienische Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria sagte in einem Interview, die Koalition wolle das Wachstum durch Investitionen und Strukturreformen ankurbeln; nicht durch höhere Schulden. Außerdem stehe ein Ausstieg aus dem Euro nicht zur Debatte. Diese Aussagen haben die Finanzmärkte beruhigt. Vor allem die Anleihemärkte erholten sich, die Renditen für italienische Staatsschuldscheine sanken - das bedeutet, dass sich die italienische Regierung wieder günstiger refinanzieren kann.

Zuletzt waren die Zinsen für zehnjährige italienische Staatsanleihen auf über drei Prozent geklettert. Dieser Anstieg unterstrich die Sorge der Kreditgeber, denn eigentlich sorgt die Nachfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) dafür, dass die Zinsen niedrig bleiben. Die Notenbank kauft seit Jahren Staatsanleihen der 19 Euro-Staaten - darunter auch die aus Italien. Es wird erwartet, dass der EZB-Rat bei seiner Sitzung am Donnerstag das Ende dieser Anleihekäufe bespricht. Der Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik wird jedoch sehr graduell ablaufen.

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