Trend:Wie die Wasserflasche zum Lifestyle-Produkt wurde

Trend: Eine Trinkflaschenauswahl gesehen bei Sport Schuster in München

Eine Trinkflaschenauswahl gesehen bei Sport Schuster in München

(Foto: Stephan Rumpf)

Vom Kindergartenkind bis zum Manager geht kaum noch jemand ohne eigene Trinkflasche aus dem Haus. Warum eigentlich?

Von Marcus Jauer

Beginnen wir mit Agnes Ziegleder-Weiß aus Wittibreut. Wittibreut liegt in Niederbayern zwischen Rott und Inn, nur ein paar Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt und ist an sich kein Ort, von dem eine Revolution ausgeht. Aber Agnes Ziegleder-Weiß ist an sich ja auch keine Revolutionärin.

Als ihre Kinder, ein Mädchen und ein Junge, noch in die Grundschule gingen, holte sie die beiden häufig ab. Dabei fielen ihr auf dem Schulhof die überfüllten Papierkörbe auf, in denen - oft aber auch daneben - die Reste dessen lagen, was die Eltern ihren Kindern für die Pause zum Trinken mitgegeben hatten: Capri-Sonne-Tüten, Tetra-Packs, Dosen.

Agnes Ziegleder-Weiß ist keine gelernte Umweltschützerin, sie hat Schreinerin gelernt und später den Betrieb ihres Vaters übernommen. Der Müll störte sie trotzdem. Sie fand ihn unnötig. Warum den Kindern nicht eine Flasche mitgeben, die sie wieder mit nach Hause bringen können und die man dort für den nächsten Tag befüllt?

Kurz darauf kamen ihre Kinder mit einer Trinkflasche in die Schule, die man nirgends kaufen konnte; sie war selbst gemacht. Eine handelsübliche Glasflasche mit Schraubverschluss, eingewickelt in ein Stück Heizkörperisolation, damit sie beim Runterfallen nicht zerbricht, und eingepackt in ein selbstgenähtes Stoffsäckchen, das alles zusammenhält und mit dem man die Flasche gut tragen kann.Schnell bekam Agnes Ziegleder-Weiß Anfragen von anderen Eltern, und bald lieferte ihr Mann, der als Tierarzt arbeitete, die Trinkflasche auf seinen Touren über die Dörfer an Schulen und Kindergärten aus. Es waren Schüler, die sich einen Namen für sie ausdachten. Seitdem gibt es "Emil, die Flasche zum Anziehen".

Das ist jetzt achtundzwanzig Jahre her.Wer heute in einen Laden oder ins Internet geht, um eine ganz normale Trinkflasche zu kaufen, der sieht sich einer derart großen Auswahl gegenüber, dass es von vornherein unmöglich zu sein scheint, die richtige zu finden, denn ganz normal ist keine davon. Es gibt Trinkflaschen aus Plastik, aus Glas oder Edelstahl. Mit Verschlüssen zum Drücken, Klappen oder Schrauben. Mit Wasserfiltern, innen liegenden Schläuchen oder Einsätzen für frisches Obst. Von mehr als einem Dutzend verschiedener Firmen. In allen Farben, Formen und Designs. Für Preise von fünf bis 50 Euro - oder auch für 150 Euro, dann ist es eine Trinkflasche, die mit Swarovski-Kristallen besetzt ist und in London bei Harrods angeboten wird.

Verglichen damit wirkt die Flasche, die sich Agnes Ziegleder-Weiß 1990 ausgedacht hat wie das Urpferd, bevor sich die Evolution darauf stürzte. Auf jedem Spielplatz in Berlin-Prenzlauer Berg sieht man inzwischen mehr Arten von Trinkflaschen, als damals überhaupt auf dem Markt waren.

Die Trinkflasche - war das nicht gerade noch ein Alltagsgegenstand?Was ist da eigentlich passiert?

Berlin-Tempelhof. Zwischen einer Mozzarella-Käserei und einem Jalousien-Händler liegt in einer riesigen Lagerhalle die Zentrale von Soulbottles. Dem Unternehmen, das nacheigenen Angaben "die wohl sauberste Trinkflasche der Welt" produziert. Paul Kupfer, einer der beiden Gründer, ist gerade aus Sri Lanka zurückgekehrt, wo er eine Plantage besucht hat, die den Kautschuk für den Dichtungsring der Flasche liefert. Er wollte sehen, ob die Umweltstandards eingehalten und die Arbeiter fair bezahlt werden. "Das sollte man schon machen, wenn man die Welt retten will", sagt Paul Kupfer. "Und das war ja von Anfang an unser Main Issue."

Paul Kupfer ist Ende 20, und obwohl er an diesem Montag noch eine Spur Glitzer im Gesicht hat, die von einem Clubbesuch am Wochenende stammen könnte, führt er aufgeräumt und wach durch seine Firma. Da ist die Sofaecke, in der sie mittags auch essen. Sie kochen selbst, weil die Gegend noch so abgelegen ist, dass es in der Nähe keinen Imbiss gibt. Da ist die Tischtennisplatte, da sitzen die Leute von Einkauf, Vertrieb und Marketing. Den Raum dahinter vermieten sie an eine Trommelgruppe, und in dem Raum, der dann kommt, hat eine Elektrorollervermietung ihre Fahrzeuge untergestellt.

"Wir mussten in den letzten Jahren immer wieder umziehen, weil der Platz nicht reichte", sagt Paul Kupfer. "Das sollte uns nicht so schnell wieder passieren."Er steht im Erdgeschoss der Lagerhalle, wo die "Soulbottles" zusammengesetzt und von Hand verpackt werden. Eine zylindrige Glasflasche in verschiedenen Designs, mit einem Bügelverschluss, für den der Draht in Deutschland gebogen und der Keramikpfropfen in Deutschland gebrannt wird. Ein Industrieprodukt, das wie eine Handarbeit wirkt und inzwischen sogar in Buchhandlungen angeboten wird. Vergangenes Jahr haben sie fast 180 000 Flaschen verkauft, sechsmal so viel wie drei Jahre zuvor. Eine "Soulbottle" kostet 25 Euro, aber dafür wird man Teil einer Philosophie. "Wir sind kein Konzern, der auf Hippie macht", sagt Paul Kupfer. "Wir sind ein Unternehmen, gegründet von Hippies."

Plastik ist längst keine Privatsache mehr

Paul Kupfer und sein Freund Georg Tarne kennen sich vom Studium in Wien, wohin sie gegangen waren, weil die deutschen Unis so einen harten Numerus clausus hatten. Als sie dort den Dokumentarfilm "Plastic Planet" von Werner Boote sahen, der die riesigen Plastikinseln thematisierte, die im Meer entstanden waren, veränderte sich ihr Blick auf Verpackungen. Künftig nahmen sie zur Vorlesung leere Wodkaflaschen mit, in die sie Leitungswasser füllten und die sie später auch bedruckten, wie man damals T-Shirts bedruckte. So hat es bei ihnen begonnen.

Im Grunde war das die studentische Variante dessen, was sich Agnes Ziegleder-Weiß 20 Jahre zuvor für Eltern und Kinder überlegt hatte. Aber inzwischen war die Idee, Plastikmüll zu vermeiden, längst keine Privatsache mehr. Es gab bereits das Pfand auf Einwegflaschen. Gleichzeitig war die Ansicht weit verbreitet, dass alle zu wenig trinken. Immer mehr Leute liefen mit großen Wasserflaschen herum, um nur ja auf die erforderlichen zwei Liter zu kommen. Der dritte Faktor schließlich war die Digitalisierung mit ihrem Start-up-Denken und den sozialen Netzwerken, in denen das Foto eines Schauspielers mit einer Trinkflasche, zehntausendfachgeteilt, eine Massenbestellung auslösen konnte. Umwelt­bewusstsein traf auf Körperbewusstsein traf auf Gründermythos. In Amerika entstanden Firmen wie S'well, Bkr oder Klean Kanteen und machten aus der Trinkflasche ein Lifestyle-Produkt, passend zum Alltag im Büro, im Fitness-Studio und draußen.

Als Paul Kupfer und Georg Tarne ihre Firma 2011 gründen, ist die Trinkflasche längst zum Behältnis für einen Zeitgeist geworden, der Konsum und Nachhaltigkeit vereinen will. Einerseits denken sie wie ein Start-up, haben einen Business Angel, finanzieren sich über Crowdfunding. Andererseits spenden sie von jeder Flasche einen Euro für ein Trinkwasserprojekt in der Dritten Welt, ob sie Gewinn machen oder nicht. Und sie arbeiten in der Firma nach dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation zusammen, das der amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg entwickelt hat. Es geht davon aus, dass gegenseitiges Einfühlungsvermögen für eine gelungene Kommunikation absolut unerlässlich ist und man dies deshalb trainieren muss. Jeder der inzwischen 34 Mitarbeiter bei Soulbottles hat in seiner Probezeit einen Einführungskurs bekommen, und jedes halbe Jahr treffen sich alle zueinem Retreat, auf dem sie, unterstützt von professionellen Coaches, erarbeiten, wie sich die Firma weiterentwickeln soll und wie zufrieden jeder mit der Arbeit der anderen ist.

"Sich das offen anzuhören, war anfangs nicht immer leicht", sagt Paul Kupfer. "Aber wir sehen einfach, welchen Einfluss es auf die Arbeit hat, wenn man emotional sortiert ist." Sein Mitgründer Georg Tarne hält inzwischen Vorträge über ihre Arbeitsweise und hat sich aus dem Geschäft zurück-gezogen. Paul Kupfer überlegt, ob sie das Unternehmen nicht in eine Genossenschaft umwandeln und den Mitarbeitern übergeben.

Agnes Ziegleder-Weiß arbeitet noch immer in ihrer Firma und stellt "Emil, die Flasche" her. Die Schreinerei hat sie kurze Zeit, nachdem das Flaschengeschäft anlief, aufgegeben, weil ihr nicht mehr genug Zeit dafür blieb. An manchen Tagen verkaufte sie bis zu 2000 Flaschen. Frauen aus der Umgebung halfen ihr, die Stoffsäcke zu nähen. Sie erweiterte die Produktpalette um ein Yoga-Kissen, Rucksäcke und Taschen, später auch noch um Brotdosen aus nachwachsenden Rohstoffen. Und vor ein paar Jahren stiegen ihre beiden Kinder mit ein. Ihre Tochter für den kreativen Bereich, ihr Sohn für das Kaufmännische."Unsere Mutter hat aber nie Druck gemacht, dass wir den Betrieb übernehmen", sagt Andreas Weiß, "sie hat nie gesagt, ihr müsst, das habe ich für euch aufgebaut."

Kann man das Richtige tun, wenn man das Richtige kauft?

Andreas Weiß arbeitete zuvor in einer Unternehmensberatung. Er hat gelernt, Märkte zu beobachten. Zusätzlich zur Plastikvermeidung und dem Zwei-Liter-Trinkgebot sieht er noch zwei weitere Wachstumstreiber für ihr Geschäft. Da war einmal, vor etwa zehn Jahren, die Diskussion um Bisphenol A, kurz BPA, einen Stoff, der in Plastik und damit auch in Plastikflaschen enthalten ist und der womöglich gesundheitsschädigend ist. Der Trend ging hin zu Glas und Edelstahl. Und da war der Aufstieg des Bioladens vom Rand- zum Breitenphänomen. Er erlaubte ihrer Firma, die nicht in den großen Supermarktketten gelistet sein wollte, ihre Kunden zielgenau anzusprechen. Auch sie verkaufen inzwischen mehr als 200.000 Flaschen im Jahr. "Das war für uns ein Traum", sagt Andreas Weiß.

In dem jetzigen Boom, der vor etwa zwei Jahren einsetzte, wirken all diese Faktoren zusammen. Er sieht aus wie eine große Umweltbewegung, aber womöglich zeigt er doch nur dasreibungslose Funktionieren desKapitalismus, der neben dem schlechten Gewissen, das er produziert, nun auch noch die Beruhigung desselben anbietet. Für Andreas Weiß bedeutet der Boom immer mehr Konkurrenz: junge Firmen, die das ganze "Skill Set" an Marketing ausspielen, das sich entwickelt hat. Er fragt sich schon manchmal, wie ein Familienunternehmen aus Wittibreut da mitkommen soll. Stichwörter: Facebook, Instagram, Influencer.

"Aber wir sind weit davon entfernt, nervös oder hektisch zu werden", sagt er. Stellt man die Flaschen der beiden Firmen nebeneinander - hier die "Soulbottle", da der "Emil" - sehen sie aus, als stammten sie aus verschiedenen Welten. Hier der achtsame Großstadtsingle, da die umweltbewusste Familie mit Hang zum Pragmatismus. Die Idee, die hinter beiden steht, ist aber ähnlich. Sie wollen Müll vermeiden. Ob ihre Erfinder sie dafür in einen Beutel aus Biostoff nähen oder ihnen einen Dicht­ring mit Naturkautschuk spendieren, am Ende versprechen beide, dass man das Richtige tun kann, wenn man das Richtige kauft. Ob das helfen wird, die Welt zu retten, oder ob es womöglich doch nötig sein wird, das ganze System zu verändern, das die Vermüllung dieser Welt erst erschafft, wird man sehen.

Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels hieß es, von "Emil, die Flasche" würden 2000 Stück im Jahr verkauft. Das ist falsch. Es sind 200.000 Stück. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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