Haltung des DFB in Russland:Schweigen gilt nicht

Haltung des DFB in Russland: Ankunft in Russland: Bundestrainer Joachim geht vorweg.

Ankunft in Russland: Bundestrainer Joachim geht vorweg.

(Foto: AFP)

Die deutsche Nationalmannschaft möchte mehr sein als ein Fußballteam. Deshalb sollten die Spieler Haltung beweisen - und bei der WM offen sagen, wie sie es mit Putin und Russland halten.

Kommentar von Martin Schneider, Moskau

Das letzte Wort in dieser Debatte hatte bislang die Bundeskanzlerin. Angela Merkel saß am vergangenen Sonntag bei Anne Will, es ging um Weltpolitik und die ganz großen Fragen, aber am Ende wurde sie nach den Fotos von İlkay Gündoğan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan befragt. Die Bundeskanzlerin sagte: "Ich glaube, die beiden haben nicht bedacht, was das Foto auslöst."

Da war sie wieder, die Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte für Fußballer, die gerade so oft gespielt wird. Sie wird unterschiedlich formuliert, aber es kommt immer auf das Gleiche raus. Eine Woche vorher - auch bei Anne Will - sagte der CDU-Politiker Norbert Röttgen: "Man tut ihnen keinen Gefallen mit der Kompliziertheit der Thematik." Mit "ihnen" meinte er die Spieler der Nationalmannschaft und mit "Kompliziertheit der Thematik" die Lage in Russland.

Wie steht er zu Erdoğan? Im wichtigsten Punkt schweigt Gündoğan

Im Land von Wladimir Putin, dem russischen Autokraten und Kriegs-Agitator in Syrien und auf der Krim, startet am Donnerstag die 21. Fußball-Weltmeisterschaft, und wer dazu von den Sportlern eine Haltung einfordert, hört eine Begründung besonders häufig: Fußballer könnten das nicht - eine Haltung entwickeln, eine Meinung haben oder die Folgen ihrer Worte oder Fotos bedenken. Sie sollten es besser lassen.

Beschönigend formuliert heißt es meist im Wortlaut: "Sie sollen sich auf das Sportliche konzentrieren." Fußballer und Verantwortliche des Fußballs sagen das sogar selbst, wenn es politisch komplizierter wird. Sie haben diese Option dermaßen lieb gewonnen, dass sie oft gar nicht zu merken scheinen, dass sie sich selbst kleiner machen oder - extremer ausgedrückt - blöder machen, als sie in der Regel sind. Und vor allem bemerken sie nicht, dass Schweigen eben auch eine Haltung ist.

Man kommt aber nicht immer aus einer Debatte heraus, indem man nichts sagt. Und wenn Oliver Bierhoff, der Nationalelf-Manager, vor dem Länderspiel gegen Saudi-Arabien am ARD-Mikrofon ein bisschen die Fassung verliert und sich wünscht, dass diese Diskussion endlich beendet sein solle, dann versteht er genau den Punkt nicht: dass man sich nicht für keine Position entscheiden kann. Das haben die Spieler nach den umstrittenen Fotos versucht, Mesut Özil hat gar nichts erklärt, offenbar zwar der Kanzlerin, aber nicht der Öffentlichkeit. İlkay Gündoğan hat sich zwar geäußert, aber im entscheidenden Punkt eben nicht: Wie steht er zu Erdoğan?

Wenn das Publikum in Leverkusen aber in der Mehrzahl eine Haltung zum türkischen Präsidenten und seiner Politik hat - offensichtlich eine Ablehnende - dann kommt ein Pfeifkonzert dabei heraus. Bierhoff hat der Bild-Zeitung erklärt, dass Özil dazu nichts mehr sagen will, und angefügt: "Ob es in diesem Fall richtig und gut für ihn ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Konsequenzen haben wir ihm aufgezeigt und kennt er aus Erfahrung."

Eigentlich, so dachte man, war der Deutsche Fußball-Bund (DFB) schon weiter. Der gleiche Oliver Bierhoff hat vor zwei Jahren in einem WAZ-Interview gesagt: "Als Repräsentant Deutschlands hat man eine Stimme - dessen sollen sich die Spieler bewusst sein - und das sollen die Spieler bewusst positiv einsetzen." Er sagte den Spielern also: Ihr habt eine Verantwortung. Ironischerweise ging es damals auch um Bilder von Mesut Özil, konkret um ein Foto, das ihn als Muslim in Mekka zeigte. Bierhoff fand es gut, dass Özil mit seiner Religion offen umging. Außerdem lobte er im gleichen Interview noch das Foto, das Özil mit nacktem Oberkörper mit Bundeskanzlerin Merkel in der Kabine zeigte. Bierhoff sagte: "Das Bild verdeutlicht auch, dass die Nationalmannschaft mehr als ein Fußballteam ist."

Wenn es nun darum geht, wie sich die Nationalmannschaft in der Frage zu Russland und dem Präsidenten Wladimir Putin verhält, sollte sich Bierhoff seine eigenen Worte zu Herzen nehmen. Wie steht man zu einem autoritär geführten Staat, der die Rechte von Opposition, Medien und Minderheiten einschränkt? DFB-Präsident Reinhard Grindel hatte nach den Erdoğan-Fotos gesagt: "Der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdoğan nicht hinreichend beachtet werden." Wenn Bierhoffs Satz von vor zwei Jahren noch gilt, und die Nationalmannschaft wirklich mehr als ein Fußball-Team ist, dann reicht es nicht, nur hinzufahren und Fußball zu spielen und zu sagen, dass man sich auf das Sportliche konzentriert. Dann muss man auch entscheiden, ob die Werte des DFB von Wladimir Putin ausreichend beachtet werden - oder eben nicht.

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