Eichstätt:Die Kirche lässt das Jura-Museum fallen

Das Jura-Museum in Eichstätt

Versteinerte Flug- und Fischsaurier zählen zu den bedeutendsten Exponaten des Jura-Museums in Eichstätt.

(Foto: Andreas Hub/laif)
  • Die katholische Kirche ist der Träger des Jura-Museums in Eichstätt, das zu den bedeutendsten paläontologischen Museen in Deutschland gehört.
  • Das Bischöfliche Priesterseminar Eichstätt hat dem Wissenschaftsministerium jüngst die Kündigung für die Einrichtung geschickt.
  • Der Grund ist die Furcht vor einer Millionen teuren Sanierung.

Von Andreas Glas

Er steht vor einem Aquarium, er geht ganz nah ran. Hinter der Scheibe, im Sand, sitzt ein gepanzertes, stacheliges Irgendwas. "Irre", sagt Lars Bender, "wie kommt die Natur auf die Idee, so was zu entwickeln?" Man fragt sich, ob dieses Irgendwas gerade das gleiche denkt über seinen Betrachter. Oder ob es etwas spürt von den Sorgen des Mannes auf der anderen Seite der Scheibe. Aber das Irgendwas rührt sich nicht. Es sitzt nur da.

Das Irgendwas heißt Pfeilschwanzkrebs. Er hat zehn Augen und einen Mund, wo andere einen Bauch haben. Dazu einen rattenartigen Schwanz, mit dem er sich zurück auf die Füße dreht, falls er mal wieder auf dem Rücken landet. Er ist ein lebendes Fossil, es gibt ihn seit Ewigkeiten. Andere Urzeitkreaturen sind längst ausgestorben, der Pfeilschwanzkrebs hat überlebt. Dem Menschen hat er 400 Millionen Jahre Evolution voraus. Ein lebender Beweis, "dass so was göttlich sein muss", sagt Lars Bender. Er findet: "Da könnte die Kirchenlehre wunderbar einhaken."

Will die Kirche aber nicht. Nicht mehr. Und das ist auch der Grund für Benders Sorgen. Die Kirche ist der Träger des Jura-Museums, in dem das Aquarium steht. Vor einer Woche hat das Bischöfliche Priesterseminar Eichstätt dem Wissenschaftsministerium die Kündigung für das Museum geschickt. Zum Ende des Jahres droht Eichstätt eine Attraktion zu verlieren - und die Republik eines ihrer bedeutendsten paläontologischen Museen.

"Das würde uns sehr treffen", sagt Bender, der Eichstätter Tourismuschef. Jeder fünfte Tourist komme "wegen des Themas Fossilien" nach Eichstätt. Das Jura-Museum befindet sich auf der Willibaldsburg, dem Eichstätter Wahrzeichen, hoch über der Stadt. "Das Museum ist ein wichtiger Imagefaktor für Eichstätt", sagt Bender. Die bedeutendsten Exponate findet man in den Räumen neben den Aquarien: versteinerte Insekten, Flug- und Fischsaurier, die Forscher in den Steinbrüchen im Altmühltal rund um Eichstätt ausgegraben haben. Neben Fossilien und Reptilien dokumentieren Schaukästen, wie Bayern aussah, lange bevor es Bayern gab. Es gab hier Inseln, Korallen, Krokodile. Das Altmühltal war vor 150 Millionen Jahren eine tropische Riff- und Lagunenlandschaft.

Dass die Kirche das Jura-Museum fallen lässt, macht viele Eichstätter zornig. "Es gibt hier im Umkreis von 100 Kilometern keinen, der das Museum in der Schulzeit nicht besucht hat. Da hängen Erinnerungen dran", sagt Bender. Der Zorn der Bürger hat aber nicht nur nostalgische Ursachen. Dieses Jahr war bekannt geworden, dass das Bistum Eichstätt bis zu 50 Millionen Euro bei Immobiliendeals in den USA verzockt haben könnte. Und jetzt, empören sich einige, lässt das Bistum das Jura-Museum wegen vergleichsweise mickriger 106 000 Euro fallen?

Auf diese Summe beziffert das Bischöfliche Priesterseminar das jüngste Jahresdefizit seines Museumsbetriebs. Dieses Defizit sei gewachsen, weil die Besucherzahlen seit der Jahrtausendwende um die Hälfte geschrumpft seien. Zuletzt, im Jahr 2017, kamen 43 000 Menschen ins Museum. Zudem seien Personal- und Verwaltungskosten gestiegen. Man muss allerdings erwähnen, dass das Museum ein Gemeinschaftsprojekt des Priesterseminars und der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayern (SNSB) ist - und der Freistaat dem Seminar die Hauptlast für das Jura-Museum abnimmt: 700 000 Euro pro Jahr, rund 80 Prozent des Nettoaufwands.

Priorität hat die Priesterausbildung

Allein um das Defizit gehe es nicht, sagt Bistumssprecher Martin Swientek. Die 106 000 Euro seien "Peanuts" gegenüber den Investitionen, die nötig seien, um das Museum so zu modernisieren, dass wieder mehr Besucher kommen. Und Michael Wohner, Regens am Eichstätter Priesterseminar, sagt: "Um Investitionen machen zu können, muss ich das Geld haben."

Soll heißen: Weder die Priesterschule noch das Bistum, das die Schule finanziert, hatte Geld für die Modernisierung des Jura-Museums übrig. Für viele Eichstätter klingt das komisch, nicht nur wegen des Finanzskandals. Allein für das laufende Jahr rechnet das Bistum mit einem Haushaltsüberschuss von 8,8 Millionen Euro. Dazu kommt, dass der Freistaat von Oktober an 14,3 Millionen Euro in Sanierungsarbeiten auf der Willibaldsburg investieren will, rund 800 000 Euro sollten ins Museum fließen. Weitere 700 000 Euro hätte das Priesterseminar beisteuern müssen. War es bei all den Zuschüssen zu viel verlangt, dass die Kirche diesen Beitrag aus der gut gefüllten Bistumskasse leistet?

Eichstätt: Die Sammlung ist in der Willibaldsburg untergebracht.

Die Sammlung ist in der Willibaldsburg untergebracht.

(Foto: Tourismusverband Naturpark Altmühltal)

Am Ende, sagt Regens Michael Wohner, müsse er auf sein Budget schauen, "eine gewisse Priorisierung vornehmen". Und Priorität habe nun mal die Priesterausbildung. Dieses "Kerngeschäft" sei schwer genug zu stemmen, "da ist ein naturwissenschaftliches Museum in der Notwendigkeit der Verpflichtungen relativ weit hinten". Wohner sagt, er könne "die ideellen und historischen Argumente verstehen", auch die touristische Bedeutung des Museums. "Aber letztlich leben wir in einer Welt, die einfach auch nach wirtschaftlichen und finanziellen Gesetzen funktioniert."

Damals, 1844, als die Sammlung der Exponate begann, gehörten naturwissenschaftliche Vorlesungen zur Theologie. Inzwischen hat sich die Priesterausbildung verändert. An der Uni bekommt der klerikale Nachwuchs die akademische, im Bischöflichen Seminar die spirituelle Ausbildung. Früher diente die Sammlung des Jura-Museums als Anschauungsmaterial für die Seminaristen, heute hat sie kaum mehr einen Nutzen für Regens Wohner. Für ihn ist das Museum vor allem ein Kostenfaktor. Mit den geplanten 1,5 Millionen Euro hätte sein Haus das Museum vielleicht sanieren, aber kaum auf den neuesten Stand der Technik bringen können. Deshalb findet Wohner es "ehrlich und realistisch", die Trägerschaft zu kündigen. Ehrlicher als "eine Sanierung des Aquariums für eine halbe Million mit Fördermitteln zu starten und dann nach zwei Jahren zu sagen: Den Rest können wir uns nicht mehr leisten". Sicher hat er recht damit, wenn er sagt: "Man hätte in einem Millionenbereich investieren müssen." Man braucht sich ja nur umzuschauen im Jura-Museum.

Die Sammlung ist faszinierend, etwa der versteinerte, 150 Millionen Jahre alte Urvogel Archaeopteryx. Doch um heute attraktiv zu bleiben, muss ein Museum ständig multimedial aufrüsten. Das Jura-Museum hat da wenig zu bieten. Es gibt Filme, eine Hörstation, aber das digitale Zeitalter kennt längst andere Möglichkeiten. Tourismuschef Bender träumt davon, dass die Besucher mit Virtual-Reality-Brillen ins Jura-Meer der Urzeit eintauchen. Nur braucht es dafür Geldgeber, die zunächst einmal den Fortbestand des Museums finanzieren. Die Exponate würde das Priesterseminar weiterhin zur Verfügung stellen.

Angeblich gibt es Interessenten, die sich vorstellen können, die Trägerschaft zu übernehmen. Aber die Zeit drängt und ohne Hilfe der Politik dürfte das auch in Zukunft nicht gehen. Ein Dringlichkeitsantrag der Freien Wähler, dass der Freistaat zumindest vorübergehend selbst als Träger einspringt, ist am Mittwoch bereits gescheitert. Dabei, findet Lars Bender, gebe es mit Blick auf den Klimawandel "jede Menge Möglichkeiten, das Museum mit aktueller Bedeutung zu füllen". Das Jura-Museum, sagt Bender, "ist zu wichtig, um es sterben zu lassen".

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