Abgasaffäre:Die harte Eminenz bei Volkswagen

Porsche SE - Jahreszahlen

Manfred Döss, der Chefjurist von Volkswagen: Bei ihm laufen die Fäden in der Abgasaffäre zusammen, er dirigiert die Anwälte.

(Foto: picture alliance / Marijan Murat)

In der Abgasaffäre bestimmt Manfred Döss, wo es langgeht. Er verhandelt unnachgiebig und findig.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Den Mann, der in der Abgasaffäre bei Volkswagen das Sagen hat, kennt kaum einer. Auftritte in der Öffentlichkeit: Fehlanzeige. Interviewwünsche: abgelehnt. Plädoyers bei Gericht: mitnichten.

Dabei wäre Manfred Döss, der als einer der führenden Anwälte weltweit gilt, eigentlich wie geschaffen für die große Bühne: einflussreich und mächtig, Edeljurist, erfolgreicher Strippenzieher. Ein harter Hund, wie man so sagen würde. Hart im Sinne von: streng, unnachgiebig, standhaft.

Döss könnte viel erzählen über einen der größten Industrieskandale der Wirtschaftsgeschichte, niemand kennt die Innereien dieser Affäre um millionenfach manipulierte Dieselautos besser als er. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, er dirigiert Scharen von Anwälten, lässt Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe abschmettern oder versucht dies zumindest und ringt Staatsanwälten Zugeständnisse ab, die niemand für möglich gehalten hätte.

Der Chefjurist ist mächtig, weil er die Familien der Eigentümer hinter sich weiß

Manch andere Spitzenanwälte genießen es, solche Siege bei Gericht zu feiern, mit weit ausholenden Reden in öffentlichen Verhandlungen. Doch so einer ist Döss nicht. Er gibt in der Abgasaffäre die Linien vor; er bedeutet Vorständen und Aufsichtsräten, wo es langgeht.

Aber er weiß, dass die Hauptschlachten in dieser Affäre nicht vor großem Publikum gewonnen werden, sondern im Verborgenen. So wie jetzt in Europa, wo VW erst einmal nur eine Milliarde Euro Bußgeld zahlen muss und darüber hinaus vielleicht gar nichts mehr. Das ist kein Trinkgeld, aber es ist sehr wenig im Vergleich zu dem, was in den USA insgesamt fällig gewesen war: mehr als 20 Milliarden Dollar.

Die Macht des Manfred Döss bei Volkswagen hat sehr viel zu tun mit der Macht der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. Rückblick: Als ihn die Milliardäre vor fünf Jahren von RWE in ihren Konzern lotsten, drohten sie von den juristischen Folgen der Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW überrollt zu werden.

Investoren und Staatsanwälte argwöhnten, der Aktienkurs der Wolfsburger sei manipuliert. Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe waren die Folge. Döss, die juristische Wunderwaffe, baute einen Verteidigungswall gegen Hedgefonds auf; er gewann Prozesse in den USA und Deutschland. Seitdem führt bei den VW-Haupteignern Porsche und Piëch kein Weg mehr an ihm vorbei. Erst recht nicht, nachdem US-Behörden im September 2015 den Abgasbetrug bei Dieselautos enthüllt hatten.

Döss war zu dieser Zeit bereits Leiter Recht und Generalbevollmächtigter der Porsche Automobil Holding SE, in der die Familien Porsche und Piëch ihre VW-Anteile gebündelt haben. Nun zog der Jurist auch in den Vorstand der Holding ein und wurde zudem Chefjurist bei Volkswagen. Dort formal über ihm: Die frühere Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt, die im Januar 2016 als Leiterin des neu geschaffenen VW-Vorstandsressorts "Integrität und Recht" nach Wolfsburg kam und helfen sollte, die Abgasaffäre und deren Folgen zu bewältigen.

Hohmann-Dennhardt war gegen Döss ohne Chance

Doch nach einem Jahr war Hohmann-Dennhardt schon wieder weg. Der offizielle Grund für ihre Demission: Man habe sich "aufgrund unterschiedlicher Auffassung über Verantwortlichkeiten und die künftigen operativen Arbeitsstrukturen in ihrem Ressort" getrennt.

Der eigentliche Grund: Zwischen der Ex-Verfassungsrichterin, die zuvor bei Daimler nach einer Schmiergeldaffäre aufgeräumt hatte, und Döss hatte es mächtig Ärger gegeben. Auch wenn, aber eben nur offiziell, Hohmann-Dennhardt bei VW über Döss stand: Gegen den Haus- und Hofjuristen, der die beiden Aktionärsfamilien hinter sich weiß, hatte sie keine Chance.

Die Porsches und Piëchs rechneten ihrem Vertrauten hoch an, dass es ihm den USA gelungen war, fast alle Verfahren um den Abgasbetrug zu beenden. Zu einem stolzen Preis zwar, aber es hätte ja noch viel schlimmer kommen können. Döss war es auch gewesen, der die Einigung mit den Vereinigten Staaten vor dem Gericht im Eastern District of Michigan unterzeichnet hatte. Und der sich bei VW auch darum kümmern sollte, dass die damit verbundenen US-Auflagen eingehalten werden. Ein klares Signal: Döss hat das Sagen.

Die unbequemsten Wahrheiten sollen weiter unter Verschluss bleiben

In Konzernkreisen war bereits im vergangenen Jahr die Lage so beschrieben worden: Döss sei ein "Alpha-Mann", er habe sich immer mehr ausgebreitet, habe Hohmann-Dennhardt immer weniger Spielraum gelassen und dann mit Rückendeckung von ganz oben die Verhandlungen in den USA übernommen. Der früheren Verfassungsrichterin sei bedeutet worden, die Familien Porsche und Piëch wünschten, dass Döss sich um das Wesentliche kümmere. Ein Aufsichtsrat, der Hohmann-Dennhardt gewogen war, soll ihr gesagt haben, dagegen habe sie keine Chance. Der Gewinner also hieß Döss. Und das ist er heute mehr denn je, nach dem vergleichsweise geringen Bußgeld in Deutschland. Darin ändert auch der Wechsel beim Vorstandsvorsitz nichts, von Matthias Müller zu Herbert Diess.

Der frühere BMW-Mann Diess verkündet, Volkswagen müsse "noch ehrlicher, offener, wahrhaftiger, in einem Wort: anständiger" werden. Man müsse im Unternehmen auch "unbequeme Wahrheiten" aussprechen dürfen.

Doch die unbequemsten Wahrheiten sollen weiter unter Verschluss bleiben. Volkswagen hat vor rund einem Jahr beim Bundesverfassungsgericht Einspruch dagegen eingelegt, dass Münchner Staatsanwälte 185 Aktenordner und Hefter sowie einen umfangreichen Bestand an elektronischen Daten bei der Kanzlei Jones Day beschlagnahmt hatten. Bei jener Kanzlei, die im Auftrag von Volkswagen und der VW-Tochter Audi die Abgasaffäre untersucht und Hunderte Manager und Mitarbeiter des Konzerns dazu befragt hat. Doch die Staatsanwaltschaft München II, die im Fall Audi ermittelt, soll davon nichts zu lesen bekommen.

Europäische Autokäufer sollen keinen Schadenersatz bekommen, Deckel drauf

Das bleibt auch nach dem Wechsel von Müller zu Diess so. Bei VW heißt es, Döss habe intern sinngemäß die Parole ausgegeben: Freigabe der Akten "nur über meine Leiche". Und die Juristerei überlässt auch der neue Chef Diess dem Chefjuristen Döss. Also macht Volkswagen beim Verfassungsgericht weiter den "Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant" geltend, um die Jones-Day-Akten wegzusperren.

Andere Konzerne wie Airbus haben da ganz anders agiert und solche Untersuchungsakten herausgerückt. Doch bei VW gilt weiter die harte Linie, für die Döss steht. Die Abgasaffäre soll zur Verschluss-sache erklärt werden, die europäischen Autokäufer sollen keinen Schadenersatz bekommen, Deckel drauf. Jemand, der bei und mit VW um Aufklärung ringt, sagt halb klagend, halb bewundernd über Döss: "Der Kerl geht mir auf den Keks, aber er scheint nicht uneffektiv zu sein."

Brems-Verdacht bei Audi-Chef Stadler

Der Audi-Mitarbeiter aus der Diesel-Task-Force der Ingolstädter VW-Tochter, der kürzlich als Zeuge vernommen wurde, ließ die Ermittler aufhorchen. Die Task Force hatte und hat die Aufgabe, intern zu klären, welche Audi-Modelle mit einer unzulässigen Software ausgestattet sind. So sollen jene Autos gefunden und in Ordnung gebracht werden, deren Abgasreinigung mit dieser Software möglicherweise manipuliert wird.

Der Mitarbeiter sagte aus, die Task Force habe bei der Suche nach diesen Modellen jene Kollegen, die sich diese Software ausgedacht beziehungsweise eingebaut hatten, nicht befragen können. Das sei eine Vorgabe des Vorstandes gewesen. Für die Staatsanwaltschaft München II war das mit ein Grund, ein Betrugsverfahren gegen Audi-Chef Rupert Stadler und dessen Vorstandskollegen Bernd Martens einzuleiten. Der Verdacht: Stadler und Martens hätten mit dieser Vorgabe bei der internen Suche nach manipulierten Fahrzeugmodellen gebremst und bewusst in Kauf genommen, dass solche Autos weiter verkauft werden. Audi hätte das alles viel schneller klären können, wenn die Manipulateure befragt worden wären und die Modelle benannt hätten. Audi äußert sich wegen der laufenden Ermittlungen nicht dazu.

In VW-Kreisen stößt diese Lesart jedoch auf Unverständnis. Manipulateure hätten bestimmt kein Interesse an Transparenz gehabt. Zudem sei vieles unklar gewesen, "wir haben uns vorgetastet wie in einem dunklen Wald". Das dauere eben. Hinzu komme, dass vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) inzwischen selbst Fahrzeuge beanstandet würden, die lediglich eine weitgehend inaktive Software dieser Art enthielten. Deshalb habe alles so lange gedauert, deshalb würde selbst jetzt noch Audi-Modelle vom KBA beanstandet. Stadler habe mitnichten gebremst. Diese Version dürfte wohl auch der VW-Aufsichtsrat zu hören bekommen, der am Montag tagt. Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die Konzern-Kontrolleure jetzt von Stadler abrücken würden.

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