Kroatien:Aus dem Schatten von 1998

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Die Generation um Modric, Rakitic und Mandzukic hat das Potenzial, an den größten Erfolg des kroatischen Fußballs anzuknüpfen.

Von Tobias Schächter, Kaliningrad

Mit Freude schlenderte Davor Suker Samstagnacht durch die Katakomben des WM-Stadions von Kaliningrad. Der Präsident des kroatischen Fußballverbandes nahm Glückwünsche so dankbar entgegen, als habe er gerade selbst zwei Tore erzielt beim 2:0 der Kroaten gegen Nigeria. Suker war einst ein großer Torjäger bei Real Madrid und Torschützenkönig der WM 1998 in Frankreich. Damals wurden die Kroaten Dritter, danach kamen sie bei einer WM nie wieder über die Vorrunde hinaus. Suker ist eine Ikone der in seiner Heimat als "goldene Generation" gefeierten Spieler von 1998. Die Erinnerung an den größten Triumph in der Geschichte des kroatischen Fußballs ist gerade im Jahr des 20. Jubiläums allgegenwärtig. Auf den Schultern der aktuellen Spieler lastet der Erfolg von damals schwer.

Samstagnacht in Kaliningrad wollte Suker das Gestern nicht mit dem Heute tauschen. Als ihn ein Journalist auf die WM in Frankreich ansprach, unterbrach Suker diesen mit einem gönnerhaften Lachen und meinte: "Ach, komm, vergiss 1998!"

Als wäre das so einfach. Weglächeln ist die Art Sukers, mit Problemen umzugehen, in Kaliningrad sagte der ergraute 50-Jährige: "Ich bin kein Fußballer mehr. Das Wichtigste sind die heutigen Spieler und unsere Fans, die uns so großartig unterstützt haben." Die Stimmung im Stadion in Kaliningrad dominierten die kroatischen Zuschauer, sie sangen ihre Lieder und übertönten die wenigen Nigerianer. Viele kroatisch-stämmige Menschen aus ganz Europa, auch aus Deutschland, waren in die russische Enklave an der Ostsee gereist. "Es war wie ein Auswärtsspiel für uns", meinte Nigerias Trainer Gernot Rohr. Aber ein Grund für die Niederlage sei das nicht gewesen: "Wenn man sich anschaut, bei welchen Klubs die Kroaten unter Vertrag stehen und bei welchen meine Spieler, stellt man einen kleinen Unterschied fest."

Ihr Herz rettungslos an die kroatische Mannschaft verloren: Ein weiblicher Fan freut sich in Kaliningrad über ihre erfolgreichen Landsleute und die Aufmerksamkeit der Fotografen. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Luka Modric zum Beispiel gewann jüngst zum vierten Mal die Champions League mit Real Madrid, er ist einer der besten Mittelfeldspieler der Welt. Nach dem Erfolg gegen Nigeria sagte Kroatiens Kapitän: "Dieser Sieg wird uns beflügeln." Am Vorabend des Spiels hatte er sich an gleicher Stelle bei einer Pressekonferenz noch in ganz anderer Stimmung präsentiert und einen Journalisten angeblafft, der ihn nach seiner Verwicklung in den Skandal um den wegen Steuerhinterziehung und Bereicherung verurteilten kroatischen Fußballpaten Zdravko Mamic gefragt hatte. Modric hat wegen widersprüchlicher Aussagen im Prozess eine Klage wegen Meineids am Hals, gegen Abwehrchef Dejan Lovren wird wegen des Verdachts auf Falschaussage ermittelt. "Sie haben nichts Besseres zu fragen", ätzte Modric am Freitag: "Das ist eine WM und wir sprechen nicht über andere Dinge."

Am Samstag saß er dann entspannt auf dem Podium, er war zum "Spieler des Spiels" gewählt worden. Auf die Frage, ob er Argentiniens Lionel Messi am Mittag gegen Island vom Elfmeterpunkt habe scheitern sehen, antwortete Modric lächelnd: "Ja, aber ich war kein bisschen nervös." Endlich gewannen die "Vatreni - die Feurigen" wieder ein Auftaktspiel bei einer WM. "Das letzte Mal war das 1998", erinnerte Trainer Zlatko Dalic. Es ist einfach so: Immer schwingt diese Jahreszahl mit in Kroatiens Fußball. Dalic, der die Mannschaft erst vor dem letzten Gruppenspiel der Qualifikation übernommen und in den Playoffs gegen Griechenland zur WM geführt hatte, meinte: "Dass wir diese Serie durchbrochen haben, gibt uns Mut." Diese kroatische Auswahl ist zum Siegen verdammt, will sie nicht als die große unvollendete Generation ihrer Heimat gelten. Für Stars wie Modric, Mandzukic, beide 32, Rakitic, 30, oder Perisic, 29, könnte die WM in Russland die letzte Chance bieten, aus dem Schatten von 1998 zu treten.

Nichts zu machen: Der Schuss von Nigerias Victor Moses wird von Ivan Strinic geblockt. (Foto: Lucy Nicholson/Reuters)

Die naiven Nigerianer, das jüngste Team des Turniers, waren zum WM-Auftakt der richtige Aufbaugegner. Wie stark die Kroaten wirklich sind, wird sich gegen Argentinien und Island zeigen. In Kaliningrad genügten dem Favoriten ein Eigentor von Oghenekaro Etebo (32.) zur Führung und ein Elfmeter, den Modric (72.) verwandelte, zum Sieg. Kroatien spielte nicht brillant, aber taktisch klug. Nach einer Stunde brachte Dalic in Marcelo Brozovic für den Hoffenheimer Stürmer Andrej Kramaric einen zusätzlichen Mittelfeldspieler, um durch Ballbesitzfußball den Vorsprung abzusichern. Der Trainer, der zuletzt in Arabien erfolgreich arbeitete, passe zur Mannschaft, sagt Ivan Rakitic vom FC Barcelona.

Der Optimismus ist nun so groß wie die Möglichkeiten im Kader. Trainer Dalic störte nicht, dass seine Elf glanzlos gewann, er sagte: "Es ist egal, wie ein Sieg zustande kommt: Ein Sieg ist ein Sieg ist ein Sieg."

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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