Zerbrechliche Schönheit:Wie restauriert man ein Kleid aus Glas?

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(Foto: Hubert Czech)
  • Charlotte Holzer schreibt ihre Doktorarbeit über das Kleid aus Glas, einer modischen Sensation aus dem 19. Jahrhundert.
  • Um die Geschichte des besonderen Kleidungsstücks zu recherchieren, reiste die junge Wissenschaftlerin bis in die USA.
  • Später will das Deutsche Museum das Kleid aus Glas ausstellen.

Von Martina Scherf

Ein Kleid aus Glas. Was für eine märchenhafte Vorstellung. Auf der Weltausstellung in Chicago 1892 war es nicht umsonst eine Sensation - neben Reißverschluss, Riesenrad und elektrischem Stuhl. Einen ganzen Salon hatte der amerikanische Unternehmer Edward Libbey eingerichtet, um der Weltöffentlichkeit seine Produkte vorzuführen: Kristallleuchter, Glühbirnen, Lampenschirme und eben jenes luxuriöse Abendkleid aus Glasfaser und Seide.

Jetzt liegt es zerschlissen und vergilbt im Keller des Deutschen Museums. "Die Restaurierung ist eine faszinierende Arbeit", sagt Charlotte Holzer und beugt sich über den fragilen Saum. Seit vier Jahren beschäftigt sie sich ausschließlich mit diesem kostbaren Stück und ist noch immer begeistert.

Die junge Frau aus Österreich schreibt ihre Doktorarbeit über das Kleid. "Leider ist das Oberteil verschollen", sagt sie, "wir haben nur den Rock." Der liegt jetzt ausgebreitet vor ihr. Mit Schwämmchen, Pinsel und Pipette reinigt Holzer die fragilen Fasern. Sie hat Material und Verarbeitung bis ins kleinste Detail analysiert und ein Restaurierungs- und Konservierungskonzept erstellt. Während man ihr dabei zusieht, wie sie behutsam Fransen, Nähte, Fäden behandelt, erzählt sie, welche Geschichten sie diesem besonderen Stück Textil schon entlockt hat.

An der Wand hängen Werbefotos, die Libbey damals herstellen ließ: Eine täuschend echte Puppe mit Wespentaille und Schleierblick trägt die üppig verzierte Abendrobe. Drei Prototypen gab es davon, erzählt Holzer. Das Ausstellungsstück war für die Broadway-Schauspielerin Georgia Cayvan reserviert. Eine Kopie trug Libbeys Ehefrau Florence Scott.

Das Kleid aber, das jetzt im Deutschen Museum liegt, hatte der Amerikaner der spanischen Infantin Eulalia geschenkt, einer unternehmungslustigen Tochter der Königsfamilie, die auf dem Rückweg von einer Reise durch Kuba und die Vereinigten Staaten die Weltausstellung besuchte. Vielleicht, so Holzer, hoffte er, damit Hoflieferant zu werden. "Eulalia soll jedenfalls im Crystal Palace der Libbey Glass Company fasziniert gewesen sein von den Westen, Lampenschirmen, Püppchen und Krawatten aus Glasfaser, und vor allem von dem Abendkleid."

Eulalia nahm das Geschenk mit nach Europa, hat es aber wohl kaum getragen - es wog immerhin sechs Kilogramm - und reichte es an ihre Schwester Maria de la Paz weiter. Maria de la Paz wiederum war mit Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern verheiratet und eine Förderin von Kunst und Wissenschaft. Sie brachte das ungewöhnliche Kleidungsstück nach München und vermachte es 1924 dem Deutschen Museum.

München, Chicago, Toledo: Auf den Spuren des Kleids

Charlotte Holzer hat für die Rekonstruktion dieser Geschichte in Bibliotheken, Archiven und Museen recherchiert. Sie reiste nach Chicago, auf den Spuren der Weltausstellung. "Es ist erstaunlich, wie viel man davon heute noch erkennen kann", sagt die 30-Jährige. Sie ging zwei Stunden lang zu Fuß vom Stadtzentrum zum Ausstellungsgelände, erzählt sie - das Ermessen und Verstehen der Welt ist für die junge Wissenschaftlerin eine Aufgabe, die nur mit allen Sinnen gelingt.

In Toledo, Ohio, besuchte sie Libbeys Glasfabrik, die noch heute existiert. Im dazugehörigen Museum fand sie Fotos aus der Anfangszeit der Glasproduktion und das Pendant zum Münchner Kleid.

Charlotte Holzer holt ein historisches Schwarz-Weiß-Foto hervor. In einer Reihe stehen da die Arbeiter, es ist eine Vorstufe zur automatisierten Produktion. Sie erhitzten eine Glasstange über dem Bunsenbrenner, zogen den Faden ab und ließen ihn über ein großes Speichenrad laufen. Die Fäden wurden gebündelt und dann auf Spulen gewickelt. "Der Webstuhl zur Herstellung des Textilgewebes war mit seidenen Kettfäden bespannt, durch die man abwechselnd Glasfaserbündel und Seidenfäden schob", erklärt die Restauratorin, "so wurden die Glasfasern beim Zusammenschieben nicht zu sehr beansprucht."

Es sind nicht nur die Details von Technik und Material, die Charlotte Holzer, die an der Wiener Universität für angewandte Kunst Restaurierung und Konservierung mit Schwerpunkt Textil studiert hat, interessieren. Sie lässt sich ein auf die Umgebung und die Epoche, in der so ein Stück Stoff entstand.

"Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Fortschrittsgläubigkeit", sagt sie. Eulalia sei eine Frau gewesen, erzählt Holzer, die zwischen Madrid, Paris und Wien ein Leben zwischen Adelstradition und Moderne führte. "Sie schrieb mehrere Bücher in verschiedenen Sprachen", sagt Holzer, "aber leider hat sie das Kleid nie erwähnt." Sie hatte wohl andere Sorgen mit einem Ehemann, der sie dauernd betrog und sein Geld an seine zahlreichen Geliebten verschwendete. "Sie hat sich von dem Mann getrennt, um ihr Geld für ihre Kinder zu retten, das war schon mutig für die damalige Zeit."

Das ungewöhnliche Kleid steht also auch für ein ganzes Stück Kulturgeschichte. Vier Jahre hat Charlotte Holzer jetzt mit der Restaurierung verbracht. Es war wahre Pionierarbeit, denn bisher waren kaum Methoden zum Erhalt von Glasfasertextilien erforscht. "Das ist erstaunlich", sagt Holzer, "denn die Verarbeitung von Glasfasern reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück." König Ludwig I. ließ um 1840 den Thronsaal der Residenz mit Polstermöbeln ausstatten, die mit Glasfaser-Geweben bezogen waren - sitzen durfte man darauf allerdings nicht, "die Fasern wären schnell gebrochen", sagt Holzer.

Deutsches Museum soll Glaskleid ausstellen

Die Wissenschaftlerin hat sich mit Spezialisten für Textilkonservierung im Londoner Victoria & Albert Museum ausgetauscht und mit Kollegen im berühmten Glaslabor des Corning Museum of Glass im Bundesstaat New York. Sie hat Tests zur Reinigung der Fasern gemacht, "denn das Kleid hat ja mal weiß geglänzt, da wäre es doch schade, wenn man es jetzt so grau und schmutzig präsentieren würde".

Sie hat einen Modellrock genäht, um dessen Maße an einer Figurine zu erproben, mit der es später, nach dem Umbau des Deutschen Museums, zeitweise ausgestellt werden soll. Sie hat die Rüschen gewaschen und die Fransen abgetrennt und konserviert. Es werde noch im Museumsteam überlegt, sagt Holzer, ob man vielleicht das verschollene Oberteil in Toledo nachfertigen lasse.

In ihrem Labor im Deutschen Museum ist sie gelegentlich von anderen Restauratoren begleitet, aber oft sitzt Charlotte Holzer ganz allein im Keller des Museums. "Ich mag das", sagt sie, es sei schön kühl da unten.

Im Sommer will sie die Doktorarbeit, die von der Technischen Universität München gemeinsam mit dem Restaurierungsfachleuten des Deutschen Museums betreut wird, beenden. Sie würde aber gerne weiter den Werkstoff Glasfaser erforschen, sagt sie. "Da gibt es noch viel zu entdecken."

Die junge Frau mit den zarten Fingern spricht sehr überlegt, jedes Wort scheint mit Bedacht gewählt. Sie ist Wissenschaftlerin, aber sie wollte nicht nur die Theorie, sondern auch die handwerkliche Seite der Restaurierung in diesem Projekt selbst übernehmen. Und sie wollte, dass das Kleid im Deutschen Museum restauriert wird und nirgends anders. "Damit sich das Haus mit dem Kleid identifiziert, auch noch, wenn ich mal weg bin."

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