Ballett:Anmutig in den Schweinestall

Ballett: Verwandlung zur Kreatur: Matteo Dilaghi, Jonah Cook und Maria Daniela González (von links) proben Dustin Kleins neue Kreation.

Verwandlung zur Kreatur: Matteo Dilaghi, Jonah Cook und Maria Daniela González (von links) proben Dustin Kleins neue Kreation.

(Foto: Wilfried Hösl)

Der Münchner Tänzer und Choreograf Dustin Klein hat ein Stück für das Bayerische Staatsballett kreiert.

Von Miriam Althammer

Drohende Bässe mischen sich mit maschinellen Stanzgeräuschen und raschelndem Stroh, dazwischen grunzt und quiekt es. Unvermutet trifft einen dieser Sound im Probenhaus des Bayerischen Staatsballetts am Münchner Platzl. Elektronische Beats sind freilich nicht zum ersten Mal beim Bayerischen Staatsballett zu hören, man erinnere sich an Choreografien von Richard Siegal oder Wayne McGregor. Dass die minimalistischen Klänge, kombiniert mit Tiergeräuschen, einen akustischen Raum öffnen, der die Zuhörer direkt in einen Schweinestall versetzt, ist aber noch nicht vorgekommen. Dazu wackeln die vier Tänzerpopos. Auf dem Boden kniend, recken sie ihre Hinterteile in die Höhe und durchpflügen mit ihren Nasen die Luft.

Der, der da gerade für sein neues Stück probt, ist Dustin Klein. Er ist seit 2008 Tänzer am Bayerischen Staatsballett und einer der vier Choreografen, die im Rahmen der Opernfestspiele den Abend "Junge Choreographen" gestalten. Bereits zum zweiten Mal fiel die Wahl von Ballettdirektor Igor Zelensky auf den 31-Jährigen. Beschäftigte ihn vergangenes Jahr in seinem Stück "Mama, ich kann fliegen" die Suche nach Freiheit, ist es diesmal das Schwein und seine Rolle als Verbrauchstier und Fleischlieferant.

In einer multimedialen Inszenierung mit Video-Projektionen, einem Schauspieler und um die 40 Statisten geht Klein dem Schweineleben in einem Mastbetrieb nach. Basis hierfür ist das Album "One Pig" (2011) des britischen Elektromusik-Produzenten Matthew Herbert, der eben jenen Kreislauf von der Geburt eines Schweines bis hin zu dessen Schlachtung und Verzehr knapp zwei Jahre lang aufzeichnete, in seinem Studio nachbearbeitete und mit elektronischen Beats sampelte. Neun Tracks sind daraus entstanden, die mal aggressiv und aufwühlend ins Ohr drängen, mal unerwartet poetische Momente schaffen, und die Geräusche eines Lebewesens mit industriellen Rhythmen kontrastieren.

Dustin Klein interessiert das Tier und dessen vielfältiges Bewegungsrepertoire

Den moralischen Zeigefinger will Dustin Klein jedoch nicht heben, dazu esse er selbst viel zu gerne Fleisch. "Ich möchte eher ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man ein Lebewesen zu sich nimmt." Und so interessiert ihn auf tänzerischer Ebene das Tier und dessen vielfältiges Bewegungsrepertoire. Um das genauer zu beobachten, ist er mit seinen Tänzern Jonah Cook, Erik Murzagaliyev, Matteo Dilaghi und der Tänzerin Maria Daniela González Muñoz zu einem Schweinebauern gefahren. "Da kann man sich unheimlich viel abgucken, kopieren und neu inszenieren. Wie essen sie? Wie schlafen sie? Wie verhalten sie sich in einer Gruppe?"

Tiere mittels eines tanzenden Körpers nachzuahmen, hat eine lange Tradition: Im rituellen Bereich glaubte man, Tierkörper würden bei Trancetänzen Besitz von menschlichen Körpern ergreifen, die um 1900 entstandenen Modetänze, etwa der Foxtrott, imitieren Tierbewegungen, und auch im zeitgenössischen Tanz lassen sich solche Anleihen finden, wie bei Wim Vandekeybus, der sich in seiner choreografischen Arbeit von tierischen Instinkten und Reaktionen inspirieren ließ.

Dustin Klein zieht seine choreografischen Ideen aus der Beschränkung des Körpers. Während des knapp 40-minütigen Stücks nehmen die Tänzer nie eine aufrechte Position ein. Sie kriechen und rutschen über den Boden, verknäulen sich ineinander. Der Choreograf - großer Fan von Floorwork - zeigt sich begeistert von den Bewegungsmöglichkeiten, die sich mit der Orientierung des Körpers Richtung Boden ergeben. Das beginnt bei veränderten Blickrichtungen des Kopfes bis hin zur Nutzung anderer Körperteile - etwa der Schultern - zur Fortbewegung. Herausfordernd ist das, aber auch eine sichtliche Freude für die stark strukturierten und gewöhnlich an der vertikalen Achse ausgerichteten Ballettkörper.

Neue, mitunter verrückte Wege einzuschlagen, ist dem Nachwuchschoreografen, der schon früh nicht nur Tänzer und Ausführender von festgelegten Bewegungsabfolgen sein wollte, wichtig. Reizte es Klein, bei seiner Produktion "X²" für das Moskauer Stanislawski-Theater Spitzentanz mit Technomusik zu verknüpfen, so waren es bei seiner Arbeit "Wer ko der ko" für die Stuttgarter Noverre-Gesellschaft Akkordeonklänge, Blasmusik und G'stanzlgesänge, die im Duett auf zeitgenössischen Tanz trafen. Dabei entdeckte er seine Heimatverbundenheit, die bei ihm als gebürtigem Landsberger und seit langem einzigen Bayern im Ensemble des Staatsballetts einen neuen künstlerischen Prozess anstieß. So kam es zum Schweine-Thema - für den Jungen vom Dorf, dem der Kontakt mit Tieren nichts Fremdes ist.

Auch der Bayerischen Staatsoper sind die choreografischen Fähigkeiten Kleins aufgefallen

Dass auch bei der Staatsoper die Fähigkeiten des Halbsolisten aufgefallen sind, zeigt sein Engagement bei der Inszenierung von Verdis "Les Vêpres siciliennes", für die er die Ballettdivertissements kreierte. Dafür wurde Verdis Balletteinlage "Die vier Jahreszeiten" mit Techno-Beats gemixt und von der SOL Dance Company vertanzt, die Klein im Jahr zuvor in Moskau kennen gelernt hatte.

Sein Verständnis von Tanz hat sich, aus dem Klassischen kommend, über die Jahre dahingehend erweitert, den "Tanz als Tanz zu sehen". Sind es heute Tierbewegungen, die ihn interessieren, ist es morgen womöglich der Tango und tags darauf die Clubszene. Er selbst sehe sich als Hybrid und würde gerne alles Mögliche ausprobieren, egal ob groß oder klein. Zu einem seiner Experimente zählt das "Studio Furio", ein Künstlerkollektiv, das sich 2015 in Münchens Hort der freien Szene, dem Schwere Reiter, erfolgreich im spartenübergreifenden Dialog übte. Der Auftrag zu einem Debütstück für das Staatsballett II folgte prompt.

Inzwischen kreiert er seine zweite Choreografie unter Igor Zelensky, dessen Vertrauen in die jungen Künstler er sehr schätzt. Und das, obwohl Gekocht- und Gegessen-Werden als akustische Untermalung eines Ballettabends nicht gerade einladend klingt. Auch bei den drei übrigen Nachwuchschoreografen - Menghan Lou, Peter Walker und Štěpán Pechar - wird es nicht bekömmlicher werden. Ihre Arbeiten oszillieren allesamt zwischen lokalen und globalen Ansprüchen einer sich verändernden Gesellschaft.

Für den als festen Bestandteil der Opernfestspiele konzipierten Abend sucht Zelensky stets aufs Neue nach starken choreografischen Handschriften. Wie es scheint, gelang es ihm wie schon letztes Jahr nicht, in der weiblichen Riege fündig zu werden. Daher wird der Ballettabend ein weiteres Mal von vier Männern zwischen 26 und 34 Jahren bestritten. Ein Schlaglicht, so lassen es zumindest die Probeneinblicke vermuten, wird dennoch darauf geworfen, wie wir unser Zusammenleben gestalten und verhandeln wollen: sei es im Verhältnis zum Ort, an dem wir leben, den Lebewesen, die uns umgeben, oder im Umgang miteinander.

Junge Choreografen, Mi., 4., bis Fr., 6. Juli, 20 Uhr, Prinzregententheater, Prinzregentenplatz 12

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: