Plädoyer im NSU-Prozess:Verteidigerin: Zschäpes Weg in den Untergrund nicht politisch motiviert

NSU Prozess

Normales Leben als Tatplant bewertet? Beate Zschäpes Verteidigerin wirft der Generalbundesanwaltschaft Voreingenommenheit vor.

(Foto: Matthias Schrader/dpa)
  • Am zweiten Tag ihres Plädoyers im NSU-Prozess zerpflückt Zschäpes Verteidigerin Sturm Zeugenaussage um Zeugenaussage.
  • Dass die Angeklagte besonders extrem gewesen sei und sich früh für den bewaffneten Kampf ausgesprochen hat, sei nicht belegt.
  • Das Terrortrio NSU habe es nie gegeben, sagt Sturm.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Das Anklagegerüst gegen Beate Zschäpe sei "ein potemkinsches Dorf" - sozusagen hübsch anzuschauen, bei genauerer Betrachtung jedoch überaus marode. So hatte es Anja Sturm bereits zu Beginn ihres Plädoyers vor dem Oberlandesgericht München gesagt. Die Verteidigerin der Hauptangeklagten im NSU-Prozess will dieses Gerüst ins Wanken bringen, mindestens.

Dafür geht sie am Dienstag, dem zweiten Tag ihres Schlussvortrags, ins Detail, zerpflückt Zeugenaussage um Zeugenaussage. Der Bundesanwaltschaft wirft sie vor, die Aussagen von Zeugen nicht in ihrer Gesamtheit, sondern nur selektiv gewürdigt zu haben. Auch das Gericht habe Entlastendes ignoriert und Belastendes in die Zeugen gleichsam "hineingefragt".

Dass Zschäpe nicht Teil eines mordenden Terrortrios gewesen sei, hätten die Ankläger als Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen, so stellt es Sturm dar. Zschäpes Weg in den Untergrund sei weder geplant noch politisch motiviert gewesen, sagt sie. Ihre Mandantin habe nicht Terroranschläge begehen wollen, sondern einfach bei ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bleiben.

Für die Bundesanwaltschaft ist Zschäpe eine Terroristin - früh überzeugt von rechtsextremer Ideologie, dominant im Auftreten und weiterhin gefährlich. Schon vor dem Untertauchen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Januar 1998 hätten die drei eine eingeschworene Gemeinschaft gebildet, sich mehr und mehr radikalisiert.

Der Gerichtspsychiater Hennig Saß hatte die Angeklagte als "stark, durchsetzungswillig, kämpferisch und auch manipulativ" beschrieben. Saß und die Bundesanwaltschaft stützen ihre Bewertungen auf Beobachtungen im Prozess und auf die Aussagen von Zeugen. Sturm nimmt sich diese Zeugen nun vor, seziert ihre Antworten und kommt zu einem gänzlich anderem Ergebnis.

Zschäpe habe sich vor dem Untertauchen in der rechten Szene in Jena weder politisch noch sonst wie besonders hervorgetan. Vielmehr hätten sie Freunde und Bekannte als "normal, unauffällig und angepasst" erlebt, sagt Sturm und zitiert aus deren Aussagen vor Gericht. Zschäpe sei eine von vielen in der Szene gewesen.

Dass sie sich für den bewaffneten Kampf ausgesprochen habe, sei nicht belegt. Dass sie noch vor dem Untertauchen gewalttätig gewesen sein soll, seien Gerüchte, Spekulationen, mehr nicht. Auch eine angebliche Waffenaffinität der damals noch jungen Zschäpe habe die Beweisaufnahme nicht ergeben. Eine Zeugin, Jana J., hatte berichtet, einmal eine Waffe bei Zschäpe gesehen zu haben. "Wally" habe Zschäpe diese genannt.

Sturm spricht Oberstaatsanwältin Anette Greger, die Zschäpe-Expertin der Bundesanwaltschaft, direkt an: "Ganz ehrlich, Frau Greger, wie kommen Sie dazu, als Vertreterin des Generalbundesanwalts, hier in Ihrem Schlussvortrag zu behaupten: 'Jana J. berichtete, dass Frau Zschäpe sich regelmäßig bewaffnete'?"

"Absicht, ein bürgerliches Leben zu führen"

Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist Zschäpe für die zwei Bombenanschläge und zehn überwiegend rassistisch motivierten Morde genauso verantwortlich wie Mundlos und Böhnhardt, auch wenn sie selbst keinen Sprengsatz gezündet und keinen Schuss abgegeben hat. Zschäpe sei gleichberechtigtes Mitglied des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gewesen. Die Vertreter des Generalbundesanwalts fordern für die 43-Jährige die höchste Strafe, die das deutsche Recht hergibt: lebenslange Freiheitsstrafe, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließende Sicherungsverwahrung.

Wie schon zuvor ihre Kollegen, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, zeichnet Sturm ein komplett anderes Bild der Hauptangeklagten. Sie sei keine Terroristin, keine Attentäterin, keine Mörderin, hatte bereits Heer in seinem Plädoyer konstatiert. Dass Zschäpe fast 14 Jahre lang mit zwei Serienmördern zusammenlebte, mache sie nicht automatisch auch zur Mörderin, hatte Stahl in seinem Plädoyer gesagt.

Sturm sagt am Dienstag nun: "Der Generalbundesanwalt bewertet das normale Leben Frau Zschäpes in Gänze als Teil eines Tatplans und blendet dabei - parteiisch - aus, dass ihre Absicht darin bestand, ein bürgerliches Leben zu führen." Dass Zschäpe im Untergrund unter falschem Namen lebte, Nachbarn und Urlaubsbekanntschaften Geschichten über Mundlos und Böhnhardt erzählte, habe dem Ziel gedient, weiter unentdeckt zu bleiben. Dem Ziel, Terroranschläge zu verüben, habe es nicht gedient.

Am Mittwoch will Sturm ihr Plädoyer fortsetzen.

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