ZDF-Sportchef über Neumann-Shitstorm:"Es geht nicht um fachliche Fehler, sondern schlicht um ihr Geschlecht"

EURO 2016; Fußball Europameisterschaft 2016

Um fachliche Fehler gehe es nicht bei der Kritik an Claudia Neumann, sagt ZDF-Chef Fuhrmann. Es gehe nur um ihr Geschlecht.

(Foto: ZDF und Peter Kneffel)

WM-Kommentatorin Claudia Neumann wird nach der Partie Japan gegen Kolumbien übelst beschimpft. ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann über den Shitstorm, fachliche Fehler und Fußball als Männerbastion.

Interview von Carolin Gasteiger

Als Claudia Neumann die WM-Partie Japan gegen Kolumbien am Dienstag kommentierte, brachen in sozialen Netzwerken übelste Beschimpfungen über sie herein. Sie selbst will sich dazu nicht äußern, "sie arbeitet", sagt ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann. Er ist der Ansicht, der Shitstorm gegen Neumann "sprengt alle Grenzen".

SZ: Herr Fuhrmann, es ist nicht das erste Mal, dass Claudia Neumann so harsch beleidigt wird. Haben Sie mit solchen Anfeindungen gerechnet?

Thomas Fuhrmann: Wir haben uns vorbereitet und etwa unser Social-Media-Team verstärkt.

Bitte?

Ja, das ist leider notwendig, wenn Neumann kommentiert. Obwohl sie das ja wahrlich nicht zum ersten Mal macht. 2016 kommentierte sie ja schon die EM in Frankreich. Aber seitdem hat sich die Stimmung nochmal aufgeheizt und wir haben Vorkehrungen getroffen. Wir können und wollen Häme und Hass nicht unkommentiert auf unseren Seiten stehen lassen.

Fußballkommentatoren werden generell oft kritisiert - inwiefern ist das hier anders?

Offenbar hat ein Teil der Zuschauer ein Problem damit, dass eine Frau Fußball kommentiert. Es geht nicht um fachliche Fehler, sondern schlicht um ihr Geschlecht - und dass sie deswegen angeblich nicht kommentieren könne. Das ist eine abenteuerliche Einstellung. An sich ist ja das Tolle am Fußball, dass jeder etwas dazu sagen kann. Aber hier wird einer Kollegin das Fachwissen in einer Art und Weise abgesprochen, die widerlich ist. Ich weiß nicht, was diese Leute für eine Kinderstube haben.

Thomas Fuhrmann

Der Shitstorm gegen Neumann "sprengt alle Grenzen", sagt ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann.

(Foto: ZDF/Thomas Kierok)

Wie stellen Sie sich Fußballfans vor, die Claudia Neumann als "Donnerfotze" beschimpfen oder vorschlagen, sie solle beim ZDF lieber den Boden wischen?

Über die will ich mir kein Bild machen. Ich diskutiere mit vielen, höre mir gern Kritik an und bin da auch nicht zimperlich. Aber wir sind nicht dafür da, uns beleidigen zu lassen.

Sehen Sie denn die fachliche Kritik an Neumann berechtigt?

Wenn Sie einem japanischen Spieler einen falschen Verein zuordnet, ist die Kritik daran natürlich berechtigt. Darüber sprechen wir auch, für sachliche Kritik ist Claudia Neumann jederzeit empfänglich. Aber darum geht es hier ja leider nicht.

Bei Béla Réthy wären die fachlichen Fehler vermutlich nicht so unter der Gürtellinie kommentiert worden. Ist Fußball immer noch eine Männerbastion?

In großen Teilen schon. Und zwar eine, bei der Emotionen überwiegen und manche jegliche Neuerungen einfach nicht ertragen. Mit Argumenten kommt man da nicht weiter. Männlichen Kommentatoren passieren solche Fehler ja auch, aber über die wird nicht so viel Hass ausgeschüttet. Da greifen irgendwelche Urinstinkte, ich weiß gar nicht, ob da ein Rückgriff auf die Fünfziger Jahre noch reicht.

Warum kommentiert denn bislang nur eine einzige Frau bei der Weltmeisterschaft?

Das ist in der Tat noch zu wenig. Ich arbeite daran, aber der Nachholbedarf bei anderen Sendern ist größer.

Müssten Sie nicht einfach mehr Kommentatorinnen einstellen?

Das würde ich ja gern. Aber so viele Frauen, die dafür infrage kommen, gibt es nicht. Zumal Sie sich vorstellen können, dass so eine Häme und Hass nicht gerade Werbung für den Job sind. Das auszuhalten wie Claudia Neumann, das muss man erst mal hinbekommen. Und das überlegen sich viele dann ein zweites Mal.

Frau Neumann sagte zur EM noch, man müsse die Zuschauer daran gewöhnen, dass da jetzt eine Frau kommentiert.

Manche müssen sich daran gewöhnen. Aber, und das darf man nicht vergessen, es gibt auch viel Zuspruch. Wenn jemand wie Marcel Reif, der selbst auf eine große Karriere als Fußball-Reporter zurückschauen kann, sich so dezidiert zu Claudia Neumann äußert (Reif sagte in der Stuttgarter Zeitung: "Bei Claudia Neumann fehlt es nicht an Fachkompetenz. Ausrufezeichen. Punkt.", Anm. der Red.) - dann spricht das für sich.

Was plant das ZDF, um den Pöblern entgegenzuwirken und noch mehr Frauen ans Mikrofon zu bringen?

An die Frauen gerichtet: Wer das nötige Fachwissen besitzt und sich das Kommentieren zutraut, kann sich gern bei mir melden. Ich würde es begrüßen, wenn Claudia Neumann keine Solistin bliebe. Ansonsten kommentiert sie die nächste WM-Partie am Donnerstag: Dänemark gegen Australien.

Und vielleicht auch das Finale?

Das Finale haben wir noch nicht besetzt.

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